Post by Tobias J. BeckerPost by U***@web.deMoin,
Post by Christian WeisgerberPost by Ralf Joerres[Die Sekretärin wirkt etwas nervös, was auch kein Wunder ist, denn]
heute ist ihr erster Arbeitstag.
Es geht um den zweiten, den nicht-eingeklammerten Satz.
Wo ist in diesem Satz das Subjekt?
„ihr erster Arbeitstag“
Du hast mit erstaunlicher Treffsicherheit das
Prädikativum gefunden.
Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Überzeugtheit einige in der
Lage sind, Subjekt und Prädikatsnomen (Subjektsprädikativ) zu bestimmen.
1. Dasjenige, das durch die Gleichsetzung definiert oder erläutert
wird, ist das Subjekt.
Mathematisch: Subjekt := Prädikatsnomen
Früher sprach man - sehr zutreffend - von Satzgegenstand und Satzaussage.
Post by Tobias J. Becker2. Das Prädikat kongruiert mit dem Subjekt, mit dem Prädikatsnomen (und
somit beide Letztgenannte untereinander) nicht unbedingt.
Das wäre vormals harte Kongruenzregel, hier etwas aufgeweicht.
Post by Tobias J. BeckerIch plädiere aber dafür, dass derselbe Satz je nach Kontext und
Sprechabsicht ambivalent gedeutet werden kann.
Nicht immer. Sehr oft werden zusätzliche sprachliche Mittel zur
Verdeutlichung eingesetzt.
Post by Tobias J. BeckerIch zeige Freunden das Bild eines Kindes. Die Freunde fragen, wer darauf
abgebildet sei. Ich antworte, das Bild zeige mich.
Ich zeige Freunden ein Gruppenbild von Kindern. Die Freunde fragen, wer
davon ich sei. Ich zeige auf die entsprechende Stelle.
Das bin ich. Einmal im Sinne von
1. Das := ich
mit der Bedeutung 'das, was du da gerade in der Hand hast, hat das
Bildthema 'meine Person'?
Man könnte dann auch sagen
Der Kleine auf dem Bild bin *ich*, oder
Der da?, das bin *ich* (, da war ich drei)
Post by Tobias J. Beckerdas andere Mal
2. Das =: ich
Also z.B. so: ich zeige mit dem Finger drauf und sage:
'Das da vorne neben Tante Erna bin ich.'
Der Betreffende könnte auch sagen:
Kuck doch mal *genau* hin, *soo* schwer *ist* das doch nicht, *siehst*
du das nicht? *Daaa* bin ich doch!
(Aber Du meinst vielleicht die Bedeutung 'mich findest du da, an dieser
Stelle auf dem Foto'? Dann würde nach meinem Gefühl eher gesagt
'ich bin *da* / ich bin da *links* / ich bin *das* da / ich bin *der* da'.)
Auch in Deinen Kurzversionen wäre die (Lautstärke-) Betonung - und
Intonation - jeweils eine andere:
Bei 1 trägt 'ich' den Hauptton, bei 2 'das', und wenn in 2 die Reihe
durchgegangen wird (*da* ist Onkel Albert, und *da* ist deine Mutter,
und *das* bin ich) trägt 'ich' einen Nebenton.
Post by Tobias J. BeckerMan beachte insbesondere, dass der Satz nach vermeintlicher Regel 2 im
ersten Beispiel eigentlich "Das *ist* ich" heißen müsste. Das sagt aber
niemand. Entweder gilt Regel 2 also nicht - damit wiche man von einer
viel allgemeineren Regel ab - oder nicht Regel 1 - damit entfiele die
Definition an sich.
Oder die Sprachbequemlichkeit hebelt manchmal eine starre Regelung aus.
Oder die Sprachüblichkeit. Franzosen sagen durchaus 'C'est moi.' Sie haben
allerdings auch zwei ich-Pronomen, betont und unbetont.
Post by Tobias J. BeckerRichtig wäre also eigentlich im Fall 1 "Das ist ich", die
Sprachgewohnheit kippt den Satz aber um zu "Das bin ich."
