Discussion:
SINLSP
(zu alt für eine Antwort)
Helmut Richter
2018-06-01 20:21:41 UTC
Permalink
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Ist das eine Kreuzung von Herbert Heckmann und Walter Jens, beides
sprachgewaltige Autoren?

Einen Jens Walter Heckmann dagegen kennt nicht mal Tante Gu.

Was weißt du über den Ursprung dieses Zitats?
--
Helmut Richter
Gerd Thieme
2018-06-01 20:50:54 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Ist das eine Kreuzung von Herbert Heckmann und Walter Jens, beides
sprachgewaltige Autoren?
Meine Vermutung: Walter Jens.

Herbert Heckmann ist mir unbekannt.
Post by Helmut Richter
Einen Jens Walter Heckmann dagegen kennt nicht mal Tante Gu.
JWH hat immer aus Frankreich und mit X-No-Archiv:Yes gepostet.
Augenscheinlich auch stets aufwendig über diverse Umwege.
Post by Helmut Richter
Was weißt du über den Ursprung dieses Zitats?
Deine Unkenntnis wundert mich. Ich dachte, Du wärest länger dabei als
ich.

JWH war der bei weitem sprachgewaltigste Schreiber in d.e.s.d, den ich
erlebt habe. Mein Zitat ist seine Standardantwort, mit der er
Halbgebildete abbügelte.

Jens Walter Heckmann verschwand, als in den Medien die Demenz von Walter
Jens zum Thema wurde. Die zeitliche Korrelation, die sprachliche
Kompetenz und der ähnliche Name verleiten zu Vermutungen.

Es stellt sich die Frage: Ist Herbert Heckmann ein Pseudonym von Walter
Jens?

Gerd
--
Wahre Worte sind nicht schön. Schöne Worte sind nicht wahr.
Helmut Richter
2018-06-02 10:29:48 UTC
Permalink
Post by Gerd Thieme
Post by Helmut Richter
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Ist das eine Kreuzung von Herbert Heckmann und Walter Jens, beides
sprachgewaltige Autoren?
Meine Vermutung: Walter Jens.
Herbert Heckmann ist mir unbekannt.
Post by Helmut Richter
Einen Jens Walter Heckmann dagegen kennt nicht mal Tante Gu.
JWH hat immer aus Frankreich und mit X-No-Archiv:Yes gepostet.
Augenscheinlich auch stets aufwendig über diverse Umwege.
Ich habe tatsächlich einen einzigen Beitrag von ihm gefunden, in einem
Thread aus dem Jahr 1998, in dem ich mittelbar auf ihn geantwortet habe. Er
hatte eine E-Mail-Adresse bei axime-is.fr

Aber er ist mir nicht so oft über den Weg gelaufen, dass ich mich seiner
erinnern würde.
Post by Gerd Thieme
Post by Helmut Richter
Was weißt du über den Ursprung dieses Zitats?
Deine Unkenntnis wundert mich. Ich dachte, Du wärest länger dabei als
ich.
Das Zitat kenne ich freilich. Irgendwann hat es mal jemand im Zusammenhang
mit einem Philosophen oder Philologen im späten 19. Jhdt. genannt. In dem
Umfeld habe ich gesucht, ohne fündig zu werden.
Post by Gerd Thieme
JWH war der bei weitem sprachgewaltigste Schreiber in d.e.s.d, den ich
erlebt habe. Mein Zitat ist seine Standardantwort, mit der er
Halbgebildete abbügelte.
Jens Walter Heckmann verschwand, als in den Medien die Demenz von Walter
Jens zum Thema wurde. Die zeitliche Korrelation, die sprachliche
Kompetenz und der ähnliche Name verleiten zu Vermutungen.
Möglich.
Post by Gerd Thieme
Es stellt sich die Frage: Ist Herbert Heckmann ein Pseudonym von Walter
Jens?
Eher unwahrscheinlich.

Die beiden Namen tauchen beide im Jahrbuch 1995 der Deutschen Akademie für
Sprache und Dichtung auf, als zwei verschiedene Personen mit eigenen
Biographien. So viele sind das nicht; sie können gut einander gekannt haben.

--
Helmut Richter
Martin Gerdes
2018-06-02 13:13:56 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Post by Gerd Thieme
Post by Helmut Richter
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Ist das eine Kreuzung von Herbert Heckmann und Walter Jens, beides
sprachgewaltige Autoren?
Einen Jens Walter Heckmann dagegen kennt nicht mal Tante Gu.
Das ist bekannt und erstaunlich. Man hätte erwartet, daß ein so
sprachgewaltiger Mensch öffentliche Datenspuren hinterläßt.

Irgendeiner hat mal vermutet, daß JWH ein Pseudonym gewesen sei.
Post by Helmut Richter
Post by Gerd Thieme
JWH hat immer aus Frankreich und mit X-No-Archiv:Yes gepostet.
Ersteres ja, zweiteres nein.
Post by Helmut Richter
Post by Gerd Thieme
Augenscheinlich auch stets aufwendig über diverse Umwege.
Wie kommst Du darauf?
Post by Helmut Richter
Ich habe tatsächlich einen einzigen Beitrag von ihm gefunden, in einem
Thread aus dem Jahr 1998, in dem ich mittelbar auf ihn geantwortet habe. Er
hatte eine E-Mail-Adresse bei axime-is.fr
Jepp.
Post by Helmut Richter
Aber er ist mir nicht so oft über den Weg gelaufen, dass ich mich seiner
erinnern würde.
Jungfuchs!

