H Maffner
2004-05-30 19:03:52 UTC
REINHARD GÜNZEL
Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, daß es weitaus
gefährlicher ist, seine Meinung hier in Deutschland frei zu äußern als -
sagen wir - in Rußland, China oder Kuba, dann hätte ich vermutlich nur milde
gelächelt. Natürlich hatte man hier und da von den Vorfällen gehört, bei
denen gegen Grundrechte verstoßen wurde; aber erstens waren diese Dinge
immer sehr weit weg, und zweitens war man absolut sicher, daß die
Betroffenen im Klagefall vor unseren Gerichten schon recht bekommen würden.
Und selbst da, wo eine Sache nicht strafrechtlich relevant war, würde
sicherlich in unserer weit gefächerten Medienlandschaft schon der Ansatz
einer moralischen Schieflage sofort wieder geradegerückt werden.
"Diese Dinge haben leider Methode"
Heute weiß ich aus verschiedenen eigenen Erfahrungen, und nachdem ich mich
etwas intensiver mit diesen Dingen befaßt habe, daß dies leider eine
Illusion war. Es gibt ganz ohne Zweifel Bereiche in diesem angeblich
freiesten Staat auf deutschem Boden, die sehr stark an die dunklen Zeiten
der deutschen Geschichte erinnern. Und dabei handelt es sich keineswegs um
bedauerliche Ausrutscher, nein, diese Dinge haben leider Methode.
Lassen Sie mich an dem sogenannten "Fall Hohmann/Günzel" das Problem der
Meinungsfreiheit noch einmal aus meiner Sicht kurz darstellen. Und ich
möchte danach diesen Fall zum Aufhänger nehmen, um einige ausgewählte
Aspekte aus dem Berufsbild des Offiziers ein wenig genauer zu betrachten.
Ich will zum besseren Verständnis die Vorgänge - soweit sie mich betreffen -
noch einmal in aller Kürze rekapitulieren: Ich habe dem Abgeordneten Hohmann
in einem persönlichen Brief für die Zusendung seiner Rede zum Tag der
deutschen Einheit gedankt und habe dabei meine Zustimmung zu seinen klaren
und mutigen Aussagen zum Ausdruck gebracht.
Dieser Brief ist unter dem Bruch des Briefgeheimnisses durch Reporter des
ZDF-Magazins "Frontal 21" veröffentlicht worden.
Der Verteidigungsminister hat mich daraufhin unmittelbar nach Bekanntwerden
ohne Ermittlung des Sachverhalts oder vorheriger Anhörung in einer sofort
angesetzten Pressekonferenz - sozusagen "fernmündlich" - entlassen, wobei er
die Begriffe "verwirrt", "Rausschmiß" und "unehrenhaft" gebrauchte.
Am nächsten Tag wurde mir - für die letzten vier Stunden meiner aktiven
Dienstzeit- die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten,
eine Maßnahme, die üblicherweise nur bei schwersten
Dienstpflichtverletzungen und einer damit verbundenen erheblichen Gefährdung
der Disziplin verhängt wird.
Während ich im Ministerium auf meine Entlassungsurkunde wartete, erklärte
ein Generalstabsoffizier meinem Kraftfahrer, er könne ruhig schon nach Hause
fahren, ab 18:30 Uhr habe sein Kommandeur ohnehin keinen Anspruch mehr auf
ein Dienstfahrzeug.
Mir wird weiterhin verboten, die Kaserne zu betreten und mich von meinen
Männern zu verabschieden. Erst eine Woche später erlaubt man mir, mein
Dienstzimmer zu räumen und meine persönlichen Sachen sicherzustellen.
(Ich hätte nie gedacht, daß ich ein so hochgefährlicher Mann wäre, den man
wie ein Kontaktgift von seiner Truppe isolieren muß; denn nicht einmal in
den finsteren Diktaturen wurde einem Delinquenten dieses letzte "Lebewohl"
vor seiner Hinrichtung verwehrt.)
Eine Übergabe der Dienstgeschäfte wird ebenso verboten wie eine offizielle
Kommandoübergabe oder gar die übliche Verabschiedung aus der
Kommandeurrunde.
Die vom Bundespräsidenten unterzeichnete Entlassungsurkunde enthält nicht
die übliche Dankesformel: "Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen
Dienste spreche ich ihm Dank und Anerkennung aus", obwohl diese Formel nach
bisheriger Praxis nur demjenigen verweigert wird, der nach schweren
kriminellen Verfehlungen im Zuge eines disziplinargerichtlichen Verfahrens
aus der Armee entlassen wurde. Der Bundespräsident ließ mir auf meine
Anfrage hin mitteilen, daß der Minister in diesem Falle so entschieden habe
und er sich dem habe fügen müssen. Eine bemerkenswerte Feststellung unseres
Staatsoberhauptes.
Unmittelbar nach meiner Entlassung wird auf Befehl der Heeresführung in
meinen ehemaligen Standorten nachgeforscht, ob dort etwa auf meine Weisung
hin Traditionsräume eingerichtet, Patenschaften mit Wehrmachtsverbänden oder
ähnliche verbotswidrige oder anrüchige Maßnahmen veranlaßt worden seien.
(Ich habe mich dabei unwillkürlich an die sogenannte Kießling-Affare
erinnert, als sich unsere militärische Führung ebenfalls nicht zu schade
war, in Sigmaringen nachzuforschen, "ob der General Dr. Kießling als
Divisionskommandeur häufiger als üblich das Duschen überprüft habe", um
damit die behauptete Homosexualität zu beweisen.)
Nun hat natürlich der Minister gemäß Paragraph 50 Soldatengesetz das Recht,
einen Soldaten vom Brigadegeneral an aufwärts auch ohne Angabe von Gründen
in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dies berechtigt ihn jedoch
nicht, einen solchen Rechtsakt gewissermaßen zu einer Polit-Veranstaltung zu
mißbrauchen, indem er einer ahnungslosen Öffentlichkeit in einer Art
"Standgerichtsurteil" den Kopf eines Mannes präsentiert, der lediglich das
Pech hatte, als Anhänger des gegnerischen Lagers "geoutet" worden zu sein,
uzw. der sich auf ein in Deutschland immer noch hochgefährliches Minenfeld
gewagt hatte. Denn - ein Dienstvergehen konnte mir bis heute nicht
vorgeworfen werden.
Der neutrale Beobachter wird jetzt natürlich fragen, was denn um alles in
der Welt einen Minister zu einer solch wütenden Reaktion - sei sie nun echt
oder inszeniert - veranlasst haben kann.
Und die spontane Antwort wird ebenso natürlich lauten: Es war diese
antisemitische - oder, wie es später hieß: als antisemitisch empfundene oder
schlimmer noch: "diese latent antisemitische" - Rede des Abgeordneten
Hohmann! Aber wer auch nur einigermaßen des Lesens fähig ist, und wem der
komplette Redetext vorgelegen hat, der wird sofort zugeben müssen, daß diese
Rede nicht nur nicht antisemitisch, sondern weit eher philosemitisch ist,
wie anhand mehrerer Passagen mühelos nachzuweisen ist. Das einzige, was man
Herrn Hohmann - mit leichter Ironie selbstverständlich - vorwerfen könnte,
ist, daß er spätestens seit Veröffentlichung der Pisa-Studie
grammatikalische Formen wie den Konjunktiv oder gar eine rhetorische Frage
bei unserer herrschenden Klasse und wohl auch bei großen Teilen unserer
Journalisten nicht mehr als bekannt voraussetzen durfte.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn ich meinem sechsjährigen
Sohn die Bewegungen der Himmelskörper näherbringen will und zu ihm sage:
"Wenn du morgens aus dem Fenster schaust und siehst, wie die Sonne im Osten
auf- und abends im Westen wieder untergeht, dann könntest du durchaus zu der
Annahme kommen, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Aber damit würdest du
genau dieselbe falsche Schlußfolgerung ziehen, wie es die Menschen viele
tausend Jahre lang getan haben, denn ..." usw. usw. Niemand würde ernsthaft
behaupten, ich würde damit das heliozentrische Weltbild in Frage stellen.
Genauso hat Hohmann über die Juden im Bolschewismus gesprochen, also mit
einem "con-junctivus irrealis". Und er hat - sicherheitshalber - seine
Argumentation abgeschlossen mit der überaus klaren und deutlichen
Feststellung: "Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk".
Es hat Ihm nichts geholfen, denn ein gewisser Herr Sonne stellt in den
"Tagesthemen" unwidersprochen fest: "Hohmann nennt Juden ein Tätervolk!",
und 99,9 Prozent unserer Medien stimmen unisono ein und beginnen eine
Hexenjagd, die ihresgleichen sucht. Man faßt sich an den Kopf.
