Post by Wolfgang G. GasserPost by Homo LykosPost by Michael Klemmhttp://www.tau.ac.il/~corry/texts/articles/science.pdf
Ein Plagiatvorwurf an Hilbert ist nicht zu entdecken.
Soweit ich die Arbeit überhaupt gelesen habe - ich bin nicht sehr motiviert
deutsch in englischer Übersetzung zu lesen - ist die Arbeit meines Erachtens
suggestiv abgefasst, d.h. ohne das Wort Plagiat in den Mund zu nehmen
erwecken die Autoren - mindestens bei mir - durchgehend den Eindruck, dass
Hilbert ein ganz bewusst und gezielt vorgehender Plagiator sei.
1) Eingereicht am 25.11.1915 und veröffentlich am 02.12.1915.
2a) Ein Kopie, eine Zusammenfassung oder ein Auszug, den Hilbert
Einstein vor dem 18.11.1915 zuschickte
2b) Der ursprüngliche Probeabzug (the "proofs") des Manuskripts
mit Einreichdatum 20.11.1915 und Druckstempel 06.12.1915
Es ist eine vernünftige Annahme, dass Hilbert Einstein 2a) nur so schnell
schicken konnte, weil er bereits Kopien der einzureichenden Schrift besass;
denkbar, dass er für Einstein noch die eine odere andere Anmerkung
hinzufügte. Recht sicher ist auch, dass Einstein dieser Kopie wegen bei
Zangger "Plagiatsvorwürfe" gegenüber Hilbert erhob und später wohl auch
direkt gegenüber Hilbert, der dann wohl daraufhin Einstein zusagte, die
jetzt aufgefundene Korrektur auf der ersten Seite einzufügen, was Einstein
dann wieder friedlich stimmte.
Post by Wolfgang G. Gasser2c) Die ursprünglich veröffentlichte Version vom 31.3.1916
2d) Die Wiederveröffentlichung von 1924.
Meines Erachtens ist 2d) im vorliegenden Zusammenhang unwesentlich. Diese
Arbeit hatte zwar den gleichen Titel wie die von 1916, aber es ging ihm
meines Wissens doch *offensichtlich* nicht darum, zu belegen alles, war er
da schreibe, habe er schon 1916 gewusst, sondern er wollte *seine*
physikalische Sicht der Dinge halt nochmals so korrekt wie nur möglich
darstellen. Aber den Unglauben, den seine physikalische Sicht der Dinge
hervorrief, den konnte er natürlich nur mit der mathematischen Verbesserung
der 1916-er Arbeit nicht beheben; das wusste er letztlich auch selbst, hatte
er doch schon am 19. Nov. Einstein geschrieben:
"Wenn ich so rasch rechnen könnte wie Sie, müsste bei meinen Gleichungen
entsprechend das Elektron kapitulieren und zugleich das Wasserstoffatom
seinen Entschuldigungszettel aufzeigen, warum es nicht strahlt."
Im gleichen Briefe gratulierte Hilbert Einstein zur soeben gefundenen
Perihelverschiebung und zur Lichtablenkung, woraus man ersieht, dass die
beiden schon da physikalisch gänzlich getrennte Wege gingen.
Post by Wolfgang G. Gasser"Both the proofs and the final version of Hilbert's first communication
are dated 'submitted on 20 November 1915,' presumably referring to the
original manuscript. A copy of the proofs, preserved in his archives and
marked in his own hand 'First proofs of my first note,' bears a printer's
stamp dated 6 December 1915." [Seite 1271, mitte oben]
"Hilbert must have sent the requested copy or a summary of his paper
immediately because, on the 18th, Einstein replied, reacting sharply
to Hilbert's claim of originality." [Seite 1272, rechts oben]
Post by Homo LykosUnd - wenn
die behaupteten Fakten stimmten - dann hätte Hilbert sein Manuskript ja nach
dem Lesen von Einsteins Arbeit in einem ganz wesentlichen Punkt verändert,
und das wäre tatsächlich höchst unehrenhaft, wenn er solches ohne Verweis
auf Einstein getan hätte.
