Christoph Muenzing
2004-06-21 15:16:55 UTC
Auch wenn das alles vielleicht für manchen hier ein alter Hut sein mag, ich
fand den folgenden Artikel aus der Freitags-SZ interessant und in manchen
Aspekten diskussionswürdig.
(In der Online-Ausgabe habe ich ihn nicht gefunden, deshalb als Volltext
mit einigen Kommentaren meinerseits).
| Berechnungen des Münchner Planungsreferats ergeben:
|
| Täglich 650 000 Pendler-Autos in der Stadt
|
| Prognose bis 2015: Es wird eng auf Straße und Schiene - das
| SZ-Verkehrsparlament diskutiert am Montag
|
| Von Dominik Hutter Die Zeit verkehrspolitischer Träume ist offenbar
| vorbei. Nach Berechnungen des Planungsreferats wächst der Pendlerverkehr
| in einem Ausmaß, dass die einst erhoffte Verlagerung auf MVV und Fahrrad
| nur noch als Illusion gehandelt werden kann. Die geplanten Investitionen
| ins öffentliche Netz reichten allenfalls aus, den heutigen
| Verkehrsmittel-Mix zu erhalten.
|
| Noch im Jahr 2000, als der Vorentwurf des neuen Verkehrsentwicklungsplans
| diskutiert wurde, war man im Planungsreferat zuversichtlich:
| Langfristiges Ziel müsse es sein, den Auto-Anteil des Stadtverkehrs von
| etwa 40 auf unter 35 Prozent zu drücken. Bei weiteren Untersuchungen
| erlebten die Verkehrsplaner dann eine böse Überraschung. Die immer noch
| ungebremste Anziehungskraft der Region München löst eine derart mächtige
| Pendlerlawine aus, dass selbst der umfangreiche Ausbau der S-Bahn die
| Straße nicht entlasten kann. Zehn-Minuten-Takt und Co. reichten gerade
| einmal aus, den heute 32-prozentigen MVV-Anteil in etwa zu halten. Der
| Anteil des Autoverkehrs wächst derweil auf knapp 44 Prozent. Heißt im
| Klartext: Auf Straße wie Schiene wird es im Prognosejahr 2015 deutlich
| enger zugehen als heute - was vor allem den staugeplagten Autofahrern
| Kopfschmerzen bereiten dürfte. Verlierer sind, angesichts des
| Umland-Booms nicht weiter verwunderlich, Radfahrer und Fußgänger, deren
| Anteil am Verkehrs-Mix leicht absinkt.
Diese Tendenzen sind weder überraschend noch neu. Allerdings wirkt der
Artikel auf mich so, daß sie offenbar deutlich gravierender ausfallen, als
lange Zeit angenommen.
| ¸¸Der Individualverkehr wird sich nicht reduzieren und nicht auf die
| S-Bahn verlagern lassen", lautet das ernüchterte Fazit von Stadtbaurätin
| Christiane Thalgott. Denn die neue Freude am Auto ist in erster Linie
| eine Folge zunehmender Zersiedelung: Um bei den Grundstückskosten zu
| sparen, ziehen viele Leute ins S-Bahn-lose Gebiet - Orte, in denen nur
| noch eingefleischte Regionalbus-Fans Kfz-Verzicht üben. Im Jahr 2015
| sollen - beide Fahrtrichtungen zusammengerechnet - knapp 1,3 Millionen
| Autos die Stadtgrenze queren. Jeden Tag.
|
| Nun einseitig auf den Straßenbau zu setzen, halten die Verkehrsplaner
| jedoch für den falschen Weg. Ein entsprechendes Testszenario hat ergeben,
| dass dann noch mehr Leute ins Auto steigen und die neu gewonnenen
| Kapazitäten sofort wieder auslasten. Demgegenüber steht die unumstrittene
| Tatsache, dass im inzwischen recht dichten MVV-Netz selbst kleine
| Fahrgastzuwächse nur noch mit enormem Aufwand zu erzielen sind.
Das heißt, die zwei Pfeiler, auf denen der derzeitige (vermutlich relativ
hohe, Vergleichszahlen aus anderen Großstädten wären hier interessant)
ÖV-Anteil von 32% m.E. beruht, sind ohne sehr große Investitionen nicht
mehr stark ausbaufähig: der hohe Anteil des ÖV in der inneren Stadt und der
hohe ÖV-Anteil im Verkehr äußere Stadt/Umland - Zentrum entlang der
S-Bahnachsen, die zugleich die Hauptsiedlungsachsen sind. Zudem arbeitet
die (Zer)Siedlungsdynamik gegen diese beiden Stärken des ÖV (und auch des
Fahrrad- bzw. Fußgängerverkehrs), und - im Artikel nicht genannt - wohl
auch die Entwicklung der Gewerbestandorte und damit der Arbeitsplätze, die
ebenfalls ins Umland wandern und sich dort nicht unbedingt gleich neben den
S-Bahnhöfen ansiedeln.