"Natürlich bin ich tief getroffen"
Als ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Tatsache, daß - genau wie
in den Hexenprozeß vor vierhundert Jahren - auch hier das Recht außer Kraft
gesetzt ist, mag eine Einlassung unseres Innenministers in der Sendung
"Christiansen" am 09. Vovember 2003 dienen: Auf die Frage von Frau
Christiansen, ob man denn den General Günzel nicht- nach altem römischen
Rechtsgrundsatz - fairerweise erst einmal hätte anhören müssen, bevor man
den Stab über ihm gebrochen hat, da braust Schily geradezu entrüstet auf und
sagt etwa wörtlich: "Da gibt es diese Rede, und da gibt es den Brief dieses
Generals - wozu braucht es denn da noch eine Anhörung?" Wohlgemerkt, das
sagt ein Mann, der nicht nur das Recht studiert hat und sich als
Bundesminister diesem in ganz besonderer Weise verpflichtet fühlen müßte,
sondern der selbst als Strafverteidiger peinlich genau auf die minutiöse
Einhaltung der Strafprozeßordnung geachtet hat! Aber damals ging es
natürlich um das Recht von Terroristen, während hier nur ein deutscher
General zur Debatte stand.
Bevor ich selbst in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, habe ich
jedem, der die Hohmann-Rede als antisemitisch bezeichnet hat, für den Beweis
auch nur einer einzigen solchen Passage ein Monatsgehalt geboten. Ich habe
bis heute nicht zahlen müssen; und aus diesem Grund haben wohl auch die
etwas intelligenten "Hohmann-Jäger" immer von einer "unerträglichen Rede"
gesprochen, vom "Verlassen des demokratischen Bogens" und ähnlichen
Seifenblasen. Wenn aber eine "unerträgliche Rede" schon Grund für einen
Fraktionsausschluß ist, dann werden unsere Parlamentsstenographen bald
arbeitslos sein.
Was aber ist die Ursache für eine solche Psychose, für ein solch
pathologisches Verhalten? Was bringt das Volk dazu, seine Identität, sein
Selbstwertgefühl, sein natürliches Selbstbewußtsein so vollkommen aufzugeben
und nur dann zufrieden zu sein, wenn es mit beiden Händen Asche aufsein
Haupt streuen kann? (Wobei das Problem noch dadurch verschärft wird, daß
sich ein psychisch Kranker ja immer für gesund, für völlig normal hält und
daher nur sehr schwer zu heilen ist.)
Aber daß dieser Patient schwer krank ist, daran besteht kein Zweifel.
In welchem Land der Erde wäre es denn möglich, daß zum Beispiel:
- Pfarrer sich weigern, einen Soldaten in Uniform zu trauen,
- kirchliche Organisationen eine Spende zurückweisen, weil sie von Soldaten
erbracht wurde,
- Deserteure glorifiziert werden, während man die Denkmäler für gefallene
Soldaten abreißt,
- all das, was deutsche Soldaten zwischen 1939 und 1945 an Mut, Tapferkeit
und Opferbereitschaft vollbracht haben, mit Hingabe in den Schmutz gezogen
wird,
- Soldaten mit Billigung unseres höchstens Gerichtes als Mörder bezeichnet
werden,
- unser Bundespräsident sich weigert, mit dem Schriftzug "Luftwaffe" an
seiner Maschine zu fliegen
- oder daß ein 17jähriger, der 1945 seine Panzerfaust auf einen sowjetischen
Panzer gerichtet hat, sich noch heute dafür rechtfertigen muß, während ein
25jähriger Student, der Brandsätze auf Polizeifahrzeuge geschleudert hat,
der gefeierte Held in unseren Talk-Shows ist und nicht selten in hohe
Regierungsämter aufsteigt, um nur wenige Symptome aus dem militärischen
Bereich zu nennen.
Ich bin wiederholt gefragt worden, ob ich nun - nach dieser schweren
Enttäuschung - nicht quasi vor den Trümmern meines Lebens stehe.
Natürlich bin ich durch all diese Vorgänge tief getroffen. Und auch, wenn
ich mir heute sage, daß eine unehrenhafte Behandlung noch längst nicht den
Verlust der Ehre bedeutet - viele sagen im Gegenteil: "In dieser Form
entlassen worden zu sein, ist geradezu eine Auszeichnung!" - ,so tut es
natürlich schon weh, nach knapp 41 Dienstjahren die Armee auf diese Weise
verlassen zu müssen, die Armee, die ein Leben lang meine Welt war, mit der
ich mich in weiten Teilen identifiziert habe. Aber enttäuscht hat mich das
Verhalten des Ministers natürlich nicht. Enttäuscht werden kann man ja nur
dann, wenn eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt wird. Ich will mich einer
persönlichen Wertung enthalten, weil sie mich meine Pension kosten könnte;
aber was die Menschen von unseren Politikern halten, läßt sich eindrucksvoll
an den Meinungsumfragen ablesen, in denen unsere sogenannten Volksvertreter
über Jahre hinweg beharrlich den letzten Tabellenplatz verteidigen.
Ausnahmen bestätigen natürlich diese traurige Regel.
Enttäuscht worden bin ich aber durch das Verhalten meiner Vorgesetzten und
des überwiegenden Teils meiner vormaligen Kameraden, weil sie all das mit
Füßen getreten haben, woran ich ein militärisches Leben lang geglaubt habe.
Keiner meiner unmittelbaren Vorgesetzten hat bis zum heutigen Tage ein
persönliches Gespräche mit mir geführt oder mich auch nur einer Tasse Kaffee
für würdig befunden. Ganze fünf Generäle haben mir ihr Mitgefühl
ausgesprochen, und während ich von der "Basis" und den Ehemaligen eine Flut
von Sympathiebeweisen erhalten habe - wie übrigens auch aus der gesamten
Bevölkerung-, herrschte bei den aktiven Stabsoffizieren überwiegend
"Funkstille". Kameraden, mit denen ich seit mehr als dreißig Jahren durch
dick und dünn gegangen bin, oder Männer, die mir von jeder Mittelmeerküste
einen Urlaubsgruß geschickt haben, konnten sich plötzlich nicht mehr an mich
erinnern. Und ganz besonders schmerzlich für mich war es natürlich, solch
ein Verhalten bei meinen Fallschirmjägern zu erleben, die ja nicht müde
werden, das hohe Lied der Kameradschaft zu singen.
Nun könnte man bei einem jungen Stabsoffizier für eine solche Handlungsweise
sogar noch Verständnis haben, wenn man ihm zugute hält, daß er eventuelle
Karrierenachteile befürchtet. Wie erklärt man aber eine solche Haltung bei
einem Offizier, der seinen letzten Dienstgrad erreicht hat oder kurz vor der
Pensionierung steht, und dessen Karriere also durchaus überschaubar ist? Und
genau daran zeigt sich eben, daß ein solcher
über die Jahre gewachsener Haltungsschaden nahezu irreparabel ist, wenn das
Rückgrat einmal verbogen ist, läßt es sich kaum noch aufrichten.
Ich will aber auch hier nicht überheblich den Stab brechen, denn: Menschen
sind nun einmal in der Masse feige, eine uralte Erkenntnis. Angst und
Feigheit sind unsere täglichen, ja, stündlichen Begleiter. Der römische
Schriftsteller Sueton hat dies in seinem Werk "De vita Caesarum" so herrlich
veranschaulicht mit der ironischen Frage, warum es im Senat immer strahlend
hell wurde, wenn Nero den Raum betrat; das lag nicht etwa an der
"Lichtgestalt" des römischen Kaisers, sondern daran, daß alle Senatoren
sofort in ängstlich devoter Haltung die Köpfe senkten, wodurch sich sie
Sonne in den polierten Glatzen spiegelte und den Senat erleuchtete. Und die
klugen Senatoren wußten, warum! Denn mit einem solchen Verhalten folgten sie
nun einmal - und folgen wir alle - einem der ältesten Gesetze unserer
Evolutionsgeschichte, dem Gesetz der Anpassung. Wer sich nicht anpaßt, geht
unter, und wir hätten uns niemals vom Einzeller zu einem vernunftbegabten
Wesen entwickelt, wenn wir gegen dieses Prinzip verstoßen hätten. Und dies
gilt offenbar im biologischen Bereich ebenso wie im sozialen. Andererseits
darf man aber gerade von einem Offizier schon erwarten, daß er sein Leben an
anderen Maximen ausrichtet als am Überlebensprinzip einer Amöbe.
