Als jemand, der sowohl Standardfahrräder als auch ein Liegerad
regelmäßig benutzt, meine ich, etwas beitragen zu können. Dabei gehen
meine Erfahrungen von diesem einen (Typ) Liegerad aus. Es gibt viel zu
viele Varianten, als daß man "das Liegerad" beschreiben könnte. Bei mir
ist es ein Kurzlieger mit nicht besonders tiefer, aber seit Gewöhnung
maximal tief gestellter Sitzposition, relativ schwer, zum einen, weil
wohl nicht das teuerste Modell (zusammen mit SON und nachgerüsteten
Magura, Slicks etwa 2100 FRZ), zum anderen, weil für viel Gepäck mit
mehrern Trägern vorgesehen. Ich fahre auch stets mit Gepäck, meist die
vollgepackte Arbeitstasche und Wekzeug, Kleidung, Kleinigkeiten.
Alle meine Fahrräder sind primär auf Straßenbetrieb ausgelegt. Das
Liegerad hat allerdings etwas schmälere Reifen als die anderen.
Das Liegerad nutze ich statt dem Normalrad bei drei Anlässen:
1. als Reiserad auf langen Strecken (lang = ab ca. 30 km);
das schließt meinen (leider nun früheren) Arbeitsweg mit ein, der
einfach 60 km betrug,
2. wenn es schnell gehen muß und
3. wenn das Fahren Spaß machen soll.
Zum Normalrad tendiere ich
1. im Alltagsverkehr auf kurzen Wegen und,
2. wenn die Strecke steile Anstiege mit rutschigem Untergund (Kies etc.)
beinhaltet.
Post by Wolfgang StroblEs fängt damit an, daß beide Probleme lösen (oder jedenfalls lösen
sollen), die ich gar nicht habe.
Ich glaube, daß Du kein Liegerad brauchst, hat niemand bestritten.
Post by Wolfgang StroblSo ist eine unterstellte viel bessere Aerodynamik (in Vergleich zu einem
Rennrad) häufig an Bauformen (Tieflieger) oder Ausstattung (Verkleidung)
gekoppelt, die sich aus praktischen wie finanziellen Gründen verbieten.
Nein. Zumindest ich erziele auf dem Liegerad *in der Ebene* gleiche
Geschwindigkeiten wie Rennradfahrer. Mir ist es mehr als einmal
passiert, daß ich zusammen mit einem solchen eine längere Strecke
gefahren bin oder auch mal ihn abgehängt habe. Manche hängen auch mich
ab. Die Fahrer sahen in jedem Fall trainiert aus, natürlich keine
Leistungssportler, gegen die ich mich nicht vergleichen will.
Bergauf ist der Lieger wegen seines Gewichts deutlich langsamer, bergab
schneller als ein Rennrad.
Wohlgemerkt: Das ist ein Reiseliegerad mit relativ hoher Sitzposition,
kein Tieflieger, keine Verkleidung, vergleichbar schnell wie ein
Rennrad, aber ohne zu buckeln.
Post by Wolfgang StroblInsofern relativiert sich auch die behauptete "geringere Unerkühlung"
als Folge einer kleineren Stirnfläche.
Nein. Tatsächlich bevorzuge ich ganau aus diesem Grund bei herbstlich
kühlen Temperaturen das Liegerad und ziehe mich dabei dünner an als auf
dem Upright. Nicht nur der Körper kühlt weniger aus, sondern auch die
Füße, da die Sohlen dem Fahrtwind entgegen stehen. Ich fahren das
Liegerad zu fast jeder Temperatur deswegen mit Sandalen, wo ich sonst
längst geschlossene Schuhe anziehen würde. Im Winter habe ich keinen
Vergleich, weil da und auf gesalzenen Straßen das Winterrad zum Einsatz
kommt.
Post by Wolfgang StroblTatsächlich ist aber die Position
mit Beinen voran bei Nässe und Kälte sogar ausgesprochen ungünstig.
Nässe: ja, Kälte: nein; dem Regen von oben bietet man eine größere
Fläche, üblicher Regenschutz, der auf Regen von vorne, nicht "von unten"
ausgerichtet ist, ist nur bedingt tauglich.