Die planerischen Antworten darauf sind ÖV-seitig ziemlich lasch, jedenfalls
so weit hier angesprochen. IMO schreit diese Diagnose nach zwei Antworten,
die im Artikel aber nicht einmal erwähnt werden:
1. Eine Stadt-Umland-Bahn wäre ein geeignetes und in der Umsetzung
flexibles Mittel, um mit vertretbaren Kosten (im Vergleich zu
Schnellbahnstrecken) die Peripherie zwischen den Schnellbahnästen zu
erschließen und um Tangentialverbindungen in der Peripherie herzustellen,
d.h. ein Konzept für die Bereiche, die in den im Artikel erwähnten
Prognosen als die größten Wachstumszonen von Verkehr (und ohne ein
ÖV-Angebot wird das dann eben Autoverkehr sein) ausgemacht werden und die
heute die Schwachpunkte im ÖV-Netz darstellen.
2. Da die Siedlungsdynamik im Einzugsgebiet der S-Bahn-Äste u.a. wegen der
Bodenpreise an ihre Grenzen stößt und sich dazwischen oder weiter draußen
verstärkt, wäre über Konzepte für den Bereich jenseits des S-Bahnradius
nachzudenken (z.B. in Richtung der von Pro-Bahn vor ~15 Jahren unter dem
Namen City-Bahn angedachten Ideen) und über das Verkehrsangebot zu
versuchen, den Erfolg der S-Bahn (verkehrspolitisch: ein relativ guter
ÖV-Anteil im Verkehr in die Kernstadt und siedlungspolitisch:
vergleichsweise starke Siedlungsachsen statt teppichartiger Zersiedlung) zu
wiederholen.
Beide Erkenntnisse sind alles andere als neu, aber wegen der Diskrepanz
zwischen der erschreckenden Diagnose des Artikels (auch wenn sie für
Fachleute nicht überraschend sein mag) und dem völligen Verschweigen
möglicher Lösungsansätze schien mir das hier des postens wert.
| Ein
| Beispiel bietet die zweite S-Bahn-Stammstrecke, mit Kosten von etwa einer
| Milliarde Euro zweifellos eine der größten Nahverkehrs-Investitionen: Sie
| wird, bei allen positiven Effekten für die Stabilität des
| S-Bahn-Betriebs, lediglich 25 000 zusätzliche Fahrgäste auf die Schiene
| locken.
Auch wenn ich vom 2. Tunnel keine Wunderdinge erwarte, man sollte die
langfristigen potenziellen Schadenswirkungen eines chronisch instabilen
Betriebs für den ÖV-Anteil auch nicht unterschätzen.
| Der aktualisierte Verkehrsentwicklungsplan, der am kommenden Montag bei
| einer Diskussion im Forum des Süddeutschen Verlags vorgestellt wird,
| sieht daher einen Investitions-Mix vor - rein planerisch, versteht sich.
| Ob das nötige Geld vorhanden ist, steht auf einem anderen Blatt. Unter
| anderem geht es um folgende Projekte:
|
| Bereits finanziert: Ausbau S-Bahn-Stammstrecke plus Zehn-Minuten-Takt auf
| fünf Ästen. Verlängerungen S 7 nach Geretsried, U 1 zum OEZ und U 3 nach
| Moosach. Kasernen-Tram. Neubau A 99-West, Bergson-/Lochhausener/Obere
| Mühlstraße. Ausbau A 9. Tunnel Richard-Strauss-Straße.
Das sind die Projekte, die bereits in Bau oder kurz davor sind.
| Bis 2015 realistisch: zweite S-Bahn-Stammstrecke. Ringschluss Erding.
| Ausbau S 4 und S 6-Ost. Verlängerung U 4 nach Englschalking, U 5 nach
| Pasing, U 6 nach Martinsried. Tram-Nord- und Westtangente,
| ¸¸Cosima-Express". Ausbau A 99 auf acht, Isarring auf sechs und Föhringer
| Ring auf vier Spuren. Ring-Tunnel Südwest. (Seite 42)
da ist so manches fragwürdiges dabei, namentlich die U-Verlängerungen. Was
mir als Perspektive fehlt, siehe oben.
