Post by Uwe SchickedanzPost by Andreas KarrerDie Schweiz hat etwa die gleiche Suizidrate wie AT/F, aber eine
deutlich höhere als D/NL/DK/N/S/GB/I. Insbesondere gibt es mehr
Suizide durch Schusswaffen als in jedem anderen europäischen Land [2].
Aber nur etwa 1/3-1/2 dieser Schusswaffen-Suizide werden mit
Armeewaffen begangen; das liegt daran, dass auch andere Waffen in der
CH relativ einfach legal beschafft werden können. Eine Volksinitiative
für ein zeitgemässeres Waffengesetz wurde 2011 mit 56% Nein
abgelehnt; urbane Gegenden (Zürich, Basel) und die Romandie waren
dafür [3]. Die Waffengesetzgebung wurde aber auch ohne diese
Initiative in den letzten Jahrzehnten immer wieder verschärft,
insbesondere beim Beitritt zum Schengenraum, ist aber im Vergleich zu D
immer noch zahnarm.
Worauf zielst Du ab? Durch schärfere Waffengesetzgebung die
Selbstmordrate senken? Das wird nicht funktionieren, siehe Australien.
Selbstverständlich wird das funktionieren, es funktioniert ja
nachgewiesenermassen in D und überall in Europa. Europa ist nicht
Australien; das war sozusagen vorgestern noch eine Sträflingskolonie.
Mir geht es zunächst mal darum, den schnellen Zugang zu Schiesswaffen
und Munition zu erschweren. Wenn Sturmgewehr/Pistole und Munition, wie
in der CH nicht selten geschieht, in Kleiderschrank oder in der
Nachttischschublade rumliegen, dann braucht ein Teenager in einer
depressiven Phase nur eine Minute, um seine Kurzschlusshandlung zu
vollziehen. Wenn er dazu erst Munition beschaffen muss, oder wenn
Gewehr und Verschluss an unterschiedlichen Orten und einigermassen
gesichert aufbewahrt werden, wird er das eher nicht tun. Noch viel
weniger wird er eine Armeewaffe nehmen, wenn sie im Zeughaus aufbewahrt
wird. Klar, vielleicht springt er dann von einer Brücke, vielleicht
kommt er aber an der frischen Luft zur Besinnung oder er versucht es
mit Schlaftabletten, was, wie gesagt, nur selten funktioniert.
Post by Uwe SchickedanzWarum nicht gleich den Selbstmord an sich verbieten, anstatt an den
Symptomen herumzudoktern?
Die Selbstmordraten sind bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehr
hoch. Es ist völlig klar, dass das in der weit überwiegenden Zahl der
Fälle eine vergleichsweise kurze depressive Phase ist, die zu einer
Kurzschlusshandlung führt. Das ist etwas ganz anderes als ...
Post by Uwe SchickedanzIm übrigen: was bilden sich die Leute eigentlich ein, anderen Leuten
vorzuschreiben, wie lange sie zu leben haben? Sterbehilfe ja, aber nur
auf Rezept?
... die Entscheidung eines alten, kranken Menschen, der sich die Sache
lange Zeit überlegt hat, wiederholt zur selben Entscheidung gekommen
ist und in einem wirklichen Sinn des Lebens müde geworden ist.
Suizid ist nicht nur Privatsache. Was glaubst zu, wie das Leben des
Freunds meiner Jugendfreundin verlaufen ist, der Knarre und Munition im
Kleiderschrank hatte? Hat er sich jeden Tag Gewissensbisse gemacht oder
nur jeden zweiten?
Ausserdem wird ein strengeres Waffengesetz Auswirkungen auf
das Verhältnis des Bürgers zu Waffen haben. Mmn muss diese
Selbstverständlichkeit, dass es in einem "richtigen" Schweizer
Haushalt neben einem Fernseher, einem Kühlschrank und einem Klo
auch eine Schusswaffe gibt, gebrochen werden. Der Grund für diese
weltweit einmalige Sache, dass ein Soldat seine Waffe zwischen
Diensteinsätzen und nach der Armeezeit nach Hause nehmen darf, ist
sozusagen mythologisch: Jeder Schweizer ist ein kleiner Wilhelm Tell,
der seine Armbrust immer dabei hat und bei Bedarf jeden Gessler umlegen
wird. Dahinter steckt ein viel zu optimistisches Bild des
verantwortungsvollen Bürgers, das in der CH aber verbreitet ist: Der
deklariert Einkommen und Vermögen ehrlich in der Steuererklärung, der
geht bei Rot nicht über den Zebrastreifen, der steht im Tram auf, wenn
alte Leute zusteigen usw. Dabei weiss jeder, dass bei den Steuern
geschummelt oder betrogen wird, dass Fussgängerampeln höchstens
empfehlenden Charakter haben und das im Tram viele aufs Handy starren,
auch wenn eine offensichtlich gehbehinderte Person vor ihnen steht.
- Andi