Sonne: Da man auf dem Liegerad der Sonne eine größere Fläche zuwendet,
ist es durchaus unagenehm beispielsweise bergauf gegen die Sonne zu
fahren. Das ist ein Nachteil des Liegerads.
Post by Wolfgang StroblDie behauptete höhere Sicherheit dürfte auch eher auf Wunschdenken
beruhen als auf Tatsachen. Die "höhere Sicherheit gegen Überschläge"
ist beim Liegerad genau so eine Chimäre wie bei konventionellen Rädern.
Nein. Ich habe beides bereits hinter mir. Vollbremsung mit Absteigen
über den Lenker auf dem Upright 8aus 30 km/h) und Vollbremsung auf dem
Liegerad (aus über 40 km/h). Das Liegerad bremst deutlich besser, was
schon mal einen Unfall (Linksabbieger fuhr plötzlich los) verhindert
hat. Und es überschlägt dabei nicht (manche Modelle scheinen dazu zu
tendieren, möglicherweise spielt auch eine Rolle, daß ich hinten fast
immer Gepäck mitnehme).
Die Bremsfähigkeit des Liegers dürfte der eines Pkw entsprechen, also
nur von der Reibung Reifen-Fahrbahn begrenzt sein, während das Upright
trotz Gewichtsverlagerung die bekannte geometrische bedingte Obergrenze
zeigt.
Post by Wolfgang StroblDie geringere Sturzhöhe ist ein valides Argument - theoretisch.
Das war sie schon einmal beim Ausrutschen auf einer unerwarteten Ölspur
aus 40 km/h. Leichte, schmerzhafte Schürfwunden, aber keine einzige
Prellung und auch sonst keine Folge.
Post by Wolfgang StroblIn der
Praxis ist die Sturzhöhe auch bei konventionellen Rädern genau so wenig
ein Problem wie bei Fußgängern, seit die Hochräder durch Starleys
Sicherheitsfahrrad abgelöst wurden.
Ja, das Argument "gegen schwere Unfälle muß man tiefer sitzen" ist
sicherlich falsch.
Post by Wolfgang StroblVölliger Blödsinn ist die Behauptung, ein niedrigerer Schwerpunkt biete
mehr Sicherheit bei einem Aufprall auf ein Hindernis. Das Gegenteil ist
richtig: was für SUV gilt, daß ihre hohe Stirnfläche sie für
aufrechtgehende Fußgänger und Radfahrer besonders gefährlich macht, gilt
umgekehrt auch: ein tief liegender Radfahrer hat schlechtere Chancen,
über ein festes Hindernis, z.B. die Motorhaube eines Pkw,
hinwegzukommen.
keine Ahnung, ich habe auch nicht vor, das auszuprobieren
Post by Wolfgang StroblDamit komme ich zu den direkten Nachteilen. Ein aufrecht fahrender
Radfahrer ist auch über fahrende oder parkende Pkw hinweg sichtbar,
selbst auf dem Rennrad kann ich mich ggfs. aufrichten,und sei es auch
nur, um meinerseits über Fahrzeuge hinwegblicken zu können. Vom Sessel
eines Liegerades aus ist das kaum möglich. Daher fahren viele
Liegeradfahrer mit so einem an einer Fiberglasrute befestigten Fähnchen,
was wenigstens den Mangel der schlechteren Sichtbarkeit kompensiert.
Nein. Auf einem Reiselieger sitzt man so hoch wie in einem Pkw und sieht
also auch mindestens so viel. Man sitzt auch genauso weiter hinten
(Vorteil des Standard-Fahrrads), aber nicht ganz so weit hinten wie im
Auto. Auffälliger ist man mit einem Liegerad allemal, ganz ohne
Narrenwimpel. Ich bin noch nicht übersehen worden, nur die
Geschwindigkeit unterschätzt. Aber das ist ein allgemeines
Fahrrad-Problem.
Post by Wolfgang StroblDie kompliziertere Geometrie erschwert es, Liegeräder ähnlich leicht zu
bauen wie konventionelle Räder mit Diamantrahmen, bzw. macht es teuer.
ja
Post by Wolfgang StroblDie viel höheren Preise von Liegerädern sind IMHO nicht lediglich die
Folge der geringen Verbreitung.