Jens Walter Heckmann war jahrelang Regular und quasi letzte Instanz hier
(etwa so wie Steve).
Post by Helmut Richter
Post by Gerd Thieme
Post by Helmut Richter
Was weißt du über den Ursprung dieses Zitats?
Deine Unkenntnis wundert mich. Ich dachte, Du wärest länger dabei als
ich.
Das Zitat kenne ich freilich. Irgendwann hat es mal jemand im Zusammenhang
mit einem Philosophen oder Philologen im späten 19. Jhdt. genannt. In dem
Umfeld habe ich gesucht, ohne fündig zu werden.
Den Spruch "Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch" hat man
früher, in der Vor-Chat-Zeit hierzugroup alle Naselang gelesen. Ich weiß
aber nicht, wer ihn geprägt hat oder woher er kommt.
Post by Helmut Richter
Post by Gerd Thieme
JWH war der bei weitem sprachgewaltigste Schreiber in d.e.s.d, den ich
erlebt habe. Mein Zitat ist seine Standardantwort, mit der er
Halbgebildete abbügelte.
Jens Walter Heckmann verschwand, als in den Medien die Demenz von Walter
Jens zum Thema wurde. Die zeitliche Korrelation, die sprachliche
Kompetenz und der ähnliche Name verleiten zu Vermutungen.
Möglich.
Ich glaube das nicht.
Gerd Thieme
2018-06-03 20:53:03 UTC
Permalink
Post by Martin Gerdes
Post by Gerd Thieme
JWH hat immer aus Frankreich und mit X-No-Archiv:Yes gepostet.
Ersteres ja, zweiteres nein.
Stimmt, die Gugel findet ihn.
Post by Martin Gerdes
Post by Gerd Thieme
Augenscheinlich auch stets aufwendig über diverse Umwege.
Wie kommst Du darauf?
Aufgeschnappte Randbemerkung eines anderen Posters über die mehrstufige
Weiterleitung seiner Post. Keine Belege, denn vor 20 Jahren habe ich mit
AOL gepostet, und davon ist nichts geblieben.

Gerd
--
Die Technik entwickelt sich vom Primitiven über das Komplizierte
zum Einfachen (Antoine de Saint-Exupéry)
Stephen Hust
2018-06-02 14:50:48 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
[...]
Post by Helmut Richter
Das Zitat kenne ich freilich. Irgendwann hat es mal jemand im Zusammenhang
mit einem Philosophen oder Philologen im späten 19. Jhdt. genannt. In dem
Umfeld habe ich gesucht, ohne fündig zu werden.
Ein ähnliches Zitat aus dem 20. Jahrhundert ist schon ein paar Mal in
dieser Gruppe erwähnt worden:

| Kurzum, die Sprache ist nicht logisch, sondern launisch.
|
(Ludwig Reiners, "Stilkunst", C. H. Beck, 2. Auflage der neubearbeiteten
Ausgabe, 2004 (Originalausgabe: 1943), S. 181. Es stellt sich die Frage,
ob das Zitat sich auch in der Originalausgabe findet).

<https://books.google.com/books?id=scRd4cdd-1IC&lpg=PP1&dq=%22stilkunst%22%20inauthor%3A%22Ludwig%20Reiners%22&pg=PA181#v=onepage&q=launisch&f=false>

Hier ("Sprachspiegel", aber aus welchem Jahr?) wird das Zitat - oder der
Gedanke - einem gewissen Voßler (Karl?) zugeschrieben:

| Die Sprache ist nämlich – wie Voßler einmal gesagt hat – nicht
| logisch, sondern launisch.

<https://www.google.com/search?hl=en&tbm=bks&ei=0Z4SW7H5IIupjwT4vZ7IAg&q=%22sprache+ist+n%C3%A4mlich%22+%22vo%C3%9Fler%22&oq=%22sprache+ist+n%C3%A4mlich%22+%22vo%C3%9Fler%22&gs_l=psy-ab.3...11600.16500.0.16700.13.12.0.0.0.0.900.1200.3-1j6-1.2.0....0...1c.1.64.psy-ab..11.0.0....0.rd7hdgzqGn4>

<https://books.google.com/books?id=xWQ_AQAAIAAJ&q=%22sprache+ist+n%C3%A4mlich%22+%22vo%C3%9Fler%22&dq=%22sprache+ist+n%C3%A4mlich%22+%22vo%C3%9Fler%22&hl=en&sa=X&ved=0ahUKEwjLu-eHjrXbAhXGxYMKHfUqBu0Q6AEIJzAA>

<https://books.google.com/books?id=xWQ_AQAAIAAJ&q=%22logisch+sondern+launisch%22&dq=%22logisch+sondern+launisch%22&hl=en&sa=X&ved=0ahUKEwiFoaaojLXbAhWJ3oMKHSOUBY0Q6AEILzAB>

Von Karl Voßler konnte ich bisher nur das finden:

| Die Sprache aber ist nun einmal nicht logisch, und darf der logischen
| Betrachtung nicht unterworfen werden.
|
(Karl Voßler, "Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft",
Heidelberg, 1904, S. 46.)