Es stellt sich die Frage, ob folgende Statements von Renn et al.
"In the proofs, Hilbert asserts that his theory cannot be generally
covariant." [Seite 1271, oben rechts]
Grundsätzlich wollte ich mich zwar erst wieder äussern, wenn ich Wünsch, die
Photokopien und die Druckversion von Hilberts Arbeit gelesen habe. Weil das
aber sicher lange dauern wird - mit Mie wird man sich ja auch noch befassen
müssen - mache ich doch einige kurze Bemerkungen:
Renn und Co. haben nicht nur einen Kunstfehler - wie schwer auch immer -
begangen, sondern meines Erachtens haben sie auch eine - heute allerdings
zeitgeistgemässe - Historikertodsünde begangen, die ganze Angelegenheit fast
ausschliesslich aus heutiger "Banalsicht" zu beurteilen, schon darum hätte
eine seriöse Zeitschrift ihren Beitrag in dieser Form meines Erachtens nicht
akzeptieren dürfen. Es gab dazu ja eine schon sehr gute Vorlage, nämlich die
Biographie von Pais.
Zur allgemeinen Kovarianz: Sicher wird dies dort so stehen. Findet man -
wenn ich mich recht erinnere - auch schon bei Pais. Aber bei Pais kann man
eben auch sehen, dass sowohl Einstein wie Hilbert mit der allgemeinen
Kovarianz noch grosse Mühe hatten: beide scheinen z.B. die wichtigen
Bianchi-Identitäten nicht gekannt zu haben. Insofern hat obiger Satz sehr
wenig Beweiskraft, weil man wohl kaum exakt rekonstruieren kann, wann und
wer, welche heute mehr oder weniger selbstverständlichen Aspekte voll
verstanden hatte, und zudem kann dieser Satz sehr leicht noch aus einer
früheren Arbeitsversion stehen geblieben sein; derartiges passiert sehr oft
bei einem Text, an dem man bis zuletzt noch arbeitet.
Post by Wolfgang G. Gasser"To summarize: Initially [2b], Hilbert did not give the explicit form of
the field equations; then [2c], after Einstein had published his field
equations, Hilbert claimed that no calculation is necessary; finally
[2d] he conceded that one is." [Seite 1272, mitte unten]
Zur Frage, ob die expliziten Gleichungen da waren oder nicht, mag ich mich
nicht mehr äussern, bis ich die Sachen selbst gesehen habe. Pais hatte
aber - so weit ich Renn gelesen habe - im Gegensatz zu Renn und Co. darauf
hingewiesen, dass die beiden Arbeiten keineswegs so einfach zu vergleichen
sind, wie auch hier wohl die meisten denken, weil Hilbert eben - mindestens
teilweise - von Mie ausging. Pais hält es darum für möglich, dass die beiden
sich anfänglich sogar zum Teil missverstanden hatten. Weil Hilberts Arbeit
erst im März erschien, könnte man dies bei Hilbert - sagen wir ab vermutlich
Anfang 1916 - aber kaum zu seinen Gunsten annehmen, wenn Renn und Co. Recht
haben sollten.
Post by Wolfgang G. GasserNatürlich ist die Hypthese möglich, dass die Feldgleichungen in [2b]
genau in einem der zwei kurzen (ca. 4 cm langen) fehlenden Abschnitte
standen, obwohl sie dort kontextuell eigentlich schlecht hinpassen.
Aber Renn et al. daraus, diese Hypothese in ihrem Science-Artikel nicht
erwähnt zu haben, einen Vorwurf zu machen, ist nicht gerechtfertig,
denn diese Hypothese ist apriori keineswegs naheliegend.
Wenn klar ersichtlich ist, dass etwas ausgeschnitten wurde, *muss* es
erwähnt werden, so etwas *muss* immer stutzig machen, vor allem wenn man
derartig schwerwiegende Beschuldigungen erhebt.