Aber - dazu muß natürlich erzogen werden. Genauso, wie man einem Soldaten
dazu bringen muß, gegen seinen eingeborenen Überlebenstrieb ins Feuer hinein
anzugreifen und sein Leben für einen höheren Wert aufs Spiel zu setzen, so
kann und muß man auch zu ethisch-moralischen Werten und Verhaltensweisen
erziehen. Dies ist leider in der Bundeswehr weitestgehend unterblieben. Ein
gewisser Prof. Dr. Thomas Ellwein, vom damaligen Verteidigungsminister
Schmidt zum Vorsitzenden einer Kommission berufen, die die Erziehung und
Bildung in den Streitkräften neu gestalten sollte, erklärte am 8. Dezember
1970 vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg seine "Vorstellungen
über die Offiziersausbildung". Dabei sagte er unter anderem: "Der Soldat muß
in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische
Einstellung und Gesinnung kommt es dabei überhaupt nicht an. Wichtig ist,
daß er nur das tut, was er tun soll, und keinen Deut mehr."
Man hat also eindeutig- wider besseres Wissen - den geistigen, den
fachlichen Leistungen den Vorrang vor den charakterlichen Eigenschaften
gegeben, mit dem Ergebnis, das zweifellos beabsichtigt war. Denn es ist
natürlich leichter, Schafe zu hüten als Löwen; allerdings hat man mit Löwen
etwas mehr Wirkung gegen den Feind. Selbstverständlich hat der Soldat in
erster Linie zu gehorchen; aber gerade in der Bundeswehr, die als einziges
traditionswürdiges Ereignis der Wehrmacht nur den "20. Juli" gelten läßt,
müßte man - insbesondere von unseren höheren Offizieren -etwas mehr geistige
Selbständigkeit und Mut zum Widerspruch erwarten dürfen. Und darum ist der
Vorwurf meiner Vorgesetzten und Kameraden an mich: "In dieser Position müsse
man eben politisch vorsichtiger sein, und wer dieses Gespür nicht habe, der
tauge eben nicht zum General", eine Bankrotterklärung unserer Truppenführer.
Und dennoch muß ich dem Offizierskorps ein bißchen Abbitte leisten, weil es
für sein Verhalten nur bedingt verantwortlich zu machen ist: die Kameraden
sind eben nicht zu charaktervollem Handeln erzogen worden! Eine Armee fällt
nicht vom Himmel - sie ist immer das Produkt einer langen und sorgfältigen
Erziehung. Und außerdem: wenn "Männerstolz vor Königsthronen" wirklich in
der Militärgeschichte die Regel und eben nicht die rühmliche Ausnahme wäre,
dann würde man nicht immer wieder den berühmten Oberstleutnant von der
Marwitz bemühen, der "Ungnade wählte, wo treues Dienen nicht Ehre brachte."
"Menschen sind nun einmal in der Masse feige"
Schon Bismarck hat sich über das Phänomen gewundert, "daß ein Volk, dessen
Soldaten sich so tapfer im Kriege zeigten, über so wenig Zivilcourage
verfüge." Aber bei näherer Betrachtung ist dies gar nicht so verwunderlich;
denn es ist in der Tat weitaus leichter, im Kriege Tapferkeit zu beweisen,
als Zivilcourage im Frieden. Und selbst, wenn es paradox klingen mag: es
gehört für einen Vorgesetzten weitaus mehr Mut dazu, auf dem Gefechtsfeld
feige zu sein, als seinen Männern beim Angrif voranzustürmen.
Außerdem: Einem Leutnant mit Ritterkreuz fliegen die Mädchenherzen zu,
während ein Mann mit Zivilcourage in jedem Fall die Mehrheit gegen sich hat.
Nun wäre selbst das noch zu ertragen, nach dem Motto "viel Feind, viel Ehr",
wenn es nicht tatsächlich noch viel schlimmer wäre. Denn wer gegen diese
herrschende Meinung aufsteht, wird ja nicht als Zeitgenosse verehrt oder gar
gefeiert, ganz im Gegenteil: er wird ausgegrenzt, geächtet oder -schlimmer
noch: er wird lächerlich gemacht. Denken Sie zum Beispiel an den
Generalfeldmarschall von Witzleben, dem man vor dem Volksgerichtshof die
Hosenträger abgeschnitten hatte, um ihm seine Würde zu nehmen.
Und eine noch subtilere Form, die bei uns auch perfekt praktiziert wird, ist
der Cordon des Schweigens, den man um einen solchen Menschen legt: keine
Zeitung, kein Radio, kein Fernsehsender berichtet über ihn; er verfällt -
wie im alten Rom - der damnatio memoriae. Es dürfte schwerfallen, auch nur
einen einzigen Menschen zu nennen - von Sokrates bis Sophie Scholl -, der
schon zu Lebzeiten wegen seiner Zivilcourage anerkannt oder gar respektiert
wurde. Und darum setzt Zivilcourage entweder eine schon fast als fanatisch
zu bezeichnende Haltung voraus oder aber eine tiefverwurzelte religiöse bzw.
ethisch-sittliche Überzeugung, die sich weder dem Zeitgeist beugt noch vor
irgendwelchen Nachteilen zurückschreckt. Denn genau dies meinte der
Generalmajor Henning von Tresckow mit seinem Wort "Der sittliche Wert eines
Menschen beginnt dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben
einzusetzen."
Nun gilt dies alles aber leider nur cum granosalis, denn bei dieser Affäre
hat sich ja nie die Frage der Zivilcourage gestellt, jedenfalls nicht für
das Offizierskorps. Ich hätte niemals von irgendwem verlangt, sich
öffentlich zu mir zu bekennen und sich damit möglicherweise zwischen mir und
seiner Karriere zu entscheiden. Was ich in aller Bescheidenheit - heute muß
ich sagen Naivität - erwartet habe, war ein kleines Zeichen
kameradschaftlicher Sympathie in Form eines Telefonanrufes oder eines
Briefchens. Um Gottes willen kein öffentliches Bekenntnis -wie zum Beispiel
Paul Spiegel in der Friedman-Affäre, als er freimütig erklärte: "Mag er
getan haben was er will - er bleibt mein Freund!" Und da ging es immerhin um
durchaus ehrenrührige Kriminaldelikte!
Aber ich tue meinen Kameraden schon wieder Unrecht. Wäre ich nämlich ein
ganz normaler Straftäter, der, sagen wir, des Drogenhandels angeklagt wäre,
das Regimentsilber gestohlen hätte oder eine alte Frau im Vollrausch
überfahren hätte, so wäre mir sicherlich kameradschaftliche Zuwendung zuteil
geworden. Und ganz sicher hätte sich dann auch einer meiner Vorgesetzten zu
einem persönlichen, tröstenden Gespräch bereit gefunden.
Und jetzt sieht man, wie wohldurchdacht das ganze Schauspiel inszeniert war:
Günzel war eben kein "normaler Krimineller", er war - viel schlimmer: ein
NS-Sympathisant, ein Antisemit! Und wer sich dem nähert oder auch nur seinen
Namen nennt, ist ebenfalls gerichtet. Und obwohl all meine Kameraden, die
mich seit vielen Jahren kennen, genau wissen, daß ich ebenso antisemitisch
bin wie Ben Gurion - diese Lektion haben sie verstanden.
Jetzt kann man natürlich einwenden, daß in diesem Fall, in dem sich große
Teile unseres Volkes abnorm verhalten, auch für das Offizierskorps
"mildernde Umstände" gelten müssen, und daß daher dieser Fall überhaupt kein
Maßstab für das Ethos eines ansonsten untadeligen Offizierskorps sein könne.
Ich wäre der erste, der einem solchen Argument begeistert folgen würde, wenn
nicht die Fülle der negativen Beispiele die wenigen positiven um ein
Vielfaches überträfen. Und ich darf Ihnen daher aus eigener leidvoller
Erfahrung noch einen besonders plakativen Fall schildern: Im Herbst 1997
veröffentlichte SAT.l das sogenannte "Horrorvideo von Hammelburg" als
"Beweis" für die angeblich eklatant ansteigenden Fälle von
Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Was war geschehen?
Einige junge Soldaten, die zur Vorbereitung der Balkankontingente über
mehrere Wochen als feindliche Soldateska eingesetzt waren, hatten in einer
Pause -gewissermaßen in Fortsetzung ihrer Komparsenrolle und wohl aus
jugendlichem Übermut - Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen dargestellt
und mit einer privaten Videokamera gefilmt.
Anstatt nun mit staatsmännischer Gelassenheit den Fall erst einmal
aufzuklären, gab Minister Rühe dem Druck der Presse nach und entließ
beziehungsweise versetzte nicht nur - ohne jede Aufklärung und Anhörung
selbstverständlich - alle auch nur ansatzweise beteiligten oder
verantwortlichen Soldaten, sondern auch - vermutlich, um seine besondere
Führungsstärke zu demonstrieren - den Kommandeur der 13.
Panzergrenadierdivision, den Generalmajor von Scotti, und den Kommandeur der
Jägerbrigade 37, den damaligen Oberst Günzel.
