Ich denke, dass man nur mittels Mathematik zu vernünftigen
Argumentationen kommt, weil formales Argumentieren immer implizit eine
formale Sprache spezifiziert.
4 Leute gehen in einen leeren Raum und 5 Leute gehen aus einem leeren
Raum....
Selbst wenn ich das formalisiere und ein -1 im leeren Raum übrig habe,
kann man auch über 1000 Engel auf der Nadelspitze formal korrekt
argumentieren und meinetwegen auch mathematisch. "nur mittels
Mathematik" finde ich eine unzulässige Denkeinschränkung und die
Mathematik ist nur ein Teilgebiet der Logik und die Logik ist nur ein
Teilgebiet der natürlichen Sprachen und selbst die natürlichen Sprachen
sind in gewissem Umfang formal. Eine gültige Argumentation ist auch
dann gültig, wenn sie in chinesischen oder lateinischen oder
mathematischen Schriftzeichen geäussert wird. Eine Wahrheit wird nicht
ungültig dadurch, dass sie von Plato in griechischen Worten kompliziert
oder von einem Erstklässler in mathematischen Schriftzeichen einfach
ausgedrückt wird.
Irgendwie scheint das Gerücht zumindest hier zu stimmen, dass
Philosophen oft Mathematik-avers sind.
Und ich glaube, du sagst Mathematik und meinst aber was anderes. Das
Beispiel mit den 4 Leuten stammt von Wittgenstein, glaubst du wirklich,
dass der Herr Ingenieur Mathematik-avers war?
Bei Mathematik sollte man wirklich mal aufhören, nur ans Rechnen zu
denken. Mit Zahlen befasst sich die Zahlentheorie, mit Rechnen die
Numerik. Was glaubst Du eigentlich, wofür all die anderen Gebiete da
sind?
Ich zitiere mal: "Die Mathematik ist tief im menschlichen Denken
verankert. Betrachtender Verstand, unternehmender Wille, ästhetisches
Gefühl finden in ihr den reinsten Ausdruck. Sie vereint Logik und
Anschauung, Analyse und Konstruktion, Individualität der Erscheinungen
und Abstraktion der Formen. Wenn auch Mode oder Tradition den einen oder
anderen Gesichtspunkt betonen mögen, so beruht doch auf dem Zusammenspiel
dieser Antithesen und dem Streben nach Synthese die Vitalität und der
letzte Wert der mathematischen Wissenschaft.
Zweifellos ist die Entwicklung der Mathematik in allen ihren Zweigen
ursprünglich von praktischen Bedürfnissen und von Beobachtungen realer
Dinge angeregt worden, selbst wenn dieser Zusammenhang im Unterricht und
in der spezialisierten Forschung vergessen wird. Aber einmal begonnen
unter dem Druck notwendiger Anwendungen, gewinnt eine mathematische
Entwicklung ihren eigenen Schwung, der meistens weit über die Grenzen
unmittelbarer Nützlichkeit hinausführt. Dieser Übergang von der
angewandten zur theoretischen Wissenschaft zeigt sich in der antiken
Entwicklung ebenso wie in vielen Beiträgen von Ingenieuren und Physikern
zur modernen Mathematik.
... Glücklicherweise vergessen schöpferische Menschen ihre dogmaitschen
Vorurteil, sobald diese die konstruktive Leistung behindern. In jedem
Fall, für Gelehrte und Laien gleichermaßen, kann nicht Philosophie,
sondern nur das Studium der mathematischen Substanz die Antwort auf die
Frage geben: Was ist Mathematik?"[1]
in diesem Sinne bin ich mathematischer ignorant, weil ich nicht mehr das
Interesse habe die Frage zu beantworten "Das ist Mathematik!", aber ich
denke keineswegs an Zahlen oder Rechnen bei Mathematik. Mathematik ist
für mich eine exakte Sprache zur Definition und der Erfassung von
Strukturen. Die Erfassung mancher Probleme in einer mathematischen
Struktur mag hie und da nützlich sein, kann aber diverse Fragen nicht
beantworten, wenn es keinerlei mathematisches Äquivalent dazu gibt. Es
lässt sich also wunderbar in menschliche Panikstruktur eines Gebäudes
berechnen, hierbei lässt sich aber nicht das Leid der Mutter eines
totgetrampelten Kindes mathematisch Äquivalent darstellen. Die
mathematische Beschreibung der Panikstruktur kann allerdings das Problem
"Leid der Mutter" möglicherweise verhindern, wenn gewisse tote Winkel
erst gar nicht gebaut werden. Es beschreibt aber damit im mathematischen
Modell "Leid der Mutter" nicht.
Wenn ich über formale Logik rede, dann rede ich natürlich über
Sprachentheorie und die entsprechenden Algebren, nicht darüber, wieviele
Leute in einen Bus einsteigen, und wie man das berechnet.