<https://archive.org/stream/positivismusund00vossgoog#page/n59/mode/2up/search/logisch>

Oder mit "launisch" ("capricious"):

| Routine, and familiarity with the mechanisms and functions of language
| usage, are useful and necessary to the linguist; but they only too
| often form in him the habit of an unquestioning certainty, which has
| repeatedly to be broken by the realization that he is dealing with an
| essentially fantastic, aesthitic, and therefore capricious object.
|
(Karl Vossler, "The Spirit of Language in Civilization", translated by
Oscar Oeser, London, 1932, p. 231.)

<https://archive.org/stream/in.ernet.dli.2015.221575/2015.221575.The-Sprit#page/n239/mode/2up/search/capricious>

Auf Deutsch finde ich nur den letzten Teil des Satzes:

| [...] durch das Bewußtsein, daß er mit einem wesentlich
| phantastischen, ästhetischen und daher äußerst launischen Gegenstande
| zu tun hat, immer wieder gebrochen werden muß.
|
(Karl Vossler, "Geist und Kultur in der Sprache", 1925, S. 258 (?).)

<https://books.google.com/books?id=keC2AAAAIAAJ&dq=editions%3A1LElF8dQcpIC&focus=searchwithinvolume&q=launischen>
--
Steve

My e-mail address works as is.
Christina Kunze
2018-06-03 19:54:33 UTC
Permalink
Post by Gerd Thieme
JWH war der bei weitem sprachgewaltigste Schreiber in d.e.s.d,
Und nicht nur da.
Ich glaube, wir haben den Namen damals nicht abgekürzt, sonst wäre mir
das da schon aufgefallen.

chr
Gerd Thieme
2018-06-03 21:10:01 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Was weißt du über den Ursprung dieses Zitats?
2004 wurde auch schon darüber nachgegrübelt. Martin Gerdes machte damals
Frank Husel als vermeintlichen Autor ausfindig. Meine damalige
Erwiderung enthielt die Message-ID <6lu961$***@geres.axime-is.fr>, die
auf ein Posting von JWH weist, das wohl etwas älter war.

Gerd
--
Die Stoffkäfig-Haltung von Frauen ist im Straßenbild inzwischen
angeblich eine kulturelle Bereicherung (Udo Ulfkotte)
Heinz Lohmann
2018-06-04 02:06:50 UTC
Permalink
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Zu dem Zitat:

Sprache ist sicher auch nicht unlogisch. Es kommt sehr darauf an, was
man unter Logik und logisch versteht.
--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.
Gerd Thieme
2018-06-04 05:35:32 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Sprache ist sicher auch nicht unlogisch. Es kommt sehr darauf an, was
man unter Logik und logisch versteht.
Ich sehe da drei Möglichkeiten.

• Die klassische Aussagenlogik, an der sich die Philosophen
jahrthundertelang gewetzt haben, ohne sie von der Sprache und von
sprachlichen Paradoxa trennen zu können. Sprache hat sich gegen diese
Form der Vereinnahmung immer störrisch gezeigt. Im Neuhochdeutschen
haben wir zwar endlich die „unlogische“ doppelte Verneinung weitgehend
abgelegt. Das ist aber ein Sonderweg, dem andere Sprachen nicht gefolgt
sind. Jedenfalls ist Sprache in diesem Sinne nicht logisch, sie ist ohne
formalistische Vergewaltigung kaum fähig, logische Aussagen zu
formulieren.

• Die boolesche Algebra, mit der die Mathematiker den Philosophen ihr
Spielzeug weggenommen haben. Sie arbeitet mit Formeln, Sprache ist
nebensächlich. Rückwirkungen auf die Sprache gibt es noch weniger als
durch die verquaste Logik der Philosophen.

• Die umgangssprachliche Vorstellung von Folgerichtigkeit und
Konsistenz. Darauf scheinst Du hinauszuwollen. Aber auch darum schert
sich Sprache nicht. Sie benutzt Regeln nach Gutdünken und mißachtet sie
nach Gutdünken. Was aber nur manchmal „logisch“ ist und manchmal eben
nicht, das ist auch in diesem umgangssprachlichen Sinne durchaus
„unlogisch“.

Rein formal genügt eine einzige Ausnahme von der Logik, um unlogisch zu
sein. Wieviele Ausnahmen hat die [deutsche] Sprache?

Selbst konstruierte Sprachen, die gern mit ihrer Regelmäßigkeit
kokettieren, sind bei genauerem Hinsehen nicht frei von Inkonsistenzen.

SINLSP bringt es auf den Punkt: Logik, Folgerichtigkeit, Regelmäßigkeit,
Konsistenz als vermeintliche Ziele der Sprachentwicklung sind der
Praktikabilität in jeder Hinsicht untergeordnet.