"Karrieren werden zerstört und Menschen ruiniert"
Als mir die Ablösung von meinem Dienstposten eröffnet wurde, war ich mir
absolut sicher, daß diese schon wenige Tage später wieder rückgängig gemacht
werden würde, nicht nur deshalb, weil weder das Maß der Schuld, noch der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Maßnahme gerechtfertigt
hätten, sondern vor allem deshalb, weil ich mit der ganzen Sache nicht das
geringste zu tun hatte, denn zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war ich noch
gar nicht im Amt! Die Dinge waren etwa zwei Jahre vor meiner
Kommando-Übernahme geschehen! Und obwohl all meine Vorgesetzten dies wußten,
rührte niemand auch nur einen Finger! Ich war fassungslos: Da werden ein
Divisions- und Brigade-Kommandeur ihrer Dienstposten enthoben, obwohl jeder
weiß, daß sie mit der Sache soviel zu tun haben wie der Erzbischof von
Bamberg - und nichts passiert. Mit derselben Logik hätte der Minister auch
seinen Ordonnanzoffizier rausschmeißen können. Es mußte doch einen Sturm der
Entrüstung im deutschen Heer geben! Aber weit gefehlt: An der Basis wurde
ein wenig gemurrt, es gab ein paar kritische Presseberichte und
Leserbriefe - und das war's. Alle meine Vorgesetzten, die gesamte
Generalität übten sich in vornehmer Zurückhaltung! Und hier gab es für die
Kameraden und Vorgesetzten keine "mildernden Umstände".
Auch hier ist dem Minister noch der geringste Vorwurf zu machen. Er ist
Politiker und handelt eiskalt nach dem Prinzip der russischen Troika: Die
(Presse-) Wölfe heulenn -e iner muß vom Schlitten. Und da er genau wußte,
daß er von dieser Generalität auch nicht den Hauch eines Widerspruchs zu
erwarten hatte - wer oder was hätte ihn hindern sollen? Natürlich wird jeder
meiner damaligen Vorgesetzten für sein Verhalten eine hrillante
Entschuldigung gehabt haben; aber die deutsche Sprache kennt dafür
eigentlich nur ein Wort: Feigheit!
Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, wie sich ein solches
Offizierskorps in einer Diktatur verhalten würde. Ich habe nicht den
geringsten Zweifel: Wenn auch nur zwei oder drei höhere Generale beim
Minister demonstriert und ihm - widrigenfalls -ihren Abschied angeboten
hätten - der Herr Minister hätte ein Problem gehabt. Vor allem aber hätte
man für die Zukunft ein deutliches Zeichen gesetzt. Mit diesem
opportunistischen Abtauchen hat man allerdings auch ein Zeichen gesetzt.
Ein guter Freund von mir hat zu diesen Vorgängen treffend festgestellt: "Wer
statt Uniform Livree trägt, wird auch so behandelt." Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Diese und ähnliche Vorfälle hinterlassen natürlich tiefe Spuren im
Gedächtnis und damit auch im Langzeitgedächtnis der Truppe. In keiner
anderen Armee der Welt wird soviel über Innere Führung geschrieben und
geredet. Aber immer dann, wenn eine Sache viel Erklärung, Theorie und
Terminologie braucht, ist Skepsis angebracht. Menschenführung und
Kameradschaft bewähren sich nur dann, wenn sie von Vorgesetzten vorgelebt
werden, vor allem dann, wenn sie mit persönlichem Risiko verbunden sind.
Nach solchen, eben geschilderten Erlebnissen wird sich natürlich jeder
Soldat fragen, ob und wie lange sein Vorgesetzter hinter ihm steht, wenn es
kritisch wird, vor allem, wenn es um sensible oder gar lebensgefährliche
Einsätze geht.
Und darum ist dies nicht nur eine geradezu unfehlbare Methode, eine Armee
von Duckmäusern zu erziehen, sondern viel schlimmer noch: Die berühmte
Auftragstaktik, die das deutsche Soldatentum seit 250 Jahren in der Welt
berühmt gemacht und deutsche Verbände immer wieder in die Lage versetzt hat,
aus einer zahlenmäßigen Unterlegenheit das Gefecht für sich zu
entscheiden -diese Auftragstaktik wird mit einem solchen Soldatentypus zu
Grabe tragen.
Wenn ich nun den Verlust der Kameradschaft beklagt habe, so muß ich das ein
wenig relativieren. Natürlich gibt es unter höheren Offizieren - und erst
recht unter Generalen - keine Kameradschaft, hat es wohl auch nie gegeben.
Dieses Gefühl hört spätestens beim Kompaniechef auf.
Aber eines hat es in einer intakten Armee immer gegeben: Korpsgeist! Diesen
besonderen Ehrenkodex, der sich zum Beispiel ausdrückt in dem klaren
Bewußtsein: so etwas lassen wir mit uns nicht machen! Wenn dieses Empfinden
verlorengeht, dann verliert eine Armee ihr Rückgrat und wird sehr schnell
zum Spielball unterschiedlichster Interessen.
Wenn man mich nun fragt, was mich von all diesen betrüblichen Umständen am
meisten getroffen hat, so sind es - mit einem gewissen zeitlichen Abstand
und wenn ich die persönlichen Kränkungen einmal außer acht lasse - ganz
zweifellos zwei Dinge:
Zum ersten die Tatsache, daß im Namen dieses Krebsgeschwürs "Political
Correctness" Geschichte gefälscht und Recht gebeugt wird, daß Karrieren
zerstört und Menschen ruiniert werden und daß die schweigende Mehrheit dies
alles - zwar zunehmend murrend, aber dennoch mit gesenktem Kopf- hinnimmt.
Und zum zweiten, daß wir, die wir einmal stolz darauf waren, das "Volk der
Dichter und Denker" genannt worden zu sein, daß wir uns eben dieses
kritische Denken - zumindest auf diesem Feld - verbieten lassen und zwar
genau von denjenigen, vor denen man uns vor 25 Jahren mit Polizeiaufgeboten
beschützen mußte.
Angefangen von dem Zwang, der "Singularität des Holocaust" unsere Reverenz
zu erweisen, über die Verpflichtung, die im Nürnberger Prozeß von den
Siegermächten getroffenen Feststellungen auf alle Zeiten anzuerkennen, bis
hin zu den vielen Tabus, die uns verbieten, historische Wahrheiten
auszusprechen und zu diskutieren - all diese Denkverbote, die uns daran
hindern, zu eigenständigen Wertungen und Urteilen zu kommen -dies alles ist
nicht nur eine Beleidigung für jeden aufgeklärten Menschen, sondern auch das
geistige Todesurteil für jede freie Gesellschaft. George Orwell läßt grüßen!
Gottfried Benn schreibt: "Das Abendland geht nicht zugrunde an den
totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem
hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen
Zweckmäßigkeiten."
Und schließlich ist es als Offizier natürlich eine tiefe Enttäuschung, zu
erleben, daß die Entwicklung vom selbstbewußten, charakterfesten, manchmal
auch etwas knorrigen Offizier alter Tage hin zum glatten,
stromlinienförmigen "Manager in Uniform" unaufhaltsam voranschreitet.
Aber trotz dieser äußerst düsteren und pessimistischen Erkenntnisse besteht
Hoffnung. Und damit meine ich nicht das berühmte zarte Pflänzchen, das wir
auch am Rande des Grabes noch zu pflanzen pflegen. Ich bin fest davon
überzeugt, daß alle diese Fälle - von Nolte über Jenninger, Heitmann und
Walser bis Hohmann - die Mauer der "Political Correctness" ins Wanken
gebracht haben. Sie hat deutliche Risse, und der Druck im Kessel steigt. Das
zeigt sich schon an der nervösen Überreaktion in dieser Affäre. Die Menschen
sind zunehmend weniger bereit, sich die Zumutung dieser ad infinitum
verlängerten Kollektivschuld gefallen zu lassen und auch noch in der fünften
Generation das Büßerhemd zu tragen. Noch einige wenige solcher Vorfälle, und
das Tabu könnte zerbrechen.
Und in dieser Hoffnung sollten wir weiterkämpfen gegen Mittelmäßigkeit,
Feigheit, Anpassung und Opportunismus, damit wir wieder von einer
Meinungsfreiheit sprechen können, die diesen Namen verdient und die Voltaire
so treffend beschrieben hat, als er sagte: "Ich hasse jedes Wort von dem,
was Sie sagen; aber ich werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es
auch weiterhin sagen dürfen."
Lassen Sie mich aber schließen mit einem Zitat von Mark Twain: "Die
Demokratie beruht auf drei wesentlichen Säulen: der Freiheit der Gedanken,
der Freiheit der Rede und der Klugheit, beide nicht zu gebrauchen."
General a.D. Reinhard Cünzel, Jahrgang 1944, meldete sich 1963 freiwillig
zur Fallschirmjägertruppe, studierte Geschichte und Philosophie und diente
in verschiedenen Kommandeurverwendungen. Seit November 2000 führte der
Brigadegeneral das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Am 4.
November 2003 wurde er wegen seines Unterstützerbriefes an Martin Hohmann
entlassen.
