Discussion:
Marrakesch: Buecher füer Blinde und Sehbehinderte
(zu alt für eine Antwort)
Juergen Barsuhn
2017-06-29 19:28:19 UTC
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Bücher sind für blinde und sehbehinderte Menschen nicht direkt
zugänglich. Nur ein kleiner Bruchteil aller Bücher wird auch in die
tastbare Brailleschrift übertragen. Diese Bücher sind natürlich
voluminös. Von größerer Bedeutung sind heutzutage Hörbücher. Im
DAISY-Format findet ein Hörbuch mit 50 Stunden Sprechzeit auf einer
einzigen CD Platz. Obwohl Hörbücher gegenwärtig auch von nicht
behinderten Menschen gelesen bzw gehört werden und dementsprechend
manche Verlage Neuerscheinungen auch als Hörbuch anbieten, ist doch nur
etwa 5 Prozent des Buchbestandes auch barrierefrei verfügbar. Um so
wichtiger erscheint es dann, dass die im Auftrag von Blindenbüchereien
angefertigten Hör- und Punktschriftbücher weltweit für visuell
behinderte Menschen erreichbar sind. Hierüber hat die World Blind Union
(WBU) mit der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) einen
Vertrag geschlossen, der noch von den einzelnen Staaten ratifiziert
werden muss, um gültig zu werden.

Zum gegenwärtigen Stand des Verfahrens schreibt der Deutsche Blinden-
und Sehbehindertenverband (DBSV) in seinem neusten Newsletter DBSV-direkt:

[dbsv-direkt] Nr. 18-17 EU macht Weg für Ratifizierung des
Marrakesch-Vertrages frei

am vergangenen Mittwoch haben sich Verhandlungsführer des Europäischen
Parlaments und des Ministerrates auf zwei Gesetzestexte zur Umsetzung
des Marrakesch-Vertrages innerhalb der Europäischen Union und mit
Drittstaaten außerhalb der EU geeinigt. Diese noch informelle Einigung
macht den Weg frei für die Ratifizierung des Übereinkommens der
Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) durch die EU. Darin
werden die Produktion und der grenzüberschreitende Austausch von
barrierefreier Literatur zugunsten blinder, sehbehinderter und
lesebehinderter Menschen geregelt.

Zwei Monate lang haben die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten und das
EU-Parlament über Feinheiten der rechtlichen Umsetzung des
Marrakesch-Vertrages gestritten. In diesem Prozess hat die Europäische
Blindenunion (EBU) all ihre Einflussmöglichkeiten genutzt. So konnte
durchgesetzt werden, dass es EU-Mitgliedsstaaten untersagt wird,
Bestimmungen in ihr Urheberrecht aufzunehmen, die Blindenbüchereien vor
der Produktion eines Buches zur Prüfung verpflichten, ob der jeweilige
Titel bereits in einem barrierefreien Format im Handel verfügbar ist.

Trotz dieses Verhandlungserfolgs besteht die Gefahr, dass deutsche
Blindenbüchereien weiterhin auf unnötigen Kosten sitzenbleiben. Denn die
EU erlaubt ihren Mitgliedern, so genannte Ausgleichsabgaberegelungen in
ihr Urheberrecht aufzunehmen. Dies könnte bedeuten, dass deutsche
Blindenbüchereien für die Produktion barrierefreier Werke auch weiterhin
eine Ausgleichszahlung an die Verwertungsgesellschaft VG Wort entrichten
müssen.

Der DBSV begrüßt die Einigung auf EU-Ebene. „Die jahrelange Arbeit der
internationalen Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe zahlt sich aus“,
freut sich DBSV-Präsidentin Renate Reymann. „Endlich kann es mit dem
Marrakesch-Vertrag auch in Europa weitergehen.“ Angesichts der hohen
Produktionskosten und geringer staatlicher Zuschüsse kritisiert sie
allerdings die Ausgleichszahlungen für die Blindenbüchereien. „Blinde
und sehbehinderte Menschen können nicht für das Versagen des
kommerziellen Buchhandels, barrierefreie Bücher zu veröffentlichen,
bezahlen“, stellt die Präsidentin fest. „Der DBSV wird darauf drängen,
dass die Ausgleichsregelungen aus dem deutschen Urheberrecht gestrichen
werden.“

Im Juli wird das Europäische Parlament die rechtliche Umsetzung des
Marrakesch-Vertrages formal verabschieden. Anschließend haben die
EU-Mitgliedsstaaten ein Jahr Zeit, die Bestimmungen des Vertrages in ihr
nationales Urheberrecht zu überführen. Innerhalb dieser Frist muss auch
die EU den Marrakesch-Vertrag ratifizieren, um formal Vertragspartei des
Übereinkommens zu werden.