Sie dienen nur fallweise dazu, die Komplexität einer Sprache in
menschlichen Grenzen zu halten; denn während laufend neue
Irregularitäten in eine lebende Sprache aufgenommen werden, müssen alte
ausgeschieden werden, damit alle Sprachen gleich „schwierig“ bleiben.

Gerd
--
Die zehn Gebote sind deshalb so klar, kurz und verständlich, weil sie ohne
Mitwirkung einer Sachverständigenkommission entstanden sind (De Gaulle)
Helmut Richter
2018-06-04 10:29:06 UTC
Permalink
Post by Gerd Thieme
Post by Heinz Lohmann
Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch (Jens Walter Heckmann)
Sprache ist sicher auch nicht unlogisch. Es kommt sehr darauf an, was
man unter Logik und logisch versteht.
Ich sehe da drei Möglichkeiten.
• Die klassische Aussagenlogik, an der sich die Philosophen
jahrthundertelang gewetzt haben, ohne sie von der Sprache und von
sprachlichen Paradoxa trennen zu können. Sprache hat sich gegen diese
Form der Vereinnahmung immer störrisch gezeigt. Im Neuhochdeutschen
haben wir zwar endlich die „unlogische“ doppelte Verneinung weitgehend
abgelegt. Das ist aber ein Sonderweg, dem andere Sprachen nicht gefolgt
sind. Jedenfalls ist Sprache in diesem Sinne nicht logisch, sie ist ohne
formalistische Vergewaltigung kaum fähig, logische Aussagen zu
formulieren.
Auch die doppelte Verneinung ist nicht unlogisch. Unlogisch wäre
beispielsweise, wenn ein mehrfach verneinter Satz verschiedene
Interpretationen zuließe. Man kann aber mit ein wenig Mühe
Interpretationsregeln entwickeln, bei denen die Bedeutung eines Satzes nicht
davon abhängt, ob er eine einfache oder mehrfache Verneinung enthält. Ein
wenig Mühe ist notwendig, weil es Zusätze zur Verneinung gibt wie "noch
nicht", "nicht nur" und "nicht mehr", deren Bedeutung die Bedeutung weiterer
Verneinungen modifiziert wie im Satz:

Er hat ihm nicht nur nicht geholfen, sondern ihn sogar behindert.

Aber ein einfacher Satz wie

Bei uns hat noch nie keiner keinen Mangel nicht gelitten.

(im Bairischen völlig normal) kann kaum missverstanden werden.

Inhaltlich mehrfach verneinte Sätze gibts auch offiziell, z.B. der berühmte
§ 188 BGB:

Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung
abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden,
ist nichtig.
Post by Gerd Thieme
• Die boolesche Algebra, mit der die Mathematiker den Philosophen ihr
Spielzeug weggenommen haben. Sie arbeitet mit Formeln, Sprache ist
nebensächlich. Rückwirkungen auf die Sprache gibt es noch weniger als
durch die verquaste Logik der Philosophen.
Die Boolesche Algebra gehört nicht weniger zur Aussagenlogik als die
Negation eben; insofern gehört das zusammen. Die Aussagenlogik beißt sich
gelegentlich mit der Distributivität in der Sprache, dass ein gemeinsamer
Teil zweier paralleler Satzglieder nur einmal genannt werden muss:

ein Spaß für kleine und große Leute

ist ein Spaß für kleine Leute und für große Leute (distributiv), also ein
Spaß für Leute, die klein *oder* groß sind.

kompetente und freundliche Mitarbeiter

sind aber nicht Mitarbeiter, die kompetent *oder* freundlich sind; vielmehr
sind wohl eher Mitarbeiter gemeint, die kompetent *und* freundlich sind.

Ansonsten zitiere ich mich mal wieder selbst (Rest des Beitrags ist Zitat):

Newsgroups: de.etc.sprache.deutsch
Date: Fri, 12 Oct 2012 21:58:32 +0200
Subject: Re: Fachfrau (was: Die produktive deutsche Sprache)
Post by Gerd Thieme
Post by Heinz Lohmann
Sprache ist nicht immer ganz logisch.
Den Spruch hört man oft. Man könnte fast versucht sein, ihn als eine Parole
von Nicht-Fachleuten anzusehen.
Gegen ihn läßt sich nämlich einwenden, daß Sprache zwar nicht den linearen
Gesetzen der formalen Logik folgt, [...]
Auch das hat eine verstehbare Logik, nur eben nicht die einsträngige der
if-then-else-Logiker.
Mit "logisch" meint man hier "regelmäßig", und zwar *einfachen* Regeln
gehorchend. Eine Regel mitsamt allen in ihr enthaltenen Sonderregeln ist immer
noch eine Regel, und ihre Einhaltung eine Regelmäßigkeit. Und sogar Zufall
könnte eine Regel sein, wenn etwa im Duden stünde, die Adjektivendung sei
durch Würfeln zu ermitteln.

Die "if-then-else-Logiker" möchte ich hier insoweit in Schutz nehmen, als sie
mit ihren "if-then-else"n die Sonderregeln und Ausnahmen sichtbar machen.
Viele Grammatikregeln sehen so aus:

if Fall1 then Regel1 elsif Fall2 then Regel2 ... else Regelx

wobei die Regelx viel öfter zur Anwendung kommt als jede der vorhergehenden,
die man "Ausnahmen" nennt, wenn sie so selten vorkommen, dass man sie
abschließend aufzählen kann, sonst "Sonderregeln".