Junge Freiheit
Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, daß es weitaus
gefährlicher ist, seine Meinung hier in Deutschland frei zu äußern als -
sagen wir - in Rußland, China oder Kuba, dann hätte ich vermutlich nur milde
gelächelt. Natürlich hatte man hier und da von den Vorfällen gehört, bei
denen gegen Grundrechte verstoßen wurde; aber erstens waren diese Dinge
immer sehr weit weg, und zweitens war man absolut sicher, daß die
Betroffenen im Klagefall vor unseren Gerichten schon recht bekommen würden.
Und selbst da, wo eine Sache nicht strafrechtlich relevant war, würde
sicherlich in unserer weit gefächerten Medienlandschaft schon der Ansatz
einer moralischen Schieflage sofort wieder geradegerückt werden.
"Diese Dinge haben leider Methode"
Heute weiß ich aus verschiedenen eigenen Erfahrungen, und nachdem ich mich
etwas intensiver mit diesen Dingen befaßt habe, daß dies leider eine
Illusion war. Es gibt ganz ohne Zweifel Bereiche in diesem angeblich
freiesten Staat auf deutschem Boden, die sehr stark an die dunklen Zeiten
der deutschen Geschichte erinnern. Und dabei handelt es sich keineswegs um
bedauerliche Ausrutscher, nein, diese Dinge haben leider Methode.
Lassen Sie mich an dem sogenannten "Fall Hohmann/Günzel" das Problem der
Meinungsfreiheit noch einmal aus meiner Sicht kurz darstellen. Und ich
möchte danach diesen Fall zum Aufhänger nehmen, um einige ausgewählte
Aspekte aus dem Berufsbild des Offiziers ein wenig genauer zu betrachten.
Ich will zum besseren Verständnis die Vorgänge - soweit sie mich betreffen -
noch einmal in aller Kürze rekapitulieren: Ich habe dem Abgeordneten Hohmann
in einem persönlichen Brief für die Zusendung seiner Rede zum Tag der
deutschen Einheit gedankt und habe dabei meine Zustimmung zu seinen klaren
und mutigen Aussagen zum Ausdruck gebracht.
Dieser Brief ist unter dem Bruch des Briefgeheimnisses durch Reporter des
ZDF-Magazins "Frontal 21" veröffentlicht worden.
Der Verteidigungsminister hat mich daraufhin unmittelbar nach Bekanntwerden
ohne Ermittlung des Sachverhalts oder vorheriger Anhörung in einer sofort
angesetzten Pressekonferenz - sozusagen "fernmündlich" - entlassen, wobei er
die Begriffe "verwirrt", "Rausschmiß" und "unehrenhaft" gebrauchte.
Am nächsten Tag wurde mir - für die letzten vier Stunden meiner aktiven
Dienstzeit- die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten,
eine Maßnahme, die üblicherweise nur bei schwersten
Dienstpflichtverletzungen und einer damit verbundenen erheblichen Gefährdung
der Disziplin verhängt wird.
Während ich im Ministerium auf meine Entlassungsurkunde wartete, erklärte
ein Generalstabsoffizier meinem Kraftfahrer, er könne ruhig schon nach Hause
fahren, ab 18:30 Uhr habe sein Kommandeur ohnehin keinen Anspruch mehr auf
ein Dienstfahrzeug.
Mir wird weiterhin verboten, die Kaserne zu betreten und mich von meinen
Männern zu verabschieden. Erst eine Woche später erlaubt man mir, mein
Dienstzimmer zu räumen und meine persönlichen Sachen sicherzustellen.
(Ich hätte nie gedacht, daß ich ein so hochgefährlicher Mann wäre, den man
wie ein Kontaktgift von seiner Truppe isolieren muß; denn nicht einmal in
den finsteren Diktaturen wurde einem Delinquenten dieses letzte "Lebewohl"
vor seiner Hinrichtung verwehrt.)
Eine Übergabe der Dienstgeschäfte wird ebenso verboten wie eine offizielle
Kommandoübergabe oder gar die übliche Verabschiedung aus der
Kommandeurrunde.
Die vom Bundespräsidenten unterzeichnete Entlassungsurkunde enthält nicht
die übliche Dankesformel: "Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen
Dienste spreche ich ihm Dank und Anerkennung aus", obwohl diese Formel nach
bisheriger Praxis nur demjenigen verweigert wird, der nach schweren
kriminellen Verfehlungen im Zuge eines disziplinargerichtlichen Verfahrens
aus der Armee entlassen wurde. Der Bundespräsident ließ mir auf meine
Anfrage hin mitteilen, daß der Minister in diesem Falle so entschieden habe
und er sich dem habe fügen müssen. Eine bemerkenswerte Feststellung unseres
Staatsoberhauptes.
Unmittelbar nach meiner Entlassung wird auf Befehl der Heeresführung in
meinen ehemaligen Standorten nachgeforscht, ob dort etwa auf meine Weisung
hin Traditionsräume eingerichtet, Patenschaften mit Wehrmachtsverbänden oder
ähnliche verbotswidrige oder anrüchige Maßnahmen veranlaßt worden seien.
(Ich habe mich dabei unwillkürlich an die sogenannte Kießling-Affare
erinnert, als sich unsere militärische Führung ebenfalls nicht zu schade
war, in Sigmaringen nachzuforschen, "ob der General Dr. Kießling als
Divisionskommandeur häufiger als üblich das Duschen überprüft habe", um
damit die behauptete Homosexualität zu beweisen.)
Nun hat natürlich der Minister gemäß Paragraph 50 Soldatengesetz das Recht,
einen Soldaten vom Brigadegeneral an aufwärts auch ohne Angabe von Gründen
in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dies berechtigt ihn jedoch
nicht, einen solchen Rechtsakt gewissermaßen zu einer Polit-Veranstaltung zu
mißbrauchen, indem er einer ahnungslosen Öffentlichkeit in einer Art
"Standgerichtsurteil" den Kopf eines Mannes präsentiert, der lediglich das
Pech hatte, als Anhänger des gegnerischen Lagers "geoutet" worden zu sein,
uzw. der sich auf ein in Deutschland immer noch hochgefährliches Minenfeld
gewagt hatte. Denn - ein Dienstvergehen konnte mir bis heute nicht
vorgeworfen werden.
Der neutrale Beobachter wird jetzt natürlich fragen, was denn um alles in
der Welt einen Minister zu einer solch wütenden Reaktion - sei sie nun echt
oder inszeniert - veranlasst haben kann.
Und die spontane Antwort wird ebenso natürlich lauten: Es war diese
antisemitische - oder, wie es später hieß: als antisemitisch empfundene oder
schlimmer noch: "diese latent antisemitische" - Rede des Abgeordneten
Hohmann! Aber wer auch nur einigermaßen des Lesens fähig ist, und wem der
komplette Redetext vorgelegen hat, der wird sofort zugeben müssen, daß diese
Rede nicht nur nicht antisemitisch, sondern weit eher philosemitisch ist,
wie anhand mehrerer Passagen mühelos nachzuweisen ist. Das einzige, was man
Herrn Hohmann - mit leichter Ironie selbstverständlich - vorwerfen könnte,
ist, daß er spätestens seit Veröffentlichung der Pisa-Studie
grammatikalische Formen wie den Konjunktiv oder gar eine rhetorische Frage
bei unserer herrschenden Klasse und wohl auch bei großen Teilen unserer
Journalisten nicht mehr als bekannt voraussetzen durfte.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn ich meinem sechsjährigen
Sohn die Bewegungen der Himmelskörper näherbringen will und zu ihm sage:
"Wenn du morgens aus dem Fenster schaust und siehst, wie die Sonne im Osten
auf- und abends im Westen wieder untergeht, dann könntest du durchaus zu der
Annahme kommen, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Aber damit würdest du
genau dieselbe falsche Schlußfolgerung ziehen, wie es die Menschen viele
tausend Jahre lang getan haben, denn ..." usw. usw. Niemand würde ernsthaft
behaupten, ich würde damit das heliozentrische Weltbild in Frage stellen.
Genauso hat Hohmann über die Juden im Bolschewismus gesprochen, also mit
einem "con-junctivus irrealis". Und er hat - sicherheitshalber - seine
Argumentation abgeschlossen mit der überaus klaren und deutlichen
Feststellung: "Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk".
Es hat Ihm nichts geholfen, denn ein gewisser Herr Sonne stellt in den
"Tagesthemen" unwidersprochen fest: "Hohmann nennt Juden ein Tätervolk!",
und 99,9 Prozent unserer Medien stimmen unisono ein und beginnen eine
Hexenjagd, die ihresgleichen sucht. Man faßt sich an den Kopf.