Ende des Zitats
Walter Schmid
2017-06-30 06:34:43 UTC
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Post by Juergen Barsuhn
Ende des Zitats
Noch vor 10 Jahren hätte ich dies unterstützt. Heute genügt ein
Scanner und eine Vorlese-App. Die Barriere ist dann ganz billig
weg. Man kann dabei erst noch das Vorlese-Tempo nach Belieben
einstellen. Mit welchem Recht dürfen Behinderte eine Luxus-Lösung
verlangen, wenn es schon eine praktikable Lösung gibt?


Gruss

Walter
--
Ich bin für ein "Recht auf *leistungsgerecht* bezahlte
Arbeit"! Eine allfällige Differenz zum Mindest- oder
Branchen-Lohn muss der Staat übernehmen.
Juergen Barsuhn
2017-07-01 00:53:52 UTC
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Post by Walter Schmid
Post by Juergen Barsuhn
Ende des Zitats
Noch vor 10 Jahren hätte ich dies unterstützt. Heute genügt ein
Scanner und eine Vorlese-App. Die Barriere ist dann ganz billig
weg.
Hast du dir schon einmal ein Buch mit synthetischer Stimme vorlesen
lassen? Vermutlich nicht, denn sonst würdest du diesen Vorschlag nicht
machen. Ein Synthesizer ist für Geschäftsbriefe und kurze Artikel z.B.
aus dem Internet gut geeignet, auch für den Text dieser Diskussion. Ein
literarisches Werk wird jedoch durch die synthetische Wiedergabe zerstört.
Post by Walter Schmid
Man kann dabei erst noch das Vorlese-Tempo nach Belieben
einstellen.
Das ist natürlich auch bei Hörbüchern möglich, die heute alle digital
z.B. im MP3-Format (zum Platz Sparen) aufgenommen werden.
Post by Walter Schmid
Mit welchem Recht dürfen Behinderte eine Luxus-Lösung
verlangen, wenn es schon eine praktikable Lösung gibt?
Die deutschen Blindenhörbüchereien haben bereits einen großen Bestand an
Hörbüchern und werden im Rahmen ihres durch Spenden gespeisten Etats
auch weitere Hörbücher herstellen. Diese sollen aber dann auch im
Ausland an Blinde oder Sehbehinderte ausgeliehen werden dürfen, die
deutschsprachige Texte hören möchten.

Dabei handelt es sich nicht um Luxus, sondern um den Versuch, diesen
Menschen eine gleichberechtigte Teilnahme am kulturellen Leben zu
ermöglichen.

Gruß
Jürgen
Jan Junghanns
2017-10-09 16:54:19 UTC
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Post by Walter Schmid
Post by Juergen Barsuhn
Ende des Zitats
Noch vor 10 Jahren hätte ich dies unterstützt. Heute genügt ein
Scanner und eine Vorlese-App. Die Barriere ist dann ganz billig
weg. Man kann dabei erst noch das Vorlese-Tempo nach Belieben
einstellen. Mit welchem Recht dürfen Behinderte eine Luxus-Lösung
verlangen, wenn es schon eine praktikable Lösung gibt?
Blinde sind nicht behindert. Sie sind *sehtechnisch herausgefordert*.
Bitte keine diskriminierende Sprache verwenden.

Jan
Juergen Barsuhn
2017-10-09 20:36:45 UTC
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Am 09.10.2017 um 18:54 schrieb Jan Junghanns:

.....
Post by Jan Junghanns
Blinde sind nicht behindert. Sie sind *sehtechnisch herausgefordert*.
Bitte keine diskriminierende Sprache verwenden.
Ich bin sehbehindert. Ich werde durch das Wort behindert nicht
diskriminiert. Vielmehr wird auf diese Weise angemessen beschrieben,
dass ich beispielsweise eine Tafel der Abfahrzeiten von Zügen oder
Bussen nicht mehr lesen kann, auch nicht mit einer Brille oder einem
Fernglas. Die Bezeichnung "sehtechnisch herausgefordert" empfände ich
als Veralberung, auch wenn eines Tages technische Hilfen zur Lösung des
Problems vorhanden sein werden.