Der Spruch, Sprache sei nicht immer ganz logisch, ist also sehr oft so
gemeint, dass natürliche Sprache -- nur um die geht es -- sehr viel mehr
Sonderregeln und Ausnahmen enthält als der "if-then-else-Logiker" sie
eingebaut hätte, hätte man ihn die Sprache entwerfen lassen. Unterschiedliche
Sprachen haben da auch unterschiedlich komplexe Sonderregeln; Plansprachen wie
Esperanto versuchen, sie möglichst weitgehend zu vermeiden.

Ich habe jedenfalls jedes Mal viel gelernt, wenn ich versucht habe,
Grammatikregeln in if-then-else-Form umzuschreiben.

--
Helmut Richter
Jakob Achterndiek
2018-06-04 12:16:56 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Ich habe jedenfalls jedes Mal viel gelernt, wenn ich versucht habe,
Grammatikregeln in if-then-else-Form umzuschreiben.
Ich bin versucht zu sagen, Sprache folge zwar in der Tat keiner
if-then-else-Logik, aber dafür einer while-do-Logik: Solange man
nicht etwas ganz Lebensfremdes von ihr verlangt, verhält sie sich
höchst vernünftig.

Man kann, wenn man es ein bißchen plakativ haben möchte, Wittgenstein
verstehen als einen, der im "Tractatus" extrem Unvernünftiges von der
Logik der Sprache verlangt - und dies in den "Untersuchungen" am Ende
eingesehen und richtiggestellt hat.
--
j/\a
Heinz Lohmann
2018-06-05 01:32:50 UTC
Permalink
Post by Gerd Thieme
SINLSP bringt es auf den Punkt: Logik, Folgerichtigkeit, Regelmäßigkeit,
Konsistenz als vermeintliche Ziele der Sprachentwicklung sind der
Praktikabilität in jeder Hinsicht untergeordnet.
Praktisch: Man kann sein Kommunikationsziel erreichen?
Da stimme ich prinzipiell zu.
In manchen Situationen ist dazu natürlich auch ein vernünftiger Kontext
durchaus hilfreich. Vielleicht könnte eine Sprache oft auch noch
deutlicher sein.
Und: Sie hat durchaus noch andere Funktionen. Sie dient nicht nur der
Kommunikation.

Wenn man eine Sprache als Fremdsprache erlernt, findet man bestimmte
Eigenheiten einer Sprache vielleicht eher unpraktisch. Chinesische
Muttersprachler haben da durchaus eigene Vorstellungen über den Nutzen
von Deklination und Konjugation.
(Die Großschreibung der Nomen kommt übrigens allgemein bei taiwanischen
und DaF-Lernern nicht schlecht an.)
Post by Gerd Thieme
Sie dienen nur fallweise dazu, die Komplexität einer Sprache in
menschlichen Grenzen zu halten; denn während laufend neue
Irregularitäten in eine lebende Sprache aufgenommen werden, müssen alte
ausgeschieden werden, damit alle Sprachen gleich „schwierig“ bleiben.
Schwierigkeit: Es kommt darauf an, ob man eine Sprache als
Muttersprachler spricht oder sie (nicht mehr als Kind) als Fremdsprache
erlernt.
Im zweiten Fall erlebt an bei Sprachen durchaus unterschiedliche
Schwierigkeiten,je nach eigener Muttersprache.

Der Satz "Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch": gefällt mir
nicht so ganz, weil er etwas sehr plakativ ist.

Es kommt sehr darauf an, ob er sich auf Muttersprachen oder
Fremdsprachen bezieht. So als allgemeines Mantra weckt der Satz mein
Misstrauen.

Möglicherweise haben einige Sprachen durchaus noch
Verbesserungspotential ...
--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.
Bertel Lund Hansen
2018-06-05 07:01:56 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Der Satz "Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch": gefällt mir
nicht so ganz, weil er etwas sehr plakativ ist.
Ich würde eher sagen, dass die Logik nicht immer so ist, wie man
erwartet.
--
/Bertel - aus Dänemark
Heinz Lohmann
2018-06-06 01:58:29 UTC
Permalink
Post by Bertel Lund Hansen
Post by Heinz Lohmann
Der Satz "Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch": gefällt mir
nicht so ganz, weil er etwas sehr plakativ ist.
Ich würde eher sagen, dass die Logik nicht immer so ist, wie man
erwartet.
Me, too. Gerade bei sehr fremden Sprachen.
Aber auch das dänische hat für deutsche sicher einige Überraschungen zu
bieten, oder?
Wie sind denn so deine Erfahrungen mit den Erfolgen von Ausländern beim
Dänischlernen?
--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.
Bertel Lund Hansen
2018-06-06 04:57:13 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Wie sind denn so deine Erfahrungen mit den Erfolgen von Ausländern beim
Dänischlernen?
Ich habe nicht viele Erfarungen damit. Die Aussprache ist
schwierig, und es hilft nicht, dass mehrere Silben normalerweise
nicht ausgesprochen werden. Die dänische Vokalen sind besonders
schwierig - ich glaube, dass Dänisch die vokalreichste Sprache
ist.

