Post by H.-P. SchulzPost by Roland FranziusPost by H.-P. SchulzPost by Manfred RussMir liegt hier ein Artikel vor, in dem es um das Thema "Japan und Onsen
und der Umgang mit tätowierten Kunden im Vorfeld der
Rugby-Weltmeisterschaft" geht.
Der Artikel ist voll mit schrägen Sätzen. Aber mit einem - obwohl nicht
schräg, sondern direkt verständlich - habe ich ein Problem, und zwar mit
dem abschließenden Genititv.
|20 Autominuten von Hoyoland entfernt baden die Gäste hier nicht im
|Schlamm, sondern in kristallklarem Wasser aller möglicher Temperaturen.
korrekt
... aber "anything goes" gestattet sicherlich auch 'möglichen'.
Wie erklärst du dann das Diagramm in
https://books.google.com/ngrams/graph?content=aller+m%C3%B6glichen%2C+aller++m%C3%B6glicher&case_insensitive=on&year_start=1800&year_end=2000&corpus=20&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Caller%20m%C3%B6glichen%3B%2Cc0%3B.t1%3B%2Caller%20m%C3%B6glicher%3B%2Cc0
Voraus: Wie stets, so kann auch hier schlechter Stil nicht
beanspruchen, grammatisch sauber analysiert zu werden.
Das grammatische Problem ist hier die "Fernwirkung" starker Flektion.
Verhält sich 'all-' vollumfänglich wie ein Artikel? Lautete die
Antwort Ja, wäre der Fall klar zugunsten 'möglichen' entschieden.
Aber eben genau daran habe ich Zweifel, die ich auch begründen kann.
Die später folgenden Beispiele sind interessant, die muss ich mir mal in
Ruhe ansehen. Hier vorab eine Bemerkung: Massenhaft beobachtbare sprachliche
Äußerungen lassen sich nicht durch Werturteile aus der Welt schaffen. Das
ist schlichtweg unwissenschaftlich. An dem von Roland Franzius herbeizitierten
Google Ngram Viewer-Befund kommt man erst mal nicht vorbei. Zum Teil erklärt
sich das daraus, dass 'alle + möglichen' sehr oft in Kombination auftreten und
eine spezielle Bedeutung haben, es ist in dieser Kombination sozusagen die
Pluralform von 'irgendein' und gleichbedeutend mit 'irgendwelche'. Es gibt
andere mehrwortige Kombinationen mit Artikelqualität, z.B. 'was für ein',
'ein beliebiger' (= irgendein), 'ein paar', 'ein bisschen'...
Post by H.-P. SchulzDie stilistische Schwäche ist hier das Wort 'möglich'. Sicherlich wird
nicht in Wasser von zB 90°C gebadet, obwohl auch diese Temperatur in
'alle möglichen' eingeschlossen wäre.
Hieße es stattdessen "... in Becken mit kristallklarem Wasser
unterschiedlicher Temperatur ...", gäbe es die fragliche Stelle mit
'aller möglicher" gar nicht.
oder: 'von unterschiedlicher Temperatur'. Meine Vermutung ist jedoch, dass
der Schreiber auf so etwas wie 'luxuriöse Bedingungen' hinauswill, sie
zumindest konnotiert haben will, da wäre dann 'jeder (nur) gewünschten
Temperatur' auch nicht schlecht passend.
Post by H.-P. SchulzWenn man mal vom schlechten Stil und dem gegebenen Zusammenhang
absieht, ist ja die Wendung "alles mögliche" nicht gerade selten, und
zwar sowohl als Modifizierer (alle möglichen Sprachen, alle möglichen
Insekten - im Sinne von: viele unterschiedliche) als auch als
"Standalone", als Substantivsubstitut (Sie beredeten alles mögliche,
er kaufte alles mögliche ein - im Sinne von: dies und das; eine
relativ nicht kleine Anzahl unterschiedlicher Dinge).
Letzteres scheint mir die Hauptbedeutung von 'alle möglichen' zu sein:
ein gewisses Durcheinander verschiedener Dinge, nicht selten mit einem
Quäntchen Herablassung im Ton bzw. in der Perspektive.
Post by H.-P. SchulzGanz allgemein ist die Wendung [quantifier+qualifier] ziemlich häufig,
und die Regel von der Starken Beugung, die sich im ersten Wort quasi
"verbrauche", so dass das folgende (oder die folgenden) umstandslos
schwach gebeugt würde, ist nicht gut haltbar.
So eine Regel kann es mal gegeben haben, und völliger Quatsch ist die auch
nicht, sogar wenn zwei unzweifelhafte Adjektive vor ein Nomen treten, kommt
diese Regel gelegentlich zur Anwendung, was sie eigentlich nicht dürfte:
'mit klarem kalten Wasser' - aber natürlich auch 'mit klarem kaltem Wasser',
dann vielleicht mit der Andeutung eines gedanklichen Kommas zwischen den
Adjektiven.
Post by H.-P. Schulz"angesichts der guten Wünsche ..."
"angesichts der vielen guten Wünsche ..." (hier also Artikel *und*
Qantifizierer!)
'Quantifizierer' ist keine einheitliche grammatische Kategorie, deren
Elemente sich syntaktisch unter einen Hut bringen ließen. Dazu gehören
Artikel, sogenannte Zahlwörter, Co-Artikel (all, manch), Artikelphrasen
(all die vielen), Adjektive (gesamt), Adjektivphrasen (zahlreiche sich
voneinander unterscheidende), Indefinita (etliche/r/s) usw., wobei die
Grenzen nicht klar zu ziehen sind.
Post by H.-P. Schulz"angesichts vieler guter Wünsche ..."
aber
*"angesichts vieler guten Wünsche ..."
Da wär ich mir nicht so sicher: 'mit vielem kalten Wasser' geht, aber wohl
immer: 'bei Einbeziehung vieler neuer Forschungsergebnisse'. Bei 'viel'
besteht das Problem der Konkurrenz mit endungslosem Gebrauch, vielleicht
vermischen sich die Formen dadurch im Gebrauch: vieles altes Zeug, vieles
alte Zeug, viel altes Zeug, viele alte Sachen, viele alten Sachen - da kann
man schonmal durcheinanderkommen, als Ausländer sowieso, aber auch als
Deutscher.
Post by H.-P. SchulzHier wirkt 'viel-' - das, was die Artikelvalenz betrifft, zweifellos
dem 'all-' völlig analog geht
- nicht schwächend auf die Beugung von
Post by H.-P. Schulz'gut'.
"Trotz der dummen Fehler ..."
"Trotz der paar dummen Fehler ..."
Schönes Beispiel: Definitartikel + undeklinierbarer Quantifizierer + Adj.
schwach, weil der Definitartikel das so verlangt.
Post by H.-P. Schulz"Trotz dummer Fehler ..."
"Trotz ein paar dummer Fehler ..."
aber
*"Trotz ein paar dummen Fehler ..."
Aufpassen: 'trotz' wird oft, alltagssprachlich womöglich in der Regel, mit
Dativ konstruiert, also heißt es durchaus 'trotz ein paar dummen Fehlern
bekam er noch ein 'Sehr gut'. Wie wäre es mit 'einiger'. 'Trotz einiger
... Fehler' (für mich 'dummer', aber auch wieder dativisch 'trotz einigen
dummen Fehlern').
Post by H.-P. SchulzDas ist die Begründung meines Gebrauchs der Starken Beugung in 'all-
möglich-".
Und weil das Deine Begründung ist, ist das guter Stil, und was andere anders
schreiben, schlechter Stil?
Gruß Ralf Joerres