Post by Wolfgang G. GasserAber selbst wenn Teile fehlen würden, wo offensichtlich Feldgleichungen
mit oder ohne Begründung gestanden haben dürften, wäre die Hypothese,
jemand aus "Hilberts Lager" hätte Passagen entfernt, die in offen-
sichtlichem Widerspruch zur veröffentlichten Version standen, sicher
nicht weniger naheliegend als die Hypothese, jemand aus "Einsteins
Lager" hätte diese Passagen entfernt.
Gab es überhaupt ein Hilbert-Lager, bevor Renn und Co. in äusserst
fragwürdiger und meines Erachtens unwissenschaftlicher Weise publiziert
haben? Mir mindestens ist davon überhaupt nichts bekannt. Ich lasse mich
aber gerne belehren.
Post by Wolfgang G. GasserDass von den beiden veröffentlichten Versionen nicht einmal klar
darauf geschlossen werden kann, um was es in den kurzen fehlenden
Passagen des Probeabzugs gegangen ist, zeigt doch eindeutig, wie
stark sich die beiden veröffentlichten Versionen von der ursprünglich
eingereichten unterscheiden.
Die zweite Version heranzuziehen beweist meines Erachtens allein schon die
politische Absicht und die Befangenheit der Autoren, ausser Hilbert hätte
dort ausdrücklich behauptet, es handle sich um einen *unveränderten*
Nachdruck. Renn und Co. erinnern mich an die Newton-Jünger und Nachfolger,
mit dem Unterschied, dass Hilbert meines Wissens *niemals*
Prioritätsansprüche geltend gemacht hatte.
Post by Wolfgang G. GasserMan vergleiche
http://physics.unr.edu/faculty/winterberg/Hilbert-Einstein.pdf,
Fig. 1 mit
http://gdz-srv3.sub.uni-goettingen.de/sub/digbib/loader?ht=VIEW&did=D63538&p=420
Nach solchen Änderungen weder Einreichungsdatum zu ändern noch auf
Überarbeitung hinzuweisen, deckt sich nicht ganz mit meiner Vorstellung
von wissenschaftlicher Redlichkeit.
Natürlich nicht, wenn man von der Richtigkeit von Renns Behauptungen
ausgeht. Es ist aber normal, dass man in Abzügen noch Änderungen anbringen
kann, und solange man die nicht "abgeschrieben" hat, ist dagegen auch nichts
einzuwenden.
Post by Wolfgang G. GasserPost by Homo LykosDagegen spricht aber schon der Umstand, dass
Hilbert ja wusste, dass Einstein derartiges sofort merken würde, weil er
ja im Besitze einer Abschrift war.
Hat Hilbert zwei Manuskripte verfasst, eines für Einstein und (danach)
ein identisches zur Einreichung? Das kann ich mir kaum vorstellen.
"The system given by you agrees - as far as I can see - exactly with
what which I found in recent weeks and submitted to the academy".
Das zitiert schon Pais und dies beweist seines (und auch meines Erachtens) -
unter damals allerdings andern Prämissen - nichts, weil zu *diesem*
Zeitpunkt noch nicht anzunehmen ist, dass Einstein die Arbeit schon voll
verstanden hatte.
Post by Wolfgang G. GasserPost by Homo LykosUnd ebenso spricht dagegen, dass Einstein
darüber stillschweigend hinweggegangen wäre, nachdem er genau dieser Arbeit
wegen, aber eben nicht der umstrittenen Gleichungen wegen, Hilbert bereits
des Plagiats verdächtigt hatte, was dann wohl der Grund für Hilberts
Korrektur auf der ersten Seite der Druckfahnen war, die Einstein dann wieder
versöhnlicher stimmte. Eigentlich der einzige Sachverhalt von Belang, den
Pais nicht auch schon kannte.
Aber bekam denn Einstein diese "erste Seite der Druckfahnen" zu sehen?