"Natürlich bin ich tief getroffen"
Als ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Tatsache, daß - genau wie
in den Hexenprozeß vor vierhundert Jahren - auch hier das Recht außer Kraft
gesetzt ist, mag eine Einlassung unseres Innenministers in der Sendung
"Christiansen" am 09. Vovember 2003 dienen: Auf die Frage von Frau
Christiansen, ob man denn den General Günzel nicht- nach altem römischen
Rechtsgrundsatz - fairerweise erst einmal hätte anhören müssen, bevor man
den Stab über ihm gebrochen hat, da braust Schily geradezu entrüstet auf und
sagt etwa wörtlich: "Da gibt es diese Rede, und da gibt es den Brief dieses
Generals - wozu braucht es denn da noch eine Anhörung?" Wohlgemerkt, das
sagt ein Mann, der nicht nur das Recht studiert hat und sich als
Bundesminister diesem in ganz besonderer Weise verpflichtet fühlen müßte,
sondern der selbst als Strafverteidiger peinlich genau auf die minutiöse
Einhaltung der Strafprozeßordnung geachtet hat! Aber damals ging es
natürlich um das Recht von Terroristen, während hier nur ein deutscher
General zur Debatte stand.
Bevor ich selbst in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, habe ich
jedem, der die Hohmann-Rede als antisemitisch bezeichnet hat, für den Beweis
auch nur einer einzigen solchen Passage ein Monatsgehalt geboten. Ich habe
bis heute nicht zahlen müssen; und aus diesem Grund haben wohl auch die
etwas intelligenten "Hohmann-Jäger" immer von einer "unerträglichen Rede"
gesprochen, vom "Verlassen des demokratischen Bogens" und ähnlichen
Seifenblasen. Wenn aber eine "unerträgliche Rede" schon Grund für einen
Fraktionsausschluß ist, dann werden unsere Parlamentsstenographen bald
arbeitslos sein.
Was aber ist die Ursache für eine solche Psychose, für ein solch
pathologisches Verhalten? Was bringt das Volk dazu, seine Identität, sein
Selbstwertgefühl, sein natürliches Selbstbewußtsein so vollkommen aufzugeben
und nur dann zufrieden zu sein, wenn es mit beiden Händen Asche aufsein
Haupt streuen kann? (Wobei das Problem noch dadurch verschärft wird, daß
sich ein psychisch Kranker ja immer für gesund, für völlig normal hält und
daher nur sehr schwer zu heilen ist.)
Aber daß dieser Patient schwer krank ist, daran besteht kein Zweifel.
In welchem Land der Erde wäre es denn möglich, daß zum Beispiel:
- Pfarrer sich weigern, einen Soldaten in Uniform zu trauen,
- kirchliche Organisationen eine Spende zurückweisen, weil sie von Soldaten
erbracht wurde,
- Deserteure glorifiziert werden, während man die Denkmäler für gefallene
Soldaten abreißt,
- all das, was deutsche Soldaten zwischen 1939 und 1945 an Mut, Tapferkeit
und Opferbereitschaft vollbracht haben, mit Hingabe in den Schmutz gezogen
wird,
- Soldaten mit Billigung unseres höchstens Gerichtes als Mörder bezeichnet
werden,
- unser Bundespräsident sich weigert, mit dem Schriftzug "Luftwaffe" an
seiner Maschine zu fliegen
- oder daß ein 17jähriger, der 1945 seine Panzerfaust auf einen sowjetischen
Panzer gerichtet hat, sich noch heute dafür rechtfertigen muß, während ein
25jähriger Student, der Brandsätze auf Polizeifahrzeuge geschleudert hat,
der gefeierte Held in unseren Talk-Shows ist und nicht selten in hohe
Regierungsämter aufsteigt, um nur wenige Symptome aus dem militärischen
Bereich zu nennen.
Ich bin wiederholt gefragt worden, ob ich nun - nach dieser schweren
Enttäuschung - nicht quasi vor den Trümmern meines Lebens stehe.
Natürlich bin ich durch all diese Vorgänge tief getroffen. Und auch, wenn
ich mir heute sage, daß eine unehrenhafte Behandlung noch längst nicht den
Verlust der Ehre bedeutet - viele sagen im Gegenteil: "In dieser Form
entlassen worden zu sein, ist geradezu eine Auszeichnung!" - ,so tut es
natürlich schon weh, nach knapp 41 Dienstjahren die Armee auf diese Weise
verlassen zu müssen, die Armee, die ein Leben lang meine Welt war, mit der
ich mich in weiten Teilen identifiziert habe. Aber enttäuscht hat mich das
Verhalten des Ministers natürlich nicht. Enttäuscht werden kann man ja nur
dann, wenn eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt wird. Ich will mich einer
persönlichen Wertung enthalten, weil sie mich meine Pension kosten könnte;
aber was die Menschen von unseren Politikern halten, läßt sich eindrucksvoll
an den Meinungsumfragen ablesen, in denen unsere sogenannten Volksvertreter
über Jahre hinweg beharrlich den letzten Tabellenplatz verteidigen.
Ausnahmen bestätigen natürlich diese traurige Regel.
Enttäuscht worden bin ich aber durch das Verhalten meiner Vorgesetzten und
des überwiegenden Teils meiner vormaligen Kameraden, weil sie all das mit
Füßen getreten haben, woran ich ein militärisches Leben lang geglaubt habe.
Keiner meiner unmittelbaren Vorgesetzten hat bis zum heutigen Tage ein
persönliches Gespräche mit mir geführt oder mich auch nur einer Tasse Kaffee
für würdig befunden. Ganze fünf Generäle haben mir ihr Mitgefühl
ausgesprochen, und während ich von der "Basis" und den Ehemaligen eine Flut
von Sympathiebeweisen erhalten habe - wie übrigens auch aus der gesamten
Bevölkerung-, herrschte bei den aktiven Stabsoffizieren überwiegend
"Funkstille". Kameraden, mit denen ich seit mehr als dreißig Jahren durch
dick und dünn gegangen bin, oder Männer, die mir von jeder Mittelmeerküste
einen Urlaubsgruß geschickt haben, konnten sich plötzlich nicht mehr an mich
erinnern. Und ganz besonders schmerzlich für mich war es natürlich, solch
ein Verhalten bei meinen Fallschirmjägern zu erleben, die ja nicht müde
werden, das hohe Lied der Kameradschaft zu singen.
Nun könnte man bei einem jungen Stabsoffizier für eine solche Handlungsweise
sogar noch Verständnis haben, wenn man ihm zugute hält, daß er eventuelle
Karrierenachteile befürchtet. Wie erklärt man aber eine solche Haltung bei
einem Offizier, der seinen letzten Dienstgrad erreicht hat oder kurz vor der
Pensionierung steht, und dessen Karriere also durchaus überschaubar ist? Und
genau daran zeigt sich eben, daß ein solcher
über die Jahre gewachsener Haltungsschaden nahezu irreparabel ist, wenn das
Rückgrat einmal verbogen ist, läßt es sich kaum noch aufrichten.
Ich will aber auch hier nicht überheblich den Stab brechen, denn: Menschen
sind nun einmal in der Masse feige, eine uralte Erkenntnis. Angst und
Feigheit sind unsere täglichen, ja, stündlichen Begleiter. Der römische
Schriftsteller Sueton hat dies in seinem Werk "De vita Caesarum" so herrlich
veranschaulicht mit der ironischen Frage, warum es im Senat immer strahlend
hell wurde, wenn Nero den Raum betrat; das lag nicht etwa an der
"Lichtgestalt" des römischen Kaisers, sondern daran, daß alle Senatoren
sofort in ängstlich devoter Haltung die Köpfe senkten, wodurch sich sie
Sonne in den polierten Glatzen spiegelte und den Senat erleuchtete. Und die
klugen Senatoren wußten, warum! Denn mit einem solchen Verhalten folgten sie
nun einmal - und folgen wir alle - einem der ältesten Gesetze unserer
Evolutionsgeschichte, dem Gesetz der Anpassung. Wer sich nicht anpaßt, geht
unter, und wir hätten uns niemals vom Einzeller zu einem vernunftbegabten
Wesen entwickelt, wenn wir gegen dieses Prinzip verstoßen hätten. Und dies
gilt offenbar im biologischen Bereich ebenso wie im sozialen. Andererseits
darf man aber gerade von einem Offizier schon erwarten, daß er sein Leben an
anderen Maximen ausrichtet als am Überlebensprinzip einer Amöbe.
Aber - dazu muß natürlich erzogen werden. Genauso, wie man einem Soldaten
dazu bringen muß, gegen seinen eingeborenen Überlebenstrieb ins Feuer hinein
anzugreifen und sein Leben für einen höheren Wert aufs Spiel zu setzen, so
kann und muß man auch zu ethisch-moralischen Werten und Verhaltensweisen
erziehen. Dies ist leider in der Bundeswehr weitestgehend unterblieben. Ein
gewisser Prof. Dr. Thomas Ellwein, vom damaligen Verteidigungsminister
Schmidt zum Vorsitzenden einer Kommission berufen, die die Erziehung und
Bildung in den Streitkräften neu gestalten sollte, erklärte am 8. Dezember
1970 vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg seine "Vorstellungen
über die Offiziersausbildung". Dabei sagte er unter anderem: "Der Soldat muß
in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische
Einstellung und Gesinnung kommt es dabei überhaupt nicht an. Wichtig ist,
daß er nur das tut, was er tun soll, und keinen Deut mehr."
