Post by Rainer RosenthalAusgehend von
pi/4 = 1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9 - 1/11 + 1/13 - 1/15 +- ...
kann man sich ja mal fragen, ob man statt des langweiligen Zählers 1 was
X = 1 - 2/3 + 2/5 - 2/7 + 3/9 - 2/11 + 2/13 - 4/15 +- (X-Formel)
Dabei steht im Zähler statt 1 die Anzahl der Teiler des Nenners. Bei
Primzahl-Nennern also 2, bei zusammengesetzten Nennern ein bisschen
mehr. Diese wirklich merkwürdige Fragestellung stammt nicht von mir,
sondern von dem Zahlentheorie-Giganten Ramanujan(*).
Es zeigt sich, dass X mit pi/4 zusammenhängt.
X ist nämlich ... das Quadrat von pi/4. Hammer, oder?
https://oeis.org/A222068.
Und bitte nicht motzen, dass X = (pi/4)^2 nur numerisch verifiziert
wurde, sondern ein bissel das Gehirn anstrengen und beweisen oder
widerlegen.
Da meine Ausführungen etwas länglich werden, möchte ich die
interessierten Leserinnen und Leser mit einem kleinen Zahlen-Quadrat
begrüßen:
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# 1 3 5 7 9 11 13
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# 3 9 15 21 27 33 39
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# 5 15 25 35 45 55 65
#
# 7 21 35 49 63 77 91
#
# 9 27 45 63 81 99 117
#
# 11 33 55 77 99 121 143
#
# 13 39 65 91 117 143 169
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# Bild 1: die Nenner von (1-1/3+1/5-1/7+-...)^2
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Von Robert Israel wurden https://oeis.org/A222068 bereits Umformungen
gezeigt, die nahelegen, dass X = (pi/4)^2 ist. Mathematisch korrekt und
zurückhaltend schreibt er dazu:
"Modulo questions about rearrangement of conditionally convergent
series, which I expect a more careful treatment would handle ...".
Er räumt also ein, dass eine sorgfältige Untersuchung des
Konvergenzverhaltens notwendig sei, ist aber überzeugt, dass man das
hinkriegt. Ramanujan hat aber genau danach gefragt: wie beweist man das
sauber? [1]
Und einen Beweis gibt es auch schon fertig [2].
Ich habe mich mal wieder schwer getan mit dem Formelkram und brauchte
ein Bild, das mir die Umformung von Robert Israel klarmachen konnte.
pi/4 = 1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9 -+ ... multipliziere ich gliedweise mit
sich selbst:
1 * (1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9)
- 1/3 * (1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9)
+ 1/5 * (1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9)
- 1/7 * (1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9)
+ 1/9 * (1 - 1/3 + 1/5 - 1/7 + 1/9)
und sortiere die Summanden in einer Tabelle
Zeile i=0: Produkt von 1 = 1/(2i+1) mit alternierender Summe 1/(2j+1)
Zeile i=1: Produkt von 3 = 1/(2i+1) mit alternierender Summe 1/(2j+1)
usw.
An der Position (i,j) steht dann 1/((2i+1)(2j+1)) mit negativem
Vorzeichen genau dann, wenn i+j ungerade ist.
Interessant ist, dass ein Nenner (2i+1)(2j+1) zwar mehrfach auftreten
kann, aber das Vorzeichen ist stets das gleiche, siehe Robert Israels
Bemerkung: 2k+1 = (2i+1)(2j+1) ==> (-1)^k = (-1)^(i+j). (*)
Das Bild 1 oben zeigt die Nenner der Summanden, und die Vorzeichen
wechseln in ganz einfacher Weise:
#
# + - + - + - +
# - + - + - + -
# + - + - + - +
# - + - + - + -
# + - + - + - +
# - + - + - + -
# + - + - + - +
# _________________________________________________
# Bild 2: die Vorzeichen von (1-1/3+1/5-1/7+-...)^2
#
Anschaulich gesprochen ist (pi/4)^2 die Summe aller v*1/n mit den
Vorzeichen v aus Bild 2 und den Nennern n aus Bild 1.
Nach der Bemerkung (*) haben gleiche n auch gleiches Vorzeichen v.
Was Ramanujan nun getan hat, und was in den Umformungen von Robert
Israel deutlich wird, ist folgendes.
Man ordnet die Summe aller v*1/n nach Nennern n und fasst zusammen.
Mit etwas Überlegen sieht man: Ein Nenner n kommt genau so oft vor, wie
die Zahl d(n) seiner Teiler ist. Primzahlen p befinden sich an den
Rändern von Bild 1, sie kommen also nur d(p) = 2 mal in der Summe aller
v*1/n vor. Die erste ungerade Zahl, die nicht prim ist, ist die 9.
Sie hat die Teiler 1, 3 und 9, d.h. es ist d(9) = 3, und man sieht sie
auch tatsächlich genau 3-mal in Bild 1 und in der (X-Formel) ganz oben.
Ich habe den Ramanujan-Film gesehen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Poesie_des_Unendlichen
Daraus war mir in Erinnerung geblieben, dass Ramanujan genial im
Erkennen von Zusammenhängen war und die zauberhaftesten Formeln sehen
konnte als Eingebungen seiner Göttin, dass er aber mit
Konvergenzbeweisen nichts am Hütchen hatte. Und so scheint es auch
wirklich zu sein, denn sonst hätte er ja nicht gerade heraus gefragt [1].
Meine Konvergenzbetrachtungszeit ist schon sehr lange her, und ich würde
gerne wissen, ob [2] wohl was Kompliziertes ist, bzw. ob es kompliziert
sein muss, den Nachweis zu führen, dass man die Teilsummen in der Weise
bilden darf, dass man die Summanden nach steigenden Nennern sortiert.
Das ist eine Umordnung von unendlich vielen Summanden, und wie wir alle
wissen, ist das gefährlich und man hat schon von Fällen gehört, in denen
dabei was verloren gegangen ist. Da musste dann extra ein Fundbüro
eingerichtet werden :-)
Gruß,
Rainer Rosenthal
***@web.de
[1] S. Ramanujan, Coll. Papers, Chelsea, 1962, Question 770, page 333.
[2] G. N. Watson, Solution to Question 770, J. Indian Math. Soc. 18
(1929-30), 294-298.