Hilbert soll nach einer mündlichen Auskunft eines Zeitzeugen (an Pais?) ein
Entschuldigungsschreiben an Einstein gerichtet haben, und darin wird er ihm
die Änderung wohl angekündigt haben; leider weiss ich nicht mehr, wo ich das
gelesen habe und finde es jetzt nicht.
Post by Wolfgang G. GasserVielleicht ist sein Versöhnlicherwerden nur darauf zurückzuführen,
dass er die Sache mit etwas Distanz nicht mehr so ernst nahm, sich über
sein eigenes Wichtignehmen der Prioritätsfrage ärgerte, oder Hilberts
Verhalten als verzeihliche menschliche Schwäche interpretierte?
Das ist nicht der wirkliche Einstein, sondern der Einstein, den seine Jünger
aus ihm gemacht haben. Ähnliches gibt es bekanntlich bei Galilei und Newton.
Zudem: Hätte er sich noch im Mai 1916 sehr kritisch zu Hilberts Theorie
geäussert, dazu aber nichts gesagt? Eher unwahrscheinlich.
Trotzdem könnte es damals mehrere Gründe gegeben haben, dass Einstein - wenn
Renn und Co. doch Recht haben sollten - es zwar (mindestens halbbewusst)
gemerkt hat, dass er aber trotzdem schwieg:
1. Einstein sah - nach Hilberts Korrektur auf der ersten Seite - primär nur
noch die - vor allem physikalischen -
Differenzen zu Hilbert.
2. Er wird gedacht haben, dass Hilbert aus seinem Variationsansatz ja über
kurz oder lang vermutlich ohnehin zu diesen Gleichungen gekommen wäre. Auch
ein sehr wichtiger Aspekt, auf den Renn und Co. nicht eingegangen sind. Ich
meine sogar zu wissen, dass man Hilbert meist vor allem nur diesen Zugang zu
den Feldgleichungen als echt eigenes Verdienst anrechnet.
3. Wird er nicht ganz zu Unrecht gedacht haben, dass Hilbert die Gleichungen
physikalisch ja ohnehin nicht verstanden habe, und dass dies auch von andern
so gesehen werde.
4. Vielleicht war ihm inzwischen auch schon klar geworden, dass er es gar
nicht mehr nötig hatte, sich darüber zu ärgern, weil er das Rennen mit der
alles entscheidenden Perihelverschiebung und der Lichtablenkung bereits ganz
eindeutig für sich entschieden hatte, während Hilbert noch immer am Elektron
verzweifelte.
Die Frage, wer denn die vollständigen Gleichungen zuerst aufgeschrieben
habe, hat meines Wissens zu Lebzeiten der beiden so gut wie niemanden
interessiert und dies nach meinem ganz persönlichen Erachten auch aus
folgendem, sehr gutem Grunde: Mindestens Einstein wusste noch ganz genau,
dass die vollständige Form der Feldgleichungen experimentell noch auf sehr
lange Frist nicht belegt werden konnte, und dies hat sich bis heute nicht
geändert; nur das Wissen bzw. Unwissen über dieses zentrale Faktum hat sich
drastisch verändert. Es gibt nur ganz wenige, die das wissen, und ich kenne
keine Lehrbücher, die explizit darauf hinweisen.
Mindestens für mich ist es das mehr als nur zweifelhafte "Verdienst" von
Science, Renn und Co. einen veritablen Prioritätsstreit Einstein versus
Hilbert entfacht, wenn nicht gar erfunden zu haben, den es zuvor gar nicht
gab.
Zuletzt zitiere ich noch aus Pais die Meinung von Felix Klein zur
Prioritätsfrage über die vollständigen Feldgleichungen, "daß es keine Frage
der Priorität geben kann, da beide Autoren derartig verschiedenen
Gedankengängen folgten, daß die Verträglichkeit der Resultate keineswegs
sicher schien".
Homo Lykos
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Ceterum censeo: Zur Ehre Galileis,
zur Freude der Grossen der Physik von Planck, Einstein bis Heisenberg
ermögliche man auch wieder deutschsprachige Physikveröffentlichungen.