Meine Spanischlehrerin, die in Mexico aufgewachsen ist, sagt,
dass um Dänisch zu lernen muss man zwei Sprachen beherrschen: die
gesprochene und die geschriebene. Deutsch ist in diesem
Verhältnis ganz anders; es ist recht buchstabtreu - Hochdeutsch
mindestens.
--
/Bertel - aus Dänemark
Sergio Gatti
2018-06-06 06:56:14 UTC
Permalink
Post by Bertel Lund Hansen
Post by Heinz Lohmann
Wie sind denn so deine Erfahrungen mit den Erfolgen von Ausländern beim
Dänischlernen?
Ich habe nicht viele Erfarungen damit. Die Aussprache ist
schwierig, und es hilft nicht, dass mehrere Silben normalerweise
nicht ausgesprochen werden. Die dänische Vokalen sind besonders
schwierig - ich glaube, dass Dänisch die vokalreichste Sprache
ist.
Noch mehr Vokale als Englisch?
Bertel Lund Hansen
2018-06-06 07:03:10 UTC
Permalink
Post by Sergio Gatti
Post by Bertel Lund Hansen
schwierig - ich glaube, dass Dänisch die vokalreichste Sprache
ist.
Noch mehr Vokale als Englisch?
Ja. Englische Vokale sind für Dänen kein Problem.
--
/Bertel - aus Dänemark
Christina Kunze
2018-06-06 15:41:06 UTC
Permalink
Post by Bertel Lund Hansen
Post by Heinz Lohmann
Wie sind denn so deine Erfahrungen mit den Erfolgen von Ausländern beim
Dänischlernen?
Eine Verwandte hat es - mit der nötigen Begeisterung fürs Land, aber
nicht mit einem dänischen Partner - sehr weit gebracht, die Leute merken
angeblich nicht, dass sie nicht Muttersprachlerin ist.
Post by Bertel Lund Hansen
Meine Spanischlehrerin, die in Mexico aufgewachsen ist, sagt,
Das hat mich davon abgehalten, das weiter zu betreiben. Es reicht für
passiv schriftlich, weiter bin ich nicht gekommen.

chr
Christian Weisgerber
2018-06-08 21:30:35 UTC
Permalink
Post by Bertel Lund Hansen
Post by Heinz Lohmann
Wie sind denn so deine Erfahrungen mit den Erfolgen von Ausländern beim
Dänischlernen?
Ich habe nicht viele Erfarungen damit. Die Aussprache ist
schwierig, und es hilft nicht, dass mehrere Silben normalerweise
nicht ausgesprochen werden. Die dänische Vokalen sind besonders
schwierig - ich glaube, dass Dänisch die vokalreichste Sprache
ist.
... im Sinn, dass sie die meisten verschiedenen Vokale unterscheidet.

Solche Aussagen sind schwierig, da sie davon abhängen, wie man das
Vokalsystem analysiert. Wikipedia (EN, DA) hat eine Tabelle mit 21
dänischen Vokalphonemen und ihren jeweiligen Allophonen.

Dänisch unterscheidet zweifelsohne arg viel verschiedene Vokale,
aber das tun die germanischen Sprachen allgemein.

Rekordhalter sucht man bei den !Kung-Sprachen im südlichen Afrika:

Juǀʼhoan has four tones. There are five vowel qualities, /i e a
o u/. However, these may be nasalized, glottalized, murmured, or
combinations of these, and most of these possibilities occur both
long and short. The qualities /a/ and /o/ may also be pharyngealized
and strident (epiglottalized). Thus, there are a good 30 vowel
phonemes, perhaps more, depending on one's analysis. There are,
in addition, many vowel sequences and diphthongs.

https://en.wikipedia.org/wiki/Ju%C7%80%27hoan_dialect
--
Christian "naddy" Weisgerber ***@mips.inka.de
Heinz Lohmann
2018-06-09 01:30:07 UTC
Permalink
Post by Christian Weisgerber
Post by Bertel Lund Hansen
Post by Heinz Lohmann
Wie sind denn so deine Erfahrungen mit den Erfolgen von Ausländern beim
Dänischlernen?
Ich habe nicht viele Erfarungen damit. Die Aussprache ist
schwierig, und es hilft nicht, dass mehrere Silben normalerweise
nicht ausgesprochen werden. Die dänische Vokalen sind besonders
schwierig - ich glaube, dass Dänisch die vokalreichste Sprache
ist.
... im Sinn, dass sie die meisten verschiedenen Vokale unterscheidet.
Solche Aussagen sind schwierig, da sie davon abhängen, wie man das
Vokalsystem analysiert. Wikipedia (EN, DA) hat eine Tabelle mit 21
dänischen Vokalphonemen und ihren jeweiligen Allophonen.
Dänisch unterscheidet zweifelsohne arg viel verschiedene Vokale,
aber das tun die germanischen Sprachen allgemein.
Wie viele sind es denn etwa?