Gruß
Jürgen
Otto Zuckmueller
2017-10-10 05:18:04 UTC
Permalink
Post by Juergen Barsuhn
.....
Post by Jan Junghanns
Blinde sind nicht behindert. Sie sind *sehtechnisch herausgefordert*.
Bitte keine diskriminierende Sprache verwenden.
Ich bin sehbehindert. Ich werde durch das Wort behindert nicht
diskriminiert. Vielmehr wird auf diese Weise angemessen beschrieben,
dass ich beispielsweise eine Tafel der Abfahrzeiten von Zügen oder
Bussen nicht mehr lesen kann, auch nicht mit einer Brille oder einem
Fernglas. Die Bezeichnung "sehtechnisch herausgefordert" empfände ich
als Veralberung, auch wenn eines Tages technische Hilfen zur Lösung des
Problems vorhanden sein werden.
Da sind wir ja zwei. Ich bin auch sehbehindert und finde die
hohlhirnigen Wortneuschöpfungen der Political Correctness ebenso dumm
wie beleidigend. Ich hörte für Sehbehinderte und Blinde schon Sachen wie
"optisch schwächelnd", "visuell herausgefordert", "Augenhandicap".

Otto
Peter J. Holzer
2017-10-10 18:46:31 UTC
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Post by Otto Zuckmueller
Post by Juergen Barsuhn
Post by Jan Junghanns
Blinde sind nicht behindert. Sie sind *sehtechnisch herausgefordert*.
Bitte keine diskriminierende Sprache verwenden.
Ich bin sehbehindert. Ich werde durch das Wort behindert nicht
diskriminiert. Vielmehr wird auf diese Weise angemessen beschrieben,
dass ich beispielsweise eine Tafel der Abfahrzeiten von Zügen oder
Bussen nicht mehr lesen kann, auch nicht mit einer Brille oder einem
Fernglas. Die Bezeichnung "sehtechnisch herausgefordert" empfände ich
als Veralberung, auch wenn eines Tages technische Hilfen zur Lösung des
Problems vorhanden sein werden.
Da sind wir ja zwei. Ich bin auch sehbehindert und finde die
hohlhirnigen Wortneuschöpfungen der Political Correctness ebenso dumm
wie beleidigend. Ich hörte für Sehbehinderte und Blinde schon Sachen wie
"optisch schwächelnd", "visuell herausgefordert", "Augenhandicap".
Üblicherweise vermutlich von Leuten, die mit politischer Correctness gar
nichts am Hut haben.

hp
--
_ | Peter J. Holzer | Fluch der elektronischen Textverarbeitung:
|_|_) | | Man feilt solange an seinen Text um, bis
| | | ***@hjp.at | die Satzbestandteile des Satzes nicht mehr
__/ | http://www.hjp.at/ | zusammenpaßt. -- Ralph Babel
Juergen Barsuhn
2017-10-11 19:46:58 UTC
Permalink
Post by Otto Zuckmueller
Post by Juergen Barsuhn
.....
Post by Jan Junghanns
Blinde sind nicht behindert. Sie sind *sehtechnisch herausgefordert*.
Bitte keine diskriminierende Sprache verwenden.
Ich bin sehbehindert. Ich werde durch das Wort behindert nicht
diskriminiert. Vielmehr wird auf diese Weise angemessen beschrieben,
dass ich beispielsweise eine Tafel der Abfahrzeiten von Zügen oder
Bussen nicht mehr lesen kann, auch nicht mit einer Brille oder einem
Fernglas. Die Bezeichnung "sehtechnisch herausgefordert" empfände ich
als Veralberung, auch wenn eines Tages technische Hilfen zur Lösung des
Problems vorhanden sein werden.
Da sind wir ja zwei. Ich bin auch sehbehindert und finde die
hohlhirnigen Wortneuschöpfungen der Political Correctness ebenso dumm
wie beleidigend. Ich hörte für Sehbehinderte und Blinde schon Sachen wie
"optisch schwächelnd", "visuell herausgefordert", "Augenhandicap".
Jan hat noch an anderer Stelle in dieser Newsgruppe gepostet. Daraus
geht hervor, dass er seinen Beitrag ironisch meint und Wortschöpfungen
der angeblichen political correctness ablehnt. Das habe ich zunächst
nicht bemerkt - Ironie im Usenet ist eben problematisch.

Ach ja, und wenn du im de-Usenet eine Newsgruppe auch für Sehbehinderte
suchst: de.soc.handicap
Ich hoffe, der Name stört dich nicht zu sehr.

Gruß
Jürgen

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