Post by Rebecca WeicheltPost by Joachim LosehandInteressantes Thema. Was meinst Du konkret mit "Technik [sei] die
Zukunft der Natur des Menschen"?
Also, ich stelle mir folgendes darunter vor: Wenn es irgendwann
möglich sein sollte, einen Menschen so weit mit technischen
"Prothesen" zu ersetzen, so dass von der eigentlichen, in dem Sinne
natürlichen, Materie nichts mehr übrig bleibt, die Persönlichkeit des
Menschen jedoch nach wie vor die Selbe ist, können wir dann noch von
einem Menschen reden oder ist dieses Gebilde nur noch eine Art
Roboter? Wurde die Natur dann von der Technik abgelöst?
Nun ja, ein Maximum (= vollständige Verwendung) an (prothetischer)
Technik im Einsatz am oder im Menschen macht den Menschen ohne Zweifel
zu einer Maschine, da nichts Biologisches mehr in/an diesem "Menschen"
wäre. Dieser Extremfall dürfte meiner Meinung nach (läßt man den Prozeß
dieser "Maschinenwerdung" außer Acht) einfach durch Definition zu klären
sein. Wo nichts Biologisches, dort nichts Menschliches.
Anders ist es im Fall eines Einsatzes von prothetischer Technik, die
einzelne Gliedmaßen oder Organe ersetzt. In unterschiedlicher Weise gab
und gib es das ja schon lange: berühmtes historisches Beispiel ist die
Armprothese des Götz von Berlichingen [und manche sagen, auch Kaiser
Wilhelm II. hätte eine Kopfprothese getrachen :-)], heute werden Gelenke
implantiert, man kann durch ein externes Gerät die Nieren ersetzen usf.
Je größer jedoch der Prozentsatz an prothetischen Ersatzteilen am
menschlichen Körper ist, desto größer ist auch die Unsicherheit, wo die
Grenze vom Menschen zur Maschine liegt. Aus Sicht verschiedener
griechischer Philosophien (und auch der biblischen Vorstellungswelt)
wäre der Einsatz einer synthetischen Flüssigkeit, die das Blut des
Menschen ersetzt, jene Grenze zum Nicht-Menschen: denn die Seele - und
dieses Wort fällt in diesem Zusammenhang unweigerlich - liegt nach alter
Vorstellung im Blut.
Wir heute würden die Seele und das Mensch-Sein wohl eher im Gehirn
verorten, der Ersatz des Gehirns wäre dann die Schwelle vom Menschen zur
Maschine.- Dann aber hieße das, daß das Gehirn den Menschen ausmacht und
damit das Gehirn den Menschen reprästentiert. Ist ein Wesen ohne Gehirn
kein Mensch? Natürlich ist ein Mensch ohne Gehirn schlichtweg tot, ein
Mensch ohne Gehirn lebt nicht. Geht es aber um das ganze Gehirn, oder
vielleicht auch um Teile und Funktionen des Gehirns? Und dann sind wir
bei der Frage, ob geistig Behinderte nun Menschen sind oder nicht, weil
ihnen bestimmte Funktionen fehlen oder ihr Gehirn Fehlfunktionen aufweist.
Und: Auch der äußere Eindruck gehört mich dazu. Wir sehen einen Leichnam
oder einen verstümmelten oder mißgebildeten Körper und halten diesen
Körper für einen Menschen. Tot, verstümmelt, mißgebildet - aber
zweifellos ein menschlicher Körper. Das kann - wenn man an die
künstlichen Menschen z.B. in der Alien-Trilogie denkt - durchaus zu
Mißverständnissen führen, man hält diese Maschinen für Menschen, weil
sie wie Menschen aussehen (und sich z.T. wie Menschen verhalten). Hier
aber werden Menschen "nachgemacht" und "nachgeahmt", ihr Verhalten und
ihr Eindruck ist trotzdem nicht "menschlich", jedenfalls auf einen
zweiten oder dritten Blick.
Denn Mensch-Sein, so meine ich, ist eine ganzheitliche Angelegenheit;
ein Wesen, das nur ein menschliches Gehirn hat, sonst aber künstlich
ist, wird anderes empfinden (äußere Reize, Schmerz, Wärme, usf.) als das
Wesen Mensch. Die Erfahrungswelt und die Beschränkungen sind andere und
niemals identisch.
Post by Rebecca WeicheltEin anderes Beispiel wäre auch z.B. die Pränataldiagnostik, bei der
sich ein Pärchen schon vor der Einpflanzung der befruchteten Eizelle
für bestimmte Gene entscheiden kann. Z.B. ob es ein Mädchen oder ein
Junge sein soll. Ist allein die künstliche Befruchtung nicht schon
ein erheblicher Eingriff in die Natur des Menschen? Übernimmt hier
die Technik die Herrschaft über die Natur?
Praktisch gesehen ist es einerlei, ob man vor der Befruchtung und Geburt
eines Menschen erwartet, daß das Neugeborene den Erwartungen entspricht.
Unerwünschte, mißgebildete Kinder oder Kinder mit "falschem" Geschlecht
hat man ausgesetzt oder ersäuft, Schwangerschaften frühzeitig
abgebrochen (allerdings ohne Kenntnis vom Kind zu haben), der Natur also
auch "nachgeholfen" oder "ins Handwerk gepfuscht".
Das Problem der sog. "Eugenetik" und Pränataldiagnostik ist, daß
zeitlich begrenzte und kulturelle Wunschvorstellungen in den Genpool des
Menschen miteinfließen und es unabsehbare genetische und schließlich und
vor allem auch gesellschaftliche Folgen haben wird.
Angesichts des völlig jungen Gebiets der Genetik kann von "Herrschaft"
nicht die Rede sein, man kann bestimmte Veränderungen vornehmen, ist
aber nicht "Herr" über die letztlichen Konsequenzen. Was auch immer
"machbar" ist, bedeutet nicht, daß es im positiven Sinne "beherrschbar" ist.
Post by Rebecca WeicheltIm ersten Buch Mose steht, dass der Mensch sich die Erde untertan
machen soll. Aber soll das auch heissen, dass wir uns so ohne
weiteres über die natürlichen Gesetzmäßigkeiten hinwegsetzen sollen
bzw. dürfen?
Ich hoffe, ich habe meine Frage ein bißchen deutlicher ausgedrückt.
Freue mich schon auf weitere Beiträge! Viele Grüße Rebecca
Gen 1,28 gehört ohne Zweifel zu den problematischen Textstellen;
problematisch, weil es unterschiedliche Vorstellungen von "Macht habe",
"herrschen über" oder "untertan machen" gibt - und auch unterschiedliche
Möglichkeiten dazu. In einer hochtechnisierten Gesellschaft hat das
andere Auswirkungen als in einer Gesellschaft ohne diese Mittel.
Ohne jetzt diskutieren zu wollen, was der hebräische BegrifF "kwsch" im
kulturellen kontext bedeutet unbd bedeuten kann: genauso, wie es
unterschiedliche Herrschafts-Vorstellungen in menschlichen
Gesellschaften gibt, genauso ist auch die Ausübung dieser "Herrschaft"
über die Erde unterschiedlich auslegbar. "Herausgehobensein" heißt nicht
notwendigerweise "Despotistmus" und nicht nachhaltige "Verdinglichung"
dessen, worüber man erhoben ist.
Joachim.