Das ist vollkommen egal, denn die Algebren bedeuten nichts, wenn du sie
auf nichts anwendest. Die mathematische Sprache hat ihre Berechtigung und
ihre Bedeutung. Die Grundlage aber ist und bleibt dann die Verknüpfung
desselben mit dem Wissen, es sei denn du bist der Auffassung, dass ein
Prozessor ob jetzt Marke Intel, Motorola oder AMD tatsächlich denken
könnte. Prozessoren sind in der Lage die gesamte Sprachenstruktur zu
speichern, zu erfassen und wiederzugeben. Aber selbst wenn dieser Text
hier durch mehrer Prozessoren verarbeitet wurde, hat ihn nicht einziger
Prozessor gelesen oder verstanden. Die Zahl der Algebren, die dabei
verwendet werden, bis du diesen Text liest, ist wahrscheinlich immens.
Von der Kodierung hier bis über das Transportprotokoll dort und dem
Speicherprotokoll da und dem Transfer am Punkt xyz ... alles Algebren,
die tot sind. Ob nun rekursiv aufzählbar, kontextsensitiv, kontextfrei,
regulär, irregulär ala Chomsky zeigt doch auch, dass schon so ein
dämlicher Kellerautomat wie ein Intelprozessor ziemlich schnell aus der
Theorie hüpft und der ist verdammt dämlich. Weil dieser Kellerautomat
also diese Sprache hier darstellen kann und als Werkzeug dient, ist er
noch lange nicht fähig irgendetwas über die Welt auszusagen. Mathematik
kann also alles mögliche, aber sie hat noch nichts mit Bedeutung und
Wissen zu tun, soweit es sich nicht um mathematisches Wissen handelt,
sonst müsste ich davon ausgehen, dass der Prozessor hier auf dem ich das
Tippe verstünde, was ich hier schreibe. Ich bin mir aber ziemlich sicher,
dass dieser Kellerautomat hier nichts davon versteht.
Es spricht sogar einiges dafür, dass komplexe Sachverhalte umschweifend
und unklar daher kommen und je weniger sie begriffen sind, desto mehr
Worte benötigen diese. Aber auch umgekehrt sich hinter mathematischen
Schriftzeichen zu verstecken, weil man nicht fähig ist, den Sachverhalt
natursprachlich auszudrücken, spricht dann dafür, dass der Sachverhalt
nicht verstanden worden ist. L1, L2 oder L3 mögen nette Abkürzungen
sein und wenn sich auf L3 das Restaurant am Rande des Universums
befindet, dann nur deshalb, weil wir es nicht besser wissen. Durch die
Formalisierung eines (L)agrange(3)_Erde_Sonne wird nichts besser und
argumentativ im Zweifelsfall auch nichts gewonnen.
Genau darum geht es mir ja - was kann ich formal argumentieren, was
nicht. Was kann ich klar definieren, was nicht. Wie gehe ich mit dieser
Erkenntnis dann für meine Argumentation um?
"Ignorieren" ist da natürlich eine Möglichkeit, ich bestreite jedoch,
dass es die beste ist ;-)
Auch wenn die "Form" eines ritualisierten Disputs bei einer
"Verteidigung" eines Doktortitels mit Namen wie "Kandidat" oder
"Doktorvater" eine formale Sprache beinhalten, geht es dann dabei weder
um Mathematik noch um die von dir gemeinte Form.
Im Gegenteil, selbstverständlich bildet diese Organisationsform eine
formale Sprache, und nicht nur um diese Erkenntnis, sondern um die
Schlüsse daraus geht es mir gerade.
Aber diese "formale Sprache" hat nichts mit der Wahrheit oder der
Richtigkeit einer Argumentation zu tun. Ob nun die Römer, die Azteken
oder am MIT irgendwelche ritualisierten Formen eingehalten werden, hat
nichts mit der Wahrheit oder Richtigkeit eines Argumentes zu tun. Die
Form sagt nichts über den Schluss aus. Die richtige Form kann genauso
lügen wie die falsche. Das ist nicht Sinn und Zweck der Form, sondern
eher: "Es ist sicher nicht auszuschließen, daß der Kandidat ein Genie
ist, das mit seinen zweiundzwanzig Jahren alles verstanden hat, und es
sollte kein Zweifel daran bestehen, daß diese Annahme ohne auch nur einen
Schatten von Ironie mache. Aber es steht nun einmal fest, daß, wenn diese
Erde ein solches Genie hervorbringt, die Menschheit lange braucht, bis
sie es merkt, und daß sein Werk eine ganze Reihe von Jahren gelesen und
verdaut werden muß, ehe man seiner Größe gewahr wird. Wie kann man
verlangen, daß eine Kommission, die nicht eine, sondern viele Arbeiten
prüft, im ersten Anlauf der Bedeuutung dieses Alleinganges gewahr wird"[2]
(Die Seite 277 in [2] suche ich allerdings vergebens, eigentlich wollte
ich mich auf von Seite 42 in [3] zu Arouet und Voltaire durchhangeln,
aber ich finde das in [2] gerade nicht.)