Lt. Wikipedia gibt es im Deutschen 19 Vokale, Diphtonge eingeschlossen.
<https://de.wikipedia.org/wiki/Aussprache_der_deutschen_Sprache#Vokalsystem>

Nach Duden 6 "Aussprache" (1990) zähle ich 23, darunter auch nasalierte.
In Nachbemerkung 6. steht dann noch:

"Unter den Fremdphonemen verbreiten sich zunehmend die englischen
Diphthonge [eɪ oʊ], wofür früher meistens [e: o:] gesprochen wurde: Lady
['leɪdi] (älter (['le:di]), Show [ʃoʊ] (älter ([ʃo:])
(p. 30f)
--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.
Helmut Richter
2018-06-05 08:45:58 UTC
Permalink
(Die Großschreibung der Nomen kommt übrigens allgemein bei taiwanischen und
DaF-Lernern nicht schlecht an.)
So wie bei europäischen Lernern das chinesische Feature nicht so gut
ankommt, dass man bei einem Wort nie weiß, ob es im Zusammenhang gerade
Verbum Substantiv oder was anderes ist ...
Post by Gerd Thieme
Sie dienen nur fallweise dazu, die Komplexität einer Sprache in
menschlichen Grenzen zu halten; denn während laufend neue
Irregularitäten in eine lebende Sprache aufgenommen werden, müssen alte
ausgeschieden werden, damit alle Sprachen gleich „schwierig“ bleiben.
Das Mantra "alle Sprachen sind gleich schwierig" hatte einmal den Sinn, den
kolonialen Dünkel zu bekämpfen, nach welchem die einheimischen Sprachen in
den Kolonien primitiv sein müssen, wenn die Völker so primitiv sind, dass
sie noch nicht mal die Dampfmaschine erfunden haben. Gutgemeinte Absicht,
aber ist es wahr? Gibt es Kriterien für "Schwierigkeit", so dass die Aussage
falsifizierbar wäre, falls sie nicht wahr ist?
Schwierigkeit: Es kommt darauf an, ob man eine Sprache als Muttersprachler
spricht oder sie (nicht mehr als Kind) als Fremdsprache erlernt.
Das sowieso. Und außerdem kommt es bei Fremdsprachen darauf an, in welchem
Stadium des Lernens man sich befindet. Zunächst lernt man (als Jugendlicher
und Erwachsener ohne Immersion) sehr bewusst, paukt Vokabeln und Grammatik
und versucht das zu kombinieren. Da können unregelmäßige Verben eine Hürde
sein, vielleicht auch eine ungewohnte Wortstellung. Später lernt man nur
noch dazu, indem man etwas hört oder liest oder etwas ausdrücken will, also
ähnlich wie ein Kind die Muttersprache lernt. Dann sind *diese*
Schwierigkeiten vernachlässigbar geworden.

Und die Schwierigkeiten im ersten Schritt sind wirklich in manchen Sprachen
größer als in anderen.
Im zweiten Fall erlebt an bei Sprachen durchaus unterschiedliche
Schwierigkeiten,je nach eigener Muttersprache.
Die Ähnlichkeit zur Muttersprache wird wohl meistens überschätzt. Sie gilt
für *wirklich* ähnliche Sprachen wie de<->nl, pt<->es<->fr<->it, da<->sv,
et<->fi. Aber entfernte Verwandschaft nützt fast gar nichts. Ich galube
nicht, dass ich die "verwandten" Sprachen Hindi, Gälisch und Albanisch viel
leichter lernen würde als die "fremden" Malaiisch oder Swahili.

Große Schwierigkeiten bereiten grammatische Kategorien, die es in der
Muttersprache nicht gibt und die man ständig braucht. Russische Aspekte sind
für den Deutschen schwieriger als russische Kasus. Hat eine Sprache wenige
solche Kategorien, dann erscheint sie einem leicht. Fehlen in der
Fremdsprache Kategorien der Muttersprache, macht das meistens wenig aus.
Der Satz "Sprache ist nicht logisch, sondern praktisch": gefällt mir nicht so
ganz, weil er etwas sehr plakativ ist.
Ihm fehlt auch irgendwie die Würze, weil "praktisch" weder eine Variante von
"logisch" ist noch das Gegenteil, sondern so ganz abseits steht. Ist eine
praktische Sprache deswegen unlogischer? Na ja, manchmal schon.

--
Helmut Richter
Bertel Lund Hansen
2018-06-05 08:57:19 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Die Ähnlichkeit zur Muttersprache wird wohl meistens überschätzt.
Da bin ich nicht so sicher.
Post by Helmut Richter
Sie gilt für *wirklich* ähnliche Sprachen wie de<->nl,
pt<->es<->fr<->it, da<->sv, et<->fi.
Ich finde, dass auch die Ähnlichkeiten zwischen germanischen und
romanischen Sprachen hilfreich sind.

