Am Fri, 23 Jul 2004 16:26:29 +0200 schrieb Gerald Fix
Post by Gerald FixOn Thu, 22 Jul 2004 14:27:36 +0200, Thorsten Reichert
Post by Thorsten ReichertHistorische Dokumentationen
werden nicht für Regisseure mit speziellen ästhetischen Ansprüchen,
sondern für ein Massenpublikum gemacht.
Pardon, aber ich verlange von einer Dokumentation mehr als nur, dass
sie hohe Einschaltquoten erzielt.
Wer tut das nicht. Auch das Massenpublikum schaltet Geschichtsdokus aus
Post by Gerald FixSie sollte auch etwas dokumentieren.
Breloer selbst ist der beste Beweis dafür, dass hochwertige Arbeit
durchaus das Publikum erreicht. Aber du wolltest Beispiele. Ist der
Die Dokumentation bestand aus Originaldokumenten, zu denen ein
Sprecher einiges aus dem Leben Wilhelms zum Besten gab;
Schon mal jede Menge interessante Bilder, die inhaltlich auch noch
eingeordnet wurden. Damit ist der Ansprüche an Geschichtsfilme bei
Massensendern wie ARD und ZDF schon Genüge getan.
Post by Gerald Fixunterbrochen
wurden diese Szenen durch Aussagen von Historikern, Zeitzeugen und
sonstigen netten Menschen, die teilweise mit Wilhelm überhaupt nichts
zu tun hatten.
Inwiefern?
Post by Gerald FixDabei wurde ansatzweise versucht, ein psychologisches Porträt zu
erstellen.
Wie ich fand, großteils gut getroffen.
Post by Gerald FixLeider beschränkte sich die Sendung darauf, bekanntes zu
wiederholen
Das ist das Los fast sämtlicher Wissensvermittlung, auch im Fernsehen. Es
wird sehr viel bekanntes wiederholt und aufgefrischt.
Post by Gerald Fixund machte selten den Versuch, Wilhelms Rolle in die
Geschehnisse einzuordnen.
Der Film handelte von fast nichts anderem, von der Rolle Wilhelms in den
damaligen Geschehnissen. Er kann auch von fast garnichts anderem handeln,
das ist ein Basic fast sämtlicher Biographik. Da Wilhelm Kaiser war, steht
auch jedes persönliche Detail zwangsläufig in Bezug zu den Geschehnissen
seiner Zeit, erklären sie mit die Wechselwirkungen.
Post by Gerald FixBismarck wurde in diesem Film genauso oft
erwähnt wie Lenin - nämlich in einem Satz.
Nicht weiter verwunderlich, wenn Bismarck nur am Anfang seiner
Regentschaft eine Rolle spielte. Die übrigens ebenfalls altbekannte
Tatsache, dass der junge Wilhelm alles besser wußte als der alte erfahrene
Bismarck, wurde jedenfalls auch in diesem Film gut vermittelt. Das kann
man sicher noch breiter auswalzen, gerne sogar in einem extra Film, in
einer Gesamtbetrachtung Wilhelms kann das aber nur relativ kleinen Raum
einnehmen.
Post by Gerald FixIn anderen Fällen täuschte
die Sendung Gewissheit vor, wo bei Historikern noch immer Zweifel
herrschen. (Z.B. die Abdankung: Im Film war es der Druck der Feinde,
die Wilhelm dazu zwangen. Es gibt aber Historiker, die der Meinung
sind, Wilhelms Abdankung sei ein Versuch Ludendorffs gewesen, die
militärische Niederlage den Sozialdemokraten in die Schuhe zu
schieben; erfolgreich, wie die Geschichte der Weimarer Republik
beweist.)
Das sind Details, die nicht mal Geschichtsinteressierte wie ich, sondern
bestenfalls Experten mitkriegen, die den Gesamteindruck guter
Geschichtsdokumentation für mich kaum mindern. Außerdem kann man auch
Geschichtsdokumentaristen eigene Meinungen, Noten und Akzente zu
bestimmten Fragen zugestehen. Eine Geschichtsdoku _ist_ zwangsläufig immer
auch ein Kommentar zu dem, was es dokumentiert. In der Auswahl wie in der
direkten Kommentierung.
Post by Gerald FixDann die Experten: Ein Wilhelm-Biograph, von dem ich gerne mehr gehört
hätte. Dann Michael Stürmer, der dazu Stellung nehmen durfte, dass die
anfängliche Unterstützung Wilhelms für Österreich durchaus
nachvollziehbar war, der aber nicht befragt wurde, warum Wilhelm auch
noch bei der österreichischen Fahne blieb, nachdem Serbien das
Ultimatum angenommen hatte und Österreich trotzdem auf weiterer
Konfrontation beharrte. Ein Habsburg, dessen Ausführungen wir
entnehmen durften, dass der österreichische Kaiser der friedliebendste
Mensch der Epoche war. Ein Kriegsteilnehmer (der allerdings nicht wie
100 aussah - und schon damit hätte er mit 14 in den Krieg ziehen
müssen).
Gut, vielleicht eine einzige Nachlässigkeit. Interessante Frage, die
vielleicht ab heute abend 21.45 Uhr in der mehrteiligen ARD-Dokumentation
über den Ersten Weltkrieg behandelt wird.
Post by Gerald FixLetztendlich habe ich aus dieser Dokumention so gut wie nichts Neues
erfahren - und ich bin ganz gewiss kein Wilhelm-Kenner.
Dann geh doch rüber zu arte, 3sat, den Dritten usw oder gleich in die
Bibliothek. Bei ARD und ZDF können solche Dokus auch nur einen Anreiz
geben, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen oder solches Beschäftigen
mit Originalbildern und Tönen zu begleiten. Für viele sind sie hier
entweder ein Einstieg oder interessante Informationen im Sinne von "auch
schon mal was von gehört".
Post by Gerald FixAllerdings
lief vor ca. 1 Jahr eine zweistündige Wilhelm-Sendung auf Arte, die
ausschließlich aus Originaldokumenten bestand und die nicht als
Welt-Geschichts-Stunde im Schnelldurchgang angelegt war. In der
Sendung konnte man wirklich etwas über "Wilhelm den Großen" erfahren -
z.B., dass er gefressen hat wie eine Sau. Und das ist doch zumindest
was Versöhnliches.
In der zdf-Doku habe ich auch _erstmals_ O-Töne von Wilhelm II. gehört.
Sicher können diese Filme inhaltlich im Einzelnen immer verbessert werden,
mit einer soliden Vermittlung von Informationen und Original-Fluidum bin
ich aber allemal zufrieden.
Thorsten