Dennoch wäre es
"formales Argumentieren" und zwar der gesellschaftlichen Form
angemessen. Die Form kann also auch als gesellschaftliche Regel
verstanden werden und als solches kann es bedeuten einer Regel zu
folgen. Diese "Regel folgen" ist aber kein "mathematisches" Ansinnen.
Im Gegenteil. Es ist genau das "mathematische Ansinnen", auf das es mir
ankommt.
Nur ist die Form an sich kein "mathematisches Ansinnen" siehe [3]. Der
Tipfehler macht die Aussage nicht falsch, hat aber nichts mit Mathematik
zu tun und die richtige Form macht den Kandidaten trotzdem zum Dummkopf
und nicht zum Provinzler.
Es mag
durchaus sein, dass eine jegliche Ausdrucksform und sei es
musiktechnisch oder auch maltechnisch in diesem Sinne auch "Formal"
ist.
Nein, das ist nicht so. Deine Schlüsse daraus sind also relevanzlogisch
falsch, prädikatenlogisch irrelevant ;-)
Was sollte an Musik nicht formal sein? Ebenso die Maltechnik kann formal
sein. Irrelevant ist, dass du die Form überbewertest. Mathematik alleine
ist nicht dazu fähig sich ein vollständiges Urteil zu bilden.
alleine die chinesische Zahlenmystik ist das wahre Elixier der
Vernunft?
Mathematik hat nicht unbedingt was mit Zahlen zu tun. Das haben Dir nur
in der Schule Deine Rechenle{e|h}rer so verkauft. Mystik ist eh
Bockmist.
Ich rede ja nicht von Zahlen, du meinst aus der Information
Schulabbrecher wohl dir eine Vorstellung von meinen Vorstellungen machen
zu können. (Allerdings war mein "Rechenlehrer" gar nicht mal so schlecht,
sass mit irgendwelchen Physiker/Mathematikergrössen im
Kriegsgefangenlager und konnte davon Geschichten erzählen)
Wer Argumente und Argumentation so schnöde auf sein Lieblingswerkzeug
degradiert, negiert historische Linien.
Es geht mir nicht um eine Degradierung. Es geht mir darum zu erkennen,
dass man formale Logik mit formaler Argumentation einsetzt, und die
Erkenntnisse dabei zu verwerten, die man darüber hat.
Rechner füttern - Doch das Problem sind ja nicht die mathematischen
Beweise oder die logischen Beweise, sondern das Verständnis solcher
Beweise. Was nützt einem die Antwort "42", wenn die Frage dazu unbekannt
ist?
Es gibt kein mathematisches
Argument für die Menschenrechte. Das bedeutet aber nicht, dass
Menschenrechte - und seien sie als "Insel der Seligen" beschwörende
Hymne daherkommend - unvernünftig wären.
Du bist hier irgendwie auf dem ganz falschen Trip gelandet - wenn wir
mal davon absehen, dass ich durchaus denke, dass man Menschenrechte als
Moral aus einer Ethik ableiten kann, ist mein Eingangsthese ja, dass man
nicht alle Bedeutung formal beschreiben kann. Ausgerechnet mir zu
unterstellen, ich wollte genau das, sollte Dir zu denken geben, ob Du
überhaupt verstanden hast, was ich sagte.
Ich habe genau das zitiert: "Ich denke, dass man nur mittels Mathematik
zu vernünftigen Argumentationen kommt, weil formales Argumentieren immer
implizit eine formale Sprache spezifiziert."
was sollte ich daran missverstanden haben, stammt der Satz etwa gar nicht
von dir oder denkst du das am Ende gar nicht.
Kurzform meiner vielen Worte: "Ich denke nicht, dass man nur mittels
Mathematik zu vernünftigen Argumentationen kommt, weil formales
Argumentieren immer nur einen Teilbereich erfasst und implizit die damit
spezifizierte formale Sprache unvollständig ist."
Grüße,
Arnold
[1] Courant, Robbins Was ist Mathematik (XVIIII - XXII)
[2] Umberto Eco, Wie man eine wissenschaftliche Arbeit schreibt 6.Aufl.
S.23
[3] Die Doktorarbeit meiner Frau zitiert [2] und als Quellenangabe steht
seite 277, das Buch hat aber nur 271 Seiten und das Fragliche steht auf
227: "Im Falle einer wissenschaftlichen Arbeit (wie jener in der der
Kandidat, nachdem er ein wenig in der Sekundärliteratur geblätter hatte,
sich ausführlich über die Beziehungen zwischen Arouet und Voltaire
ausließ) spricht man nicht von Provinzler, sondern von Dummkopf."