Man hat also eindeutig- wider besseres Wissen - den geistigen, den
fachlichen Leistungen den Vorrang vor den charakterlichen Eigenschaften
gegeben, mit dem Ergebnis, das zweifellos beabsichtigt war. Denn es ist
natürlich leichter, Schafe zu hüten als Löwen; allerdings hat man mit Löwen
etwas mehr Wirkung gegen den Feind. Selbstverständlich hat der Soldat in
erster Linie zu gehorchen; aber gerade in der Bundeswehr, die als einziges
traditionswürdiges Ereignis der Wehrmacht nur den "20. Juli" gelten läßt,
müßte man - insbesondere von unseren höheren Offizieren -etwas mehr geistige
Selbständigkeit und Mut zum Widerspruch erwarten dürfen. Und darum ist der
Vorwurf meiner Vorgesetzten und Kameraden an mich: "In dieser Position müsse
man eben politisch vorsichtiger sein, und wer dieses Gespür nicht habe, der
tauge eben nicht zum General", eine Bankrotterklärung unserer Truppenführer.
Und dennoch muß ich dem Offizierskorps ein bißchen Abbitte leisten, weil es
für sein Verhalten nur bedingt verantwortlich zu machen ist: die Kameraden
sind eben nicht zu charaktervollem Handeln erzogen worden! Eine Armee fällt
nicht vom Himmel - sie ist immer das Produkt einer langen und sorgfältigen
Erziehung. Und außerdem: wenn "Männerstolz vor Königsthronen" wirklich in
der Militärgeschichte die Regel und eben nicht die rühmliche Ausnahme wäre,
dann würde man nicht immer wieder den berühmten Oberstleutnant von der
Marwitz bemühen, der "Ungnade wählte, wo treues Dienen nicht Ehre brachte."
"Menschen sind nun einmal in der Masse feige"
Schon Bismarck hat sich über das Phänomen gewundert, "daß ein Volk, dessen
Soldaten sich so tapfer im Kriege zeigten, über so wenig Zivilcourage
verfüge." Aber bei näherer Betrachtung ist dies gar nicht so verwunderlich;
denn es ist in der Tat weitaus leichter, im Kriege Tapferkeit zu beweisen,
als Zivilcourage im Frieden. Und selbst, wenn es paradox klingen mag: es
gehört für einen Vorgesetzten weitaus mehr Mut dazu, auf dem Gefechtsfeld
feige zu sein, als seinen Männern beim Angrif voranzustürmen.
Außerdem: Einem Leutnant mit Ritterkreuz fliegen die Mädchenherzen zu,
während ein Mann mit Zivilcourage in jedem Fall die Mehrheit gegen sich hat.
Nun wäre selbst das noch zu ertragen, nach dem Motto "viel Feind, viel Ehr",
wenn es nicht tatsächlich noch viel schlimmer wäre. Denn wer gegen diese
herrschende Meinung aufsteht, wird ja nicht als Zeitgenosse verehrt oder gar
gefeiert, ganz im Gegenteil: er wird ausgegrenzt, geächtet oder -schlimmer
noch: er wird lächerlich gemacht. Denken Sie zum Beispiel an den
Generalfeldmarschall von Witzleben, dem man vor dem Volksgerichtshof die
Hosenträger abgeschnitten hatte, um ihm seine Würde zu nehmen.
Und eine noch subtilere Form, die bei uns auch perfekt praktiziert wird, ist
der Cordon des Schweigens, den man um einen solchen Menschen legt: keine
Zeitung, kein Radio, kein Fernsehsender berichtet über ihn; er verfällt -
wie im alten Rom - der damnatio memoriae. Es dürfte schwerfallen, auch nur
einen einzigen Menschen zu nennen - von Sokrates bis Sophie Scholl -, der
schon zu Lebzeiten wegen seiner Zivilcourage anerkannt oder gar respektiert
wurde. Und darum setzt Zivilcourage entweder eine schon fast als fanatisch
zu bezeichnende Haltung voraus oder aber eine tiefverwurzelte religiöse bzw.
ethisch-sittliche Überzeugung, die sich weder dem Zeitgeist beugt noch vor
irgendwelchen Nachteilen zurückschreckt. Denn genau dies meinte der
Generalmajor Henning von Tresckow mit seinem Wort "Der sittliche Wert eines
Menschen beginnt dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben
einzusetzen."
Nun gilt dies alles aber leider nur cum granosalis, denn bei dieser Affäre
hat sich ja nie die Frage der Zivilcourage gestellt, jedenfalls nicht für
das Offizierskorps. Ich hätte niemals von irgendwem verlangt, sich
öffentlich zu mir zu bekennen und sich damit möglicherweise zwischen mir und
seiner Karriere zu entscheiden. Was ich in aller Bescheidenheit - heute muß
ich sagen Naivität - erwartet habe, war ein kleines Zeichen
kameradschaftlicher Sympathie in Form eines Telefonanrufes oder eines
Briefchens. Um Gottes willen kein öffentliches Bekenntnis -wie zum Beispiel
Paul Spiegel in der Friedman-Affäre, als er freimütig erklärte: "Mag er
getan haben was er will - er bleibt mein Freund!" Und da ging es immerhin um
durchaus ehrenrührige Kriminaldelikte!
Aber ich tue meinen Kameraden schon wieder Unrecht. Wäre ich nämlich ein
ganz normaler Straftäter, der, sagen wir, des Drogenhandels angeklagt wäre,
das Regimentsilber gestohlen hätte oder eine alte Frau im Vollrausch
überfahren hätte, so wäre mir sicherlich kameradschaftliche Zuwendung zuteil
geworden. Und ganz sicher hätte sich dann auch einer meiner Vorgesetzten zu
einem persönlichen, tröstenden Gespräch bereit gefunden.
Und jetzt sieht man, wie wohldurchdacht das ganze Schauspiel inszeniert war:
Günzel war eben kein "normaler Krimineller", er war - viel schlimmer: ein
NS-Sympathisant, ein Antisemit! Und wer sich dem nähert oder auch nur seinen
Namen nennt, ist ebenfalls gerichtet. Und obwohl all meine Kameraden, die
mich seit vielen Jahren kennen, genau wissen, daß ich ebenso antisemitisch
bin wie Ben Gurion - diese Lektion haben sie verstanden.
Jetzt kann man natürlich einwenden, daß in diesem Fall, in dem sich große
Teile unseres Volkes abnorm verhalten, auch für das Offizierskorps
"mildernde Umstände" gelten müssen, und daß daher dieser Fall überhaupt kein
Maßstab für das Ethos eines ansonsten untadeligen Offizierskorps sein könne.
Ich wäre der erste, der einem solchen Argument begeistert folgen würde, wenn
nicht die Fülle der negativen Beispiele die wenigen positiven um ein
Vielfaches überträfen. Und ich darf Ihnen daher aus eigener leidvoller
Erfahrung noch einen besonders plakativen Fall schildern: Im Herbst 1997
veröffentlichte SAT.l das sogenannte "Horrorvideo von Hammelburg" als
"Beweis" für die angeblich eklatant ansteigenden Fälle von
Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Was war geschehen?
Einige junge Soldaten, die zur Vorbereitung der Balkankontingente über
mehrere Wochen als feindliche Soldateska eingesetzt waren, hatten in einer
Pause -gewissermaßen in Fortsetzung ihrer Komparsenrolle und wohl aus
jugendlichem Übermut - Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen dargestellt
und mit einer privaten Videokamera gefilmt.
Anstatt nun mit staatsmännischer Gelassenheit den Fall erst einmal
aufzuklären, gab Minister Rühe dem Druck der Presse nach und entließ
beziehungsweise versetzte nicht nur - ohne jede Aufklärung und Anhörung
selbstverständlich - alle auch nur ansatzweise beteiligten oder
verantwortlichen Soldaten, sondern auch - vermutlich, um seine besondere
Führungsstärke zu demonstrieren - den Kommandeur der 13.
Panzergrenadierdivision, den Generalmajor von Scotti, und den Kommandeur der
Jägerbrigade 37, den damaligen Oberst Günzel.