Das müßte man ausprobieren.
Post by Wolfgang StroblDies manifestiert sich auch in der Kraftübertragung, die - je nach
Liegeradtyp - sehr viel längere Ketten oder komplizierte und
fehleranfällig Umlenkungen erfordert.
längere Kette: natürlich, aber doch eigentlich ein neutrales Argument,
weil die Kette entsprechend länger hält; komplizierte Umlenkungen haben
nur manche Liegeräder, zweingend erforderlich durch die Geometrie sind
sie nicht.
Post by Wolfgang StroblAuch das Einstellen auf die
Körpergröße resp. Beinlänge ist bei einem Sesselrad schwieriger.
Es kommt darauf an: kleine Änderungen sind durch Verstellen des
Auslegers und des Sitzes leicht möglich. Große, würden eine
entsprechende Verlänergung oder Verkürzung der Kette erfordern, bei
einem Upright aber noch aufwändiger den Austausch des Rahmens (außer man
akzeptiert mal zum Ausprobieren eine suboptimale Sitzposition).
Post by Wolfgang StroblDer Mensch ist ein aufrecht gehendes Lauftier. Die nach vorne gebeugte
Haltung eines Läufers läßt sich kaum besser annähern als durch die
Haltung auf einem konventionellen Fahrrad.
Der Mensch ist ein faules Tier. :-} Die sitzend-liegende Haltung ist auf
langen Strecken deutlich entspannender und benötigt weniger Stützkraft.
Der Unterschied ist nach langen Etappen deutlich bemerkbar. Ich habe
untrainiert auf dem Liegerad auf der ersten Fahrt 90 km zurückgelegt.
Während ich im gleichen Jahr auf dem Upright auf gleichen, aber kürzeren
Strecken deutlich erschöpft war, ging das auf dem Liegerad "ohne
Zipperlein", spurlos vorbei.
Post by Wolfgang StroblAnlaufen und aufspringen
oder aus der Fahrt heraus abspringen ist mit einem Liegerad kaum
möglich, gehört beim konventionellen Rad aber zum ohne besondere
Umstände genutzten Repertoire.
ja
Post by Wolfgang StroblÜber die Relevanz des fehlenden Wiegetritts resp. des Aufstehens am Berg
läßt sich streiten. Wenn die Umstände günstig sind, ist es egal oder
läßt sich durch aufwendigere Technik (größerer Übersetzungsbereich der
Schaltung) kompensieren. Einige Liegeradfahrer behaupten auch, durch
Abstützen am Sessel einen ähnlichen Effekt erzielen zu können wie es der
Wiegetritt oder das Aufstehen beim konventionellen Fahrrad bewirkt.
Die Behauptung ist richtig. Ich muß aufpassen, daß ich mit dem Liegerad
nicht zu langsam und mit zuviel Kraft trete, gerade weil das dort zu
leicht möglich ist, viel mehr als auf dem Upright, und schwer auf die
Knie geht. Ungünstig ist dabei, daß die Knie stärker angewinkelt sind
als beim Wiegetritt.
Post by Wolfgang StroblDennoch: Radfahrer bewältigen mit vergleichsweise preiswerten und
einfach gebauten Rennrädern Berge und andere Hindernisparcours, um die
Liegeradfahrer i.A. einen großen Bogen machen.
Dauerhaft 15% Steigung sind mit allen meinen Rädern drin. Darauf sind
sie ausgerichtet. Gut, das Upright mit der Speedhub könnte man noch
steilere Berge im Wiegetritt hochquälen. Aber ist diese Anwendung
wirklich relevant? Umgekehrt bin ich mit dem Liegerad auch schon die
23% des Oberhausbergs hochgefahren. Ich fahre Touren im Bayerischen Wald
mit dem Liegerad.
Mein Fazit: Das Liegerad ist für mich ideal, um längere Touren
zurückzulegen und entspannt anzukommen. Steigungen spielen dabei kaum
eine Rolle. Es ist in der Ebene schneller als meine anderen Fahrräder.
--
A || Bernd Sluka
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