Rein formal ist "ich" darin das Subjekt und "Das" das Prädikatsnomen,
obwohl es dem Sinn nach genau umgekehrt sein müsste.
Für mich - und vielleicht überhaupt - sind die beiden Fälle kaum richtig
auseinanderzuhalten, denn es handelt sich sowohl in 1 als auch in 2 um
Zeige-Sätze. In beiden Fällen wird etwas fokussiert, in 1 ein Foto
mit einem Inhalt, der identifiziert wird, wobei der Satz die Identifikation
leistet; in 2 wird eine Person (unter mehreren) auf einem Foto fokussiert,
es wird ebenfalls identifiziert, wobei aber gleichzeitig auf der Bild-
anordnung lokalisiert wird, normalerweise mit einer Zeigegeste:
da =: Onkel x, da =: Tante y, das (da) := ich.
Für mich sind beide Fälle nur scheinbar unterschieden, ich sehe beide Male
das 'ich' als Prädikatsnomen. Anders wäre ein Satz wie
Ich bin (der) ganz links auf dem Bild.
Hier ist die Fokussier-Reihenfolge eine andere: Sieh dir die linke
Seite des Fotos an, suche dort die Person, die am weitesten links steht.
Post by Tobias J. BeckerDamit ist er - wie gesagt formal - nicht von Fall 2 zu unterscheiden,
aber das muss es sprachpraktisch auch gar nicht. Zusammenhang und
Betonung tun ihr Übriges.
Eigentlich müsste "der heutige Tag" definiert werden über "ihr erster
Arbeitstag".
Der heutige Tag ist ihr erster Arbeitstag.
Subjekt := Prädikatsnomen
Da "der heutige Tag" aber aus Bequemlichkeit so nicht ausgedrückt wird,
sondern durch das Adverb "heute" vertreten wird, kippt der Satz zu
Heute ist ihr erster Arbeitstag.
... mit "ihr erster Arbeitstag" als Subjekt, "heute" als adverbialer
Bestimmung der Zeit und "ist" schon nahe an einem Vollverbstatus.
- formal betrachtet -
Ja, formal.
Post by Tobias J. BeckerDie Interpretation von "heute" als elliptisches Subjekt hat natürlich
auch etwas für sich. Aber (ist das nicht immer sonst Ralfs Credo?) es
gibt, gerade in Grenzfällen, nicht immer nur eine einzige mögliche aus
einem grammatikalischen System hervorgehende Interpretation und somit
auch nicht nur eine einzige Bestandsmöglichkeit dieses grammatikalischen
Systemes selbst.
Es gibt aus meiner Sicht oft mehrere Interpretationsmöglichkeiten.
Man kann sich verschiedenen Modellen anschließen. Ich stelle nicht selten
Widersprüche in den Modellen fest, das finde ich unbefriedigend.
Post by Tobias J. BeckerNach der letztgenannten wäre unüblicherweise ein Adverb das Subjekt,
'Subjekt' wird man das nicht nennen können, aber es hat einige
funktionale Eigenschaften, die sonst das Subjekts hat.
Post by Tobias J. Beckermeine wäre etwas kompliziert. Diese Kompliziertheit tritt aber nur
deswegen ein, weil überhaupt ein sprachpraktisches Phänomen krampfhaft
einer formalen Klärung unterjocht wird, wo die Praxis gar keine
Notwendigkeit dafür sieht.
Die Praxis nicht. Aber für die Modellbildung ist es nicht unerheblich,
ob neben bestimmten Passivsätzen, Sätzen mit Dativ- oder Akkusativ-
Subjekt-Surrogaten weitere Formen subjektloser Sätze existieren. Eine
Lösung? Vielleicht müsste die Topikalisierung und/oder die Thema-Rhema-
Gliederung als eine der Subjekt-Prädikat-Gliederung vorgängige Struktur
erfassen, was aber schwer zu analysieren und jedenfalls den bislang
bekannten Grammatiken der deutschen Sprache noch sehr fremd ist.
Gruß: Ralf Joerres