Hallo,
Post by Holger PollmannDie Verfassung ist technisch eine Ansammlung von (höherrangigen)
Gesetzen, von denen einige Grundsätze legalerweise gar nicht und
alle anderen mit einer höheren Mehrheit zweier Kammern geändert,
ergänzt oder verworfen werden können.
Nein. Die Verfassung ist das Normwerk, das die Grundlagen des Staates
festlegt, ihn also "verfaßt". Die Verfassung ist kein Gesetz, sondern
eine Verfassung, und schon gar nicht ist sie eine Ansammlung von
Gesetzes. Das BGB ist schließlich auch nur ein Gesetz, obwohl es zigmal
geändert wurde.
Beides kann man so sehen muss man aber nicht. Was sind Merkmale eines
Gesetzes? Wenn es ein formelles Gesetz ist, dann ist es eine Rechtsnorm,
die durch den Gesetzgeber verabschiedet wurde. Im Falle des BGB ist es
so, dass sowohl das gesamte Bürgerliche Gesetzbuch, die einzelnen
Paragraphen, die Änderungsgesetze und die Einführungsgesetze Gesetze in
diesem Sinne sind. Ein Artikel in der Verfassung wird durch Gesetz
geändert, das Resultat ist dann ein Artikel. Dieser ist ebenfalls eine
durch Legislativgewalt verabschiedete Rechtsnorm, quasi durch den
Verfassungsgesetzgeber. Man nennt die Verfassung nicht Gesetz, aber man
könnte es ebenso auch als solches sehen. Die Frage nach dem Rang ist
keine, die die Frage nach "Gesetz oder nicht" beantwortet. Denn die
einfachen Gesetze können auch Hierarchien bedingen und unterliegen,
letzteres besonders auch materielle Gesetze wie Verordnungen und
Richtlinien und besonders auch Landesgesetze. Aus EU-Sicht heraus wäre
es mit der Rangfolge beim Grundgesetz als deutsche Verfassung nicht mehr
so eindeutig mit dieser "Höchstrangigkeit".
Post by Holger PollmannPost by Holger PollmannNun, das ist nicht mehr aktuell, aber unter der Geltung der WRV
war es m.W. so, daß ein einfaches Gesetz implizit die Verfassung
ändern ko nnte - war es mit der für eine Verfassungsänderung
notwendigen Mehrheit beschlossen und inhaltlich nicht mit der
Verfassung vereinbar, wurde da s Gesetz so aufgefaßt, daß es
insoweit die Verfassung geändert hat.
Ipsen bestätigt diese Darstellung,
Na, vielen Dank ;-)
allerdings, um es verständlicher zu machen: Dieses
verfassungsändernde Gesetz war und blieb ein einfaches Gesetz.
Wie man's nimmt. Man kann es auch so sehen, daß dadurch eben die
Verfassung geändert wurde, ohne daß´ihr Wortlaut als solcher modifiziert
wurde.
Konkret sind hier die Ermächtigungsgesetze genannt, die die
Verfassung zu umgehen erlaubten.
Wurden die nicht mit Zweidrittelmehrheit beschlossen?
Ja, die wurden mit Zweidrittelmehrheit beschlossen.
Wenn sie das
Post by Holger Pollmannwurden, dann haben sie die Verfassung geändert, so daß von "Umgehung"
keine Rede sein kann.
NEIN, eben genau das trotzdem nicht. Da ist, wie Du gesagt hast, ein
einfaches Gesetz erlassen worden, das in dieser Form niemals in die WRV
gelangt ist und keinen ihrer Artikel geändert hat. Dieses einfache
Gesetz hat Verfassungsartikel faktisch lahmgelegt und konnte dies
einfach deshalb, weil es eine Zweidrittelmehrheit gab. Die
Ermächtigungsgesetze waren keine Verfassungsänderung, sondern eine
Verfassungsumgehung.
Übrigens: interessantes Thema, jetzt habe ich überhaupt erst kapiert,
wozu Art. 79 I 1 überhaupt da ist!
Nach dem Grundgesetz müssen alle Änderungen am Grundgesetz in diesem
selbst stattfinden. Einfache Gesetze können natürlich
verfassungsrechtliche Vorschriften präzisieren und auch einschränken,
das gehört dann in die übliche Grundrechtsdogmatik, wo dann Zitiergebot
etc. eine Rolle spielen.
Torben
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Um mir per PM antworten zu können muss statt muelleimer anschau vor dem
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