Am Samstag, 18. August 2018 00:23:48 UTC+2 schrieb Jakob
Post by Jakob Achterndiek[..] Wann spricht man im Groß- oder Einzelhandel von
'-geschäft', wann von '-handlung', -handel', '-laden' oder
'-shop'? Wie kann man alltagssprach- lich den Unterschied
zwischen 'Betrieb', 'Unternehmen' und 'Firma' fassen? Alles
häufige Wörter, alle nicht ohne Weiteres zu unterscheiden.
Das hängt doch davon ab, was du unter "Weiterem" verstehst. Sobald
du nämlich über den bloßen Klang der Buchstabenfolgen hinaus die
Wörter auf deren Herkunft, Geschichte und überkommene Bedeutungen
abfragst *und diese respektierst*, kannst du sie - eben *mit*
diesem Weiteren - sehr wohl unterscheiden.
Ärgerlich ist allerdings mehrerlei. Erstens einmal: Zu viele Leute
reden mit zu wenig Überlegung. Zweitens: In manchen Schulen
treiben manche Lehrer Wischiwaschi mit den Bedeutungen, indem sie
behaupten, im Aufsatz sei mehr Abwechslung besser als mehr
Genauigkeit. Drittens leistet der Duden mit seiner
Synonymen-Huberei dieser Ungenauigkeit Vorschub. Und viertens
fünftens sechstens - nein, davon will ich jetzt nicht wieder
anfangen!
Ich redete früher mit sehr viel Überlegung. Das Ergebnis war, dass
ich nicht gut verstanden wurde, weil ich seltene, um nicht zu sagen
'seltsame', aber mir passend erscheinende Wörter wählte. So etwas wie
'flüssiges Daherreden' kam bei mir erst in meinen Vierzigern und
Fünfzigern auf. Ich greife seitdem herzhaft zu bereitliegenden
Floskeln und Schablonen und stelle fest, dass das Sprechen damit um
einiges redundanter, unpräziser, schmuckloser wird, aber eben auch
verständlicher, weniger anstrengend und über etliche Strecken mit
einem hohen Grad an Automatisierung abläuft, was mir einerseits
Denkarbeit abnimmt, aber auch nicht immer genau trifft, was ich gerne
Meine Ausdrucksmöglichkeiten schmelzen von den Rändern her allmählich
weg. Bei manchen Gelegenheiten kommen mir dann sogenannte
Synonymsammlungen zu Hilfe, die ich im Gegensatz zu Dir nicht
verachte, sondern von denn ich mich anregen lasse und deren
Einzelstücke ich in der Hand auf Eignung wägen kann. Glücklich, wer
darauf nicht angewiesen ist, aber den Nutzen, den - richtig angewandt
- solche Sprachwerkzeuge stiften können, nicht anerkennen zu wollen,
sondern ihn in Grund und Boden zu verdammen, ist für mich nichts
weiter als typisch Achterndieksche Hyper-Arroganz. Anspruch und
Inhalt der Dudenschen Synonym-Sammlung auf wortwörtliche
hundertprozentige Bedeutungs- Übereinstimmung festlegen zu wollen ist
gezieltes Missverstehen in polemischer Absicht. Wer's mag, soll da
weiter nach Herzenslust lästern. Ich fürchte, der Hauptfehler der
Duden-Leute für Dich ist, dass sie noch leben und an ihren Produkten
weiter arbeiten. Oder willst Du sagen, _alle_ Synonymwörterbücher
waren schon immer nutzlos und fehlerträchtig und überhaupt
überflüssig, oder willst Du behaupten, in keiner der altehrwürdigen
Sammlungen auf diesem Gebiet habe es Zusammenstellungen gegeben, über
die man hätte diskutieren können?
Was den Ansatz 'zurück zu den Wurzeln' der Bedeutungen angeht, so ist
dieser natürlich nicht abwegig, nur hilft er oft nicht dabei, zu
erklären, warum sich abseits der Ursprungsbedeutung ein anderer
Sprachgebrauch im Umgang mit diesem Wort eingebürgert hat. Dass
'Geschäft' mit 'schaffen' zusammenhängt, ist im Schwäbischen
verblüffenderweise noch erkennbar, in der Standardsprache scheint mir
der Zusammenhang verdeckt. _Mir_ gibt es einen Hinweis, dass meine
Irritation bei Wörtern wie 'Malergeschäft' oder 'Dachdeckergeschäft'
nicht grundlos ist, aber man muss da vorsichtig sein: Sobald man
Einzelwörter aus ihren Zusammenhängen herauspräpariert und isoliert
beobachtet, ändert sich ihr Wesen. Ich weiß nicht, ob es zulässig
wäre, hier eine Analogie zur Physik herzustellen, in der es anerkannt
ist (?), dass eine Beobachtung Einfluss auf das Ergebnis der
Beobachtung nimmt, es also verändert. Insofern arbeitet jedes
Wörterbuch mit verfremdetem Material. So verstehe ich auch das
Bemühen der Gebr. Grimm, durch eine geradezu aberwitzige Menge an
Zitaten und Quellenangaben möglichst viele der
Bedeutungsschattierungen der Wörter zu erhaschen und unausweichliche
Bedeutungsverluste und Verfremdungseffekte so klein wie möglich zu
halten.
Aber das führt wieder mal alles zu weit. Man kann sich nicht vor
jedem Wortgebrauch erst der Etymologie versichern und drei Regalmeter
Wörterbücher durchforsten. Dass sich das an vielen Punkten lohnen
könnte, darüber sind sich hier wohl die meisten einig.
Gruß Ralf Joerres
| Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
| Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
| Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
[ Goethe, Faust. Direktor im Vorspiel auf dem Theater ]