Gruß,
Christoph
fand den folgenden Artikel aus der Freitags-SZ interessant und in manchen
Aspekten diskussionswürdig.
(In der Online-Ausgabe habe ich ihn nicht gefunden, deshalb als Volltext
mit einigen Kommentaren meinerseits).
| Berechnungen des Münchner Planungsreferats ergeben:
|
| Täglich 650 000 Pendler-Autos in der Stadt
|
| Prognose bis 2015: Es wird eng auf Straße und Schiene - das
| SZ-Verkehrsparlament diskutiert am Montag
|
| Von Dominik Hutter Die Zeit verkehrspolitischer Träume ist offenbar
| vorbei. Nach Berechnungen des Planungsreferats wächst der Pendlerverkehr
| in einem Ausmaß, dass die einst erhoffte Verlagerung auf MVV und Fahrrad
| nur noch als Illusion gehandelt werden kann. Die geplanten Investitionen
| ins öffentliche Netz reichten allenfalls aus, den heutigen
| Verkehrsmittel-Mix zu erhalten.
|
| Noch im Jahr 2000, als der Vorentwurf des neuen Verkehrsentwicklungsplans
| diskutiert wurde, war man im Planungsreferat zuversichtlich:
| Langfristiges Ziel müsse es sein, den Auto-Anteil des Stadtverkehrs von
| etwa 40 auf unter 35 Prozent zu drücken. Bei weiteren Untersuchungen
| erlebten die Verkehrsplaner dann eine böse Überraschung. Die immer noch
| ungebremste Anziehungskraft der Region München löst eine derart mächtige
| Pendlerlawine aus, dass selbst der umfangreiche Ausbau der S-Bahn die
| Straße nicht entlasten kann. Zehn-Minuten-Takt und Co. reichten gerade
| einmal aus, den heute 32-prozentigen MVV-Anteil in etwa zu halten. Der
| Anteil des Autoverkehrs wächst derweil auf knapp 44 Prozent. Heißt im
| Klartext: Auf Straße wie Schiene wird es im Prognosejahr 2015 deutlich
| enger zugehen als heute - was vor allem den staugeplagten Autofahrern
| Kopfschmerzen bereiten dürfte. Verlierer sind, angesichts des
| Umland-Booms nicht weiter verwunderlich, Radfahrer und Fußgänger, deren
| Anteil am Verkehrs-Mix leicht absinkt.
Diese Tendenzen sind weder überraschend noch neu. Allerdings wirkt der
Artikel auf mich so, daß sie offenbar deutlich gravierender ausfallen, als
lange Zeit angenommen.
| ¸¸Der Individualverkehr wird sich nicht reduzieren und nicht auf die
| S-Bahn verlagern lassen", lautet das ernüchterte Fazit von Stadtbaurätin
| Christiane Thalgott. Denn die neue Freude am Auto ist in erster Linie
| eine Folge zunehmender Zersiedelung: Um bei den Grundstückskosten zu
| sparen, ziehen viele Leute ins S-Bahn-lose Gebiet - Orte, in denen nur
| noch eingefleischte Regionalbus-Fans Kfz-Verzicht üben. Im Jahr 2015
| sollen - beide Fahrtrichtungen zusammengerechnet - knapp 1,3 Millionen
| Autos die Stadtgrenze queren. Jeden Tag.
|
| Nun einseitig auf den Straßenbau zu setzen, halten die Verkehrsplaner
| jedoch für den falschen Weg. Ein entsprechendes Testszenario hat ergeben,
| dass dann noch mehr Leute ins Auto steigen und die neu gewonnenen
| Kapazitäten sofort wieder auslasten. Demgegenüber steht die unumstrittene
| Tatsache, dass im inzwischen recht dichten MVV-Netz selbst kleine
| Fahrgastzuwächse nur noch mit enormem Aufwand zu erzielen sind.
Das heißt, die zwei Pfeiler, auf denen der derzeitige (vermutlich relativ
hohe, Vergleichszahlen aus anderen Großstädten wären hier interessant)
ÖV-Anteil von 32% m.E. beruht, sind ohne sehr große Investitionen nicht
mehr stark ausbaufähig: der hohe Anteil des ÖV in der inneren Stadt und der
hohe ÖV-Anteil im Verkehr äußere Stadt/Umland - Zentrum entlang der
S-Bahnachsen, die zugleich die Hauptsiedlungsachsen sind. Zudem arbeitet
die (Zer)Siedlungsdynamik gegen diese beiden Stärken des ÖV (und auch des
Fahrrad- bzw. Fußgängerverkehrs), und - im Artikel nicht genannt - wohl
auch die Entwicklung der Gewerbestandorte und damit der Arbeitsplätze, die
ebenfalls ins Umland wandern und sich dort nicht unbedingt gleich neben den
S-Bahnhöfen ansiedeln.
