Und somit hätten wir also auch noch das Verb "pflegen", das nach einem
direkten Genitiv-Objekt verlangte.
Heutzutage wird wohl kaum mehr einer so sprechen wollen, es sei denn in
der Lyrik.
In der Wendung »der Ruhe pflegen« wird es vielleicht noch gelegentlich
verwendet, aber auch das klingt schon ziemlich altertümelnd. Aus der
Lutherbibel kennt man vielleicht auch noch den Ausdruck »der Wollust
pflegen« (bzw. »der Liebe pflegen«).
Der König saß und sann den leeren Tag
getaner Taten, ungefühlter Lüste
und seiner Lieblingshündin, der er pflag-,
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2. Aus: "Der geistliche Kämpfer" von Clemens Brentano)
Er pflag auch süßer Worte,
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Bey der Jungfrauen rein,
Bis sie aufschluß die Pforte,
Und ließ ihn zu sich ein.
Wann ungefähr änderte sich eigentlich "pflag" zu "pflog"?
»Pflag« entspricht dem mittelhochdeutschen Sprachgebrauch
(mhd. phlac, pflac), diese alte Form wurde in der Dichtung noch
ziemlich lange verwendet, wie Deine Beispiele zeigen. Sie klingt
noch altertümlicher als »pflog«, was man ja gelegentlich noch heute
gebraucht. Aber schon zu Luthers Zeiten verwendete man auch das
schwach gebeugte »pflegte«. Die starken Formen konnte man im
Neuhochdeutschen nur noch in bestimmten Bedeutungen verwenden, also
z. B. nicht: »*sie pflog den Kranken«, sondern nur »sie pflegte den
Kranken«. Möglich war dagegen beispielsweise: »er pflog mit ihm Rat«
(beriet sich mit ihm); auch mit Genitiv: »wir pflogen Rates« (berieten
uns).
- und "aufschluß" zu "aufschloss"? Und warum?
Im frühen Neuhochdeutschen sagte man entsprechend dem
mittelhochdeutschen Sprachgebrauch »ich schloß«, aber »wir
schlussen«. Damals wechselte also in den Pluralformen des
Präteritums der Vokal von 'o' zu 'u'. Der Plural hat sich dann
aber dem Singular angeglichen, heutzutage kennen wir diesen
Vokalwechsel im Präteritum nicht mehr, es wird einheitlich 'o'
verwendet.
Nun handelt es sich beim zitierten »aufschluß« freilich nicht um
einen Plural, es hätte also eigentlich auch damals schon »aufschloß«
heißen müssen. Aber manche Sprecher haben eben nicht den Plural
dem Singular angeglichen, sondern sie übernahmen umgekehrt das
alte Plural-u in den Singular, sie sagten also »schließen; ich schluß;
wir schlussen«. Daher also das merkwürdige u in »aufschluß«. Allerdings
war das eine mundartliche Variante, die nur gelegentlich in der
Schriftsprache verwendet wurde. Auch Brentano hätte normalerweise
immer »ausschloß« geschrieben und gesagt, aber in ein Volkslied paßt
das altertümliche »aufschluß« recht gut.
Soo lange ist es immerhin nicht her, da Rilke noch so schrieb.
Ja, aber in der Alltagssprache war »pflag« damals natürlich schon
völlig veraltet, in Heyses Handwörterbuch von 1849 wird »pflag« auch
schon als veraltet bezeichnet. Diese Form konnte man nur noch in der
Dichtung verwenden, oder wenn man sich bewußt altertümlich ausdrücken
wollte.
Schöne Grüße,
Wolf
--
"Der Hochgestimmte, wie er edel war und zart,
Pflag einer Sitte, die ihm Scherz bedünkte, ..."