Post by Ludger AverborgDeutschland hatte doch bis zum Einmarsch der Amerikaner
überhaupt kaum Kontakt zu Schwarzen/Negern und folglich auch
keine negative Einstellung. Die deutsche Haltung zu diesen
Personen war durch das Stricken von Wollhandschuhen und
warmen Mützen für diesen als "arm" angesehenen Personenkreis
gekennzeichnet.
Das scheint mir falsch, denn Karl Kraus schrieb folgendes schon 1913:
| Der Neger
| In Hamburg, nöch, scheint'n Mann zu leben, der 'ne Annäherung
| Weißer an Schwarze und vice versa, wie das so kommt, wenn bei
| Hagenbeck 'ne Ausstellung ist, mal partout nich vertragen kann.
| Müssen dolle Dinge passiert sein, nöch, und so was wird man denn
| sein Leben lang nicht los.
| Das ist der Mann, von dem alle die Aufschreie in den ›Hamburger
| Nachrichten‹ herrühren, und der nun ruft:
|
|" Pfui!
|"
|" Die Usambara-Post (26. Juli) bringt folgenden Brief eines deutschen
|" Mädchens (natürlich Berlinerin), der an einen Europäer in Tanga
|" geschickt wurde, bei dem der Herr Mambo angestellt sein sollte,
|" jedoch wahrscheinlich an die falsche Adresse ging:
|"
|" Sehr geehrter und lieber Herr Mambo!
|" Entschuldigen Sie, bitte, wenn ich als eine Ihnen bisher gänzlich
|" Unbekannte mich mit einer sehr großen Bitte an Sie wende und mich
|" den Ausführungen Ihres Sohnes Josef, dessen Brief Sie vielleicht
|" inzwischen schon erhalten haben werden, anschließe. — Ich verkehre
|" seit länger als einem halben Jahr mit Ihrem Sohn hier in Berlin.
|" Nun werden mir aber von seiten eines andern Mädchens, mit dem Ihr
|" Sohn vorher verkehrte, große Schwierigkeiten gemacht, die einen
|" weiteren Verkehr hier mit ihm fast zur Unmöglichkeit machen. Wie
|" ich schon erwähnte, verkehre ich jetzt über ein Jahr mit Ihrem
|" Herrn Sohn und habe ihn in dieser kurzen Zeit so kennen und lieben
|" gelernt, daß ich ohne ihn nicht mehr leben könnte. Ich selbst bin
|" hier in Berlin im Bureau beschäftigt, verdiene aber leider nicht so
|" viel, daß ich mir die 700 Mark Reisegeld hätte zusammensparen können,
|" sonst, wenn mein Verdienst danach wäre, hätte ich mir gern jeden
|" Pfennig abgespart, um ihn für das Reisegeld für uns beide
|" zurückzulegen. Ich würde Ihnen darum unendlich dankbar sein, wenn
|" Sie den Bitten Ihres Sohnes und auch meiner Bitte entsprechen und
|" das Geld schicken würden, es soll ja nur geborgt sein, wenn wir erst
|" drüben sind, will ich gleich wieder in Stellung gehen und Ihnen dann
|" alles auf Heller und Pfennig zurückgeben. Ich möchte ja so furchtbar
|" gern einmal nach Tanga kommen, erstens, um meinen Josef dann ganz für
|" mich haben zu können, und dann auch, um seine lieben Eltern einmal
|" kennen zu lernen. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, daß ich mit
|" einer so unbescheidenen Bitte an Sie herantrete, wo Sie noch gar
|" nicht einmal wissen können, ob ich es überhaupt würdig bin, von Ihnen
|" aufgenommen zu werden, aber ich werde mich ganz gewiß dessen würdig
|" erzeigen! Rechnen Sie bitte meine Unbescheidenheit meiner großen
|" Liebe zu, die mich mit Ihrem Sohn verbindet! ... Ich gebe mich der
|" kühnen Hoffnung hin, daß Sie vielleicht meinem und auch dem Wunsche
|" Ihres Sohnes Rechnung tragen werden, und erlaube mir, Sie wie auch
|" Ihre Frau Gemahlin unbekannterweise herzlichst zu begrüßen.
|"
|" Ihre ganz ergebene H.O. (Folgt genaue Adresse.)