Die planerischen Antworten darauf sind ÖV-seitig ziemlich lasch, jedenfalls
so weit hier angesprochen. IMO schreit diese Diagnose nach zwei Antworten,
die im Artikel aber nicht einmal erwähnt werden:
1. Eine Stadt-Umland-Bahn wäre ein geeignetes und in der Umsetzung
flexibles Mittel, um mit vertretbaren Kosten (im Vergleich zu
Schnellbahnstrecken) die Peripherie zwischen den Schnellbahnästen zu
erschließen und um Tangentialverbindungen in der Peripherie herzustellen,
d.h. ein Konzept für die Bereiche, die in den im Artikel erwähnten
Prognosen als die größten Wachstumszonen von Verkehr (und ohne ein
ÖV-Angebot wird das dann eben Autoverkehr sein) ausgemacht werden und die
heute die Schwachpunkte im ÖV-Netz darstellen.
2. Da die Siedlungsdynamik im Einzugsgebiet der S-Bahn-Äste u.a. wegen der
Bodenpreise an ihre Grenzen stößt und sich dazwischen oder weiter draußen
verstärkt, wäre über Konzepte für den Bereich jenseits des S-Bahnradius
nachzudenken (z.B. in Richtung der von Pro-Bahn vor ~15 Jahren unter dem
Namen City-Bahn angedachten Ideen) und über das Verkehrsangebot zu
versuchen, den Erfolg der S-Bahn (verkehrspolitisch: ein relativ guter
ÖV-Anteil im Verkehr in die Kernstadt und siedlungspolitisch:
vergleichsweise starke Siedlungsachsen statt teppichartiger Zersiedlung) zu
wiederholen.
Beide Erkenntnisse sind alles andere als neu, aber wegen der Diskrepanz
zwischen der erschreckenden Diagnose des Artikels (auch wenn sie für
Fachleute nicht überraschend sein mag) und dem völligen Verschweigen
möglicher Lösungsansätze schien mir das hier des postens wert.
| Ein
| Beispiel bietet die zweite S-Bahn-Stammstrecke, mit Kosten von etwa einer
| Milliarde Euro zweifellos eine der größten Nahverkehrs-Investitionen: Sie
| wird, bei allen positiven Effekten für die Stabilität des
| S-Bahn-Betriebs, lediglich 25 000 zusätzliche Fahrgäste auf die Schiene
| locken.
Auch wenn ich vom 2. Tunnel keine Wunderdinge erwarte, man sollte die
langfristigen potenziellen Schadenswirkungen eines chronisch instabilen
Betriebs für den ÖV-Anteil auch nicht unterschätzen.
| Der aktualisierte Verkehrsentwicklungsplan, der am kommenden Montag bei
| einer Diskussion im Forum des Süddeutschen Verlags vorgestellt wird,
| sieht daher einen Investitions-Mix vor - rein planerisch, versteht sich.
| Ob das nötige Geld vorhanden ist, steht auf einem anderen Blatt. Unter
| anderem geht es um folgende Projekte:
|
| Bereits finanziert: Ausbau S-Bahn-Stammstrecke plus Zehn-Minuten-Takt auf
| fünf Ästen. Verlängerungen S 7 nach Geretsried, U 1 zum OEZ und U 3 nach
| Moosach. Kasernen-Tram. Neubau A 99-West, Bergson-/Lochhausener/Obere
| Mühlstraße. Ausbau A 9. Tunnel Richard-Strauss-Straße.
Das sind die Projekte, die bereits in Bau oder kurz davor sind.
| Bis 2015 realistisch: zweite S-Bahn-Stammstrecke. Ringschluss Erding.
| Ausbau S 4 und S 6-Ost. Verlängerung U 4 nach Englschalking, U 5 nach
| Pasing, U 6 nach Martinsried. Tram-Nord- und Westtangente,
| ¸¸Cosima-Express". Ausbau A 99 auf acht, Isarring auf sechs und Föhringer
| Ring auf vier Spuren. Ring-Tunnel Südwest. (Seite 42)
da ist so manches fragwürdiges dabei, namentlich die U-Verlängerungen. Was
mir als Perspektive fehlt, siehe oben.
Gruß,
Christoph