"Karrieren werden zerstört und Menschen ruiniert"
Als mir die Ablösung von meinem Dienstposten eröffnet wurde, war ich mir
absolut sicher, daß diese schon wenige Tage später wieder rückgängig gemacht
werden würde, nicht nur deshalb, weil weder das Maß der Schuld, noch der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Maßnahme gerechtfertigt
hätten, sondern vor allem deshalb, weil ich mit der ganzen Sache nicht das
geringste zu tun hatte, denn zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war ich noch
gar nicht im Amt! Die Dinge waren etwa zwei Jahre vor meiner
Kommando-Übernahme geschehen! Und obwohl all meine Vorgesetzten dies wußten,
rührte niemand auch nur einen Finger! Ich war fassungslos: Da werden ein
Divisions- und Brigade-Kommandeur ihrer Dienstposten enthoben, obwohl jeder
weiß, daß sie mit der Sache soviel zu tun haben wie der Erzbischof von
Bamberg - und nichts passiert. Mit derselben Logik hätte der Minister auch
seinen Ordonnanzoffizier rausschmeißen können. Es mußte doch einen Sturm der
Entrüstung im deutschen Heer geben! Aber weit gefehlt: An der Basis wurde
ein wenig gemurrt, es gab ein paar kritische Presseberichte und
Leserbriefe - und das war's. Alle meine Vorgesetzten, die gesamte
Generalität übten sich in vornehmer Zurückhaltung! Und hier gab es für die
Kameraden und Vorgesetzten keine "mildernden Umstände".
Auch hier ist dem Minister noch der geringste Vorwurf zu machen. Er ist
Politiker und handelt eiskalt nach dem Prinzip der russischen Troika: Die
(Presse-) Wölfe heulenn -e iner muß vom Schlitten. Und da er genau wußte,
daß er von dieser Generalität auch nicht den Hauch eines Widerspruchs zu
erwarten hatte - wer oder was hätte ihn hindern sollen? Natürlich wird jeder
meiner damaligen Vorgesetzten für sein Verhalten eine hrillante
Entschuldigung gehabt haben; aber die deutsche Sprache kennt dafür
eigentlich nur ein Wort: Feigheit!
Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, wie sich ein solches
Offizierskorps in einer Diktatur verhalten würde. Ich habe nicht den
geringsten Zweifel: Wenn auch nur zwei oder drei höhere Generale beim
Minister demonstriert und ihm - widrigenfalls -ihren Abschied angeboten
hätten - der Herr Minister hätte ein Problem gehabt. Vor allem aber hätte
man für die Zukunft ein deutliches Zeichen gesetzt. Mit diesem
opportunistischen Abtauchen hat man allerdings auch ein Zeichen gesetzt.
Ein guter Freund von mir hat zu diesen Vorgängen treffend festgestellt: "Wer
statt Uniform Livree trägt, wird auch so behandelt." Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Diese und ähnliche Vorfälle hinterlassen natürlich tiefe Spuren im
Gedächtnis und damit auch im Langzeitgedächtnis der Truppe. In keiner
anderen Armee der Welt wird soviel über Innere Führung geschrieben und
geredet. Aber immer dann, wenn eine Sache viel Erklärung, Theorie und
Terminologie braucht, ist Skepsis angebracht. Menschenführung und
Kameradschaft bewähren sich nur dann, wenn sie von Vorgesetzten vorgelebt
werden, vor allem dann, wenn sie mit persönlichem Risiko verbunden sind.
Nach solchen, eben geschilderten Erlebnissen wird sich natürlich jeder
Soldat fragen, ob und wie lange sein Vorgesetzter hinter ihm steht, wenn es
kritisch wird, vor allem, wenn es um sensible oder gar lebensgefährliche
Einsätze geht.
Und darum ist dies nicht nur eine geradezu unfehlbare Methode, eine Armee
von Duckmäusern zu erziehen, sondern viel schlimmer noch: Die berühmte
Auftragstaktik, die das deutsche Soldatentum seit 250 Jahren in der Welt
berühmt gemacht und deutsche Verbände immer wieder in die Lage versetzt hat,
aus einer zahlenmäßigen Unterlegenheit das Gefecht für sich zu
entscheiden -diese Auftragstaktik wird mit einem solchen Soldatentypus zu
Grabe tragen.
Wenn ich nun den Verlust der Kameradschaft beklagt habe, so muß ich das ein
wenig relativieren. Natürlich gibt es unter höheren Offizieren - und erst
recht unter Generalen - keine Kameradschaft, hat es wohl auch nie gegeben.
Dieses Gefühl hört spätestens beim Kompaniechef auf.
Aber eines hat es in einer intakten Armee immer gegeben: Korpsgeist! Diesen
besonderen Ehrenkodex, der sich zum Beispiel ausdrückt in dem klaren
Bewußtsein: so etwas lassen wir mit uns nicht machen! Wenn dieses Empfinden
verlorengeht, dann verliert eine Armee ihr Rückgrat und wird sehr schnell
zum Spielball unterschiedlichster Interessen.
Wenn man mich nun fragt, was mich von all diesen betrüblichen Umständen am
meisten getroffen hat, so sind es - mit einem gewissen zeitlichen Abstand
und wenn ich die persönlichen Kränkungen einmal außer acht lasse - ganz
zweifellos zwei Dinge:
Zum ersten die Tatsache, daß im Namen dieses Krebsgeschwürs "Political
Correctness" Geschichte gefälscht und Recht gebeugt wird, daß Karrieren
zerstört und Menschen ruiniert werden und daß die schweigende Mehrheit dies
alles - zwar zunehmend murrend, aber dennoch mit gesenktem Kopf- hinnimmt.
Und zum zweiten, daß wir, die wir einmal stolz darauf waren, das "Volk der
Dichter und Denker" genannt worden zu sein, daß wir uns eben dieses
kritische Denken - zumindest auf diesem Feld - verbieten lassen und zwar
genau von denjenigen, vor denen man uns vor 25 Jahren mit Polizeiaufgeboten
beschützen mußte.
Angefangen von dem Zwang, der "Singularität des Holocaust" unsere Reverenz
zu erweisen, über die Verpflichtung, die im Nürnberger Prozeß von den
Siegermächten getroffenen Feststellungen auf alle Zeiten anzuerkennen, bis
hin zu den vielen Tabus, die uns verbieten, historische Wahrheiten
auszusprechen und zu diskutieren - all diese Denkverbote, die uns daran
hindern, zu eigenständigen Wertungen und Urteilen zu kommen -dies alles ist
nicht nur eine Beleidigung für jeden aufgeklärten Menschen, sondern auch das
geistige Todesurteil für jede freie Gesellschaft. George Orwell läßt grüßen!
Gottfried Benn schreibt: "Das Abendland geht nicht zugrunde an den
totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem
hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen
Zweckmäßigkeiten."
Und schließlich ist es als Offizier natürlich eine tiefe Enttäuschung, zu
erleben, daß die Entwicklung vom selbstbewußten, charakterfesten, manchmal
auch etwas knorrigen Offizier alter Tage hin zum glatten,
stromlinienförmigen "Manager in Uniform" unaufhaltsam voranschreitet.
Aber trotz dieser äußerst düsteren und pessimistischen Erkenntnisse besteht
Hoffnung. Und damit meine ich nicht das berühmte zarte Pflänzchen, das wir
auch am Rande des Grabes noch zu pflanzen pflegen. Ich bin fest davon
überzeugt, daß alle diese Fälle - von Nolte über Jenninger, Heitmann und
Walser bis Hohmann - die Mauer der "Political Correctness" ins Wanken
gebracht haben. Sie hat deutliche Risse, und der Druck im Kessel steigt. Das
zeigt sich schon an der nervösen Überreaktion in dieser Affäre. Die Menschen
sind zunehmend weniger bereit, sich die Zumutung dieser ad infinitum
verlängerten Kollektivschuld gefallen zu lassen und auch noch in der fünften
Generation das Büßerhemd zu tragen. Noch einige wenige solcher Vorfälle, und
das Tabu könnte zerbrechen.
Und in dieser Hoffnung sollten wir weiterkämpfen gegen Mittelmäßigkeit,
Feigheit, Anpassung und Opportunismus, damit wir wieder von einer
Meinungsfreiheit sprechen können, die diesen Namen verdient und die Voltaire
so treffend beschrieben hat, als er sagte: "Ich hasse jedes Wort von dem,
was Sie sagen; aber ich werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es
auch weiterhin sagen dürfen."
Lassen Sie mich aber schließen mit einem Zitat von Mark Twain: "Die
Demokratie beruht auf drei wesentlichen Säulen: der Freiheit der Gedanken,
der Freiheit der Rede und der Klugheit, beide nicht zu gebrauchen."
General a.D. Reinhard Cünzel, Jahrgang 1944, meldete sich 1963 freiwillig
zur Fallschirmjägertruppe, studierte Geschichte und Philosophie und diente
in verschiedenen Kommandeurverwendungen. Seit November 2000 führte der
Brigadegeneral das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Am 4.
November 2003 wurde er wegen seines Unterstützerbriefes an Martin Hohmann
entlassen.
Junge Freiheit