|"
|" Es ekelt einen, wenn man dieses brünstige Geschwätz liest, und wir
|" bedauern nur, daß die Usambara-Post so rücksichtsvoll gewesen ist,
|" den Namen der Schreiberin nicht zu nennen. Solchen Geistern und
|" Gesinnungsgenossinnen, die es leider ja auch in Hamburg gibt, kann
|" man nur beikommen und sie zur Vernunft bringen, indem man sie offen
|" an den Pranger stellt. In welcher Schule mag wohl die
|" Briefschreiberin gewesen sein, daß sie alle Scham vermissen läßt und
|" so offen bekennt, daß sie sich an einen Neger wegwirft! ...
| Wie schwer es unter solchen Umständen ist, den Wunsch zu unterdrücken,
| einmal dabei zu sein, wie dieser Schriftleiter dabei ist, wie seine
| Begleiterin sich an einen bei Hagenbeck ausgestellten Neger eben
| wegzuwerfen beginnt, noch — das läßt sich gar nicht sagen! Und noch
| weniger, wie man es bedauern muß, daß man nicht schon früher einmal
| dabei war. Es ließe sich akkurat der Moment feststellen, wo die
| angesammelte Tobsucht zu jenem Pfui! erstarrt. Und prüfen, ob dieses
| Pfui! nicht noch immer brünstiger sei als der Brief der Schreiberin,
| und ob es nicht kulturvoller wäre, den Namen des Schreibers an den
| Pranger zu stellen, der für den frechen Raub eines Briefes kein Pfui
| hat. Ich brauche nicht erst zu sagen, aus welchem Zusammenleben mir
| eine bessere Menschenhoffnung zu erblühen scheint, aus dem der
| Berlinerin mit ihrem Mambo oder aus der Einheirat, die die deutschen
| »Schriftleiter« rekommandieren. Auch sei es ferne von mir, die Neger
| durch die Versicherung kränken zu wollen, daß ich, wiewohl ich nur zwei
| von ihnen kennen gelernt habe und zweihundert deutsche Schriftleiter,
| nicht zweifle, bei welcher Rasse mehr Verstand, Menschlichkeit und Güte
| ist. Freilich sind die Schriftleiter zwar die Beherrscher, doch nicht
| die Auslese der Zivilisation.
| Darum ist es aber wichtig, ausdrücklich festzustellen, daß ich
| einmal einen Neger gesehen habe, der der Kulturlosigkeit einer
| ganzen Stadt ausgeliefert war und mir den Eindruck einer unter
| die Kaffern geratenen weißen Seele machte. Er war Chauffeur und
| er machte nicht nur an und für sich unter den Leuten, durch die
| er hindurch mußte, den Eindruck eines Gentleman, sondern er blieb
| es auch, als sie die ihnen innewohnende Gemeinheit an ihm sich
| austoben ließen. Denn nicht nur, daß das stereotype Spalier offener
| Mäuler und gereckter Arme ihn begleitete und der ewige Ruf:
| »A Näägaa —!« aus dem Boden sprang und wie festgewurzelt dastand,
| wenn er mit seinem Automobil vorüberflitzte — wir hörten auch, wenn
| ein Wachmann den Verkehr aufhielt, Sentenzen, Ratschläge,
| Verwünschungen wie: »Geh hörst'rr schau drr den schwoazen Murl an!«,
| »Hörst Muri, wosch di o!«, »Na woart du schwoaza Pülcher!«,
| »Geh ham, Schwoazer, verschandelst uns jo die gonze Stodt!«,
| »Do fohr oba, zur Daunau und wosch diii —!«, »Hörst, wann i di
| drwisch, nacher schau di an, schwoaza Kinäsa!«, »Jessas, a
| narrischer Indianer!«, »Aschanti vadächtigaa —!«, »Tepataa —!«,
| »Stinkataa —!« Ein Denker hielt sich die Stirn und rief: »Ah — jetzt
| waß i ollas!« Was, verriet er nicht. Eine Megäre, deren Säfte in
| Wallung kamen, rettete sich in einen Lachkrampf, ihren Begleiter
| fragend: »Hirst, is dr der am ganzen Kirper schwoaz?« Das Automobil
| entflieht, und auf meine Frage, wie ihm das Leben gefalle, antwortet,
| die Achsel zuckend, dieser Schwarze im reinsten Deutsch: »Ach, die
| Wiener haben eben keine Kultur.«
| ...
Karl Kraus: Untergang der Welt durch schwarze Magie
https://www.textlog.de/39139.html
Die Haltung war also 1913 vor allen Dingen von Verachtung und Rassismus
gekennzeichnet.
Tschüß
--
Thomas Heuving