Übrigens sehe ich nicht Dänisch und Schwedisch als verschiedene
Sprachen, sondern als Dialekten derselben Sprache.
--
/Bertel - aus Dänemark
Sergio Gatti
2018-06-05 09:40:34 UTC
Permalink
Antworten zwischen den Zeilen.
Post by Helmut Richter
Das Mantra "alle Sprachen sind gleich schwierig" hatte einmal den Sinn, den
kolonialen Dünkel zu bekämpfen, nach welchem die einheimischen Sprachen in
den Kolonien primitiv sein müssen, wenn die Völker so primitiv sind, dass
sie noch nicht mal die Dampfmaschine erfunden haben. Gutgemeinte Absicht,
aber ist es wahr?
Eher nicht. Aber ich stimme zu, dass alle Sprachen einige
und eigene Schwierigkeiten aufweisen.
Post by Helmut Richter
Gibt es Kriterien für "Schwierigkeit", so dass die Aussage
falsifizierbar wäre, falls sie nicht wahr ist?
Ein Grundproblem besteht darin, dass jeder Mensch eine
Muttersprache hat. Somit sind Eigenschaften einer anderen
Sprache, die in seiner Muttersprache nicht vorkommen,
grundsätzlich schwieriger als die, die er schon kennt. Aber
das hast du ja selbst weiter unten geschrieben.

Ohne langes Nachdenken fällt mir als sprachunabhängiges, d.
h. objektives Schwierigkeitskriterium nur die Anzahl der
Phoneme ein: je mehr, umso schwieriger.
Außerdem, im Zusammenhang zwischen Schrift und Aussprache:
Durch eine fehlende (Ideogramme), unvollständige (z. B.
fehlende Vokalzeichen) oder ungenaue (gh wie in laugh, o wie
in women, ti wie in nation = fish) Verschriftung der Laute
ist es objektiv schwieriger, einen geschriebenen Text
korrekt vorzulesen.
Post by Helmut Richter
Große Schwierigkeiten bereiten grammatische Kategorien, die es in der
Muttersprache nicht gibt und die man ständig braucht. Russische Aspekte sind
für den Deutschen schwieriger als russische Kasus. Hat eine Sprache wenige
solche Kategorien, dann erscheint sie einem leicht. Fehlen in der
Fremdsprache Kategorien der Muttersprache, macht das meistens wenig aus.
Christian Weisgerber
2018-06-08 21:08:13 UTC
Permalink
Post by Sergio Gatti
Ohne langes Nachdenken fällt mir als sprachunabhängiges, d.
h. objektives Schwierigkeitskriterium nur die Anzahl der
Phoneme ein: je mehr, umso schwieriger.
Das ist überhaupt nicht klar. Irgendwie muss die Information ja
kodiert werden. Weniger Phoneme lassen längere Wörter und höhere
Silbengeschwindigkeit vermuten.

Eine _reductio ad absurdum_ lässt sich leicht zeigen: Glaubst du,
es wäre leichter statt Sergio Gatti sowas wie 1010011 1100101 1110010
1100111 1101001 1101111 1000111 1100001 1110100 1110100 1101001
zu schreiben? Zwei Symbole statt 2×26 ist doch objektiv einfacher.
Oh, keine Frage, bei den Schriftsystemen existieren erhebliche
Schwierigkeitsunterschiede. Nichts hemmt die Verbreitung des
Chinesischen so wie seine Schrift. Aber Sprachwissenschaftler denken
bei „Sprache“ in erster Linie an die gesprochene Sprache. Die
Verschriftlichung ist dann eine andere Angelegenheit.
--
Christian "naddy" Weisgerber ***@mips.inka.de
Christian Weisgerber
2018-06-08 20:28:41 UTC
Permalink
Post by Helmut Richter
Das Mantra "alle Sprachen sind gleich schwierig" hatte einmal den Sinn, den
kolonialen Dünkel zu bekämpfen, nach welchem die einheimischen Sprachen in
den Kolonien primitiv sein müssen, wenn die Völker so primitiv sind, dass
sie noch nicht mal die Dampfmaschine erfunden haben. Gutgemeinte Absicht,
aber ist es wahr? Gibt es Kriterien für "Schwierigkeit", so dass die Aussage
falsifizierbar wäre, falls sie nicht wahr ist?
Es wird gerne argumentiert, dass Kinder ihre jeweilige Muttersprachen
etwa gleich schnell lernen. Man mag einwerfen, dass damit das Problem,
eine Metrik zu finden, weniger gelöst als verschoben wird.
(Für die PISA-Studien wird Lesekompetenz auch sprachübergreifend
verglichen.)
Post by Helmut Richter
Das sowieso. Und außerdem kommt es bei Fremdsprachen darauf an, in welchem
Stadium des Lernens man sich befindet. Zunächst lernt man (als Jugendlicher
und Erwachsener ohne Immersion) sehr bewusst, paukt Vokabeln und Grammatik
und versucht das zu kombinieren. Da können unregelmäßige Verben eine Hürde
sein, vielleicht auch eine ungewohnte Wortstellung. Später lernt man nur
noch dazu, indem man etwas hört oder liest oder etwas ausdrücken will, also
ähnlich wie ein Kind die Muttersprache lernt. Dann sind *diese*
Schwierigkeiten vernachlässigbar geworden.
Leider scheinen die meisten diese Stufe nie zu erreichen, weshalb
die Schwierigkeit, eine bestimmte Sprache zu erlernen, dann am
ersten Schritt festgemacht wird.
--
Christian "naddy" Weisgerber ***@mips.inka.de
Lesen Sie weiter auf narkive:
Loading...