X-No-Archive: Yes
Post by Franz KruseDas könnte sein, hängt aber natürlich davon ab, in welchem Maße
Esperanto dann in Amerika unterrichtet würde. Wenn es denn so käme,
wie du befürchtest, fände ich den Zustand dann auch nicht schlimmer
als den jetzigen mit vertauschten Rollen. Zumindest hätten es dann
alle erst einmal leichter, denn Esperanto lernt man in einem
Bruchteil der Zeit, die man für Englisch braucht. Damit kämen auch
mehr Menschen in den Genuss brauchbarer Sprachbeherrschung als heute.
Außerdem wollen wir uns ja nicht nur mit Amerikanern verständigen,
sondern auch mit Russen, Japanern, Chinesen und Afrikanern.
Hinter der Esperanto-Idee steckt doch die im Grunde richtige
Erkenntnis, daß es ein Unglück ist, daß die meisten Menschen nicht
miteinander reden können und diesem Mangel nur durch eine über den
"natürlichen" Spracherwerb hinausgehende Zusatzausbildung geheilt
werden kann. Die konsequente Folgerung wäre, die natürlichen Sprachen
als erste Sprache zu beseitigen und nur als "Reservate"
weiterexistieren zu lassen.
Im Grunde genommen läuft es in den Nationalstaaten doch auch darauf
hinaus, daß die offizielle Staatssprache die vorherige
Sprachenvielfalt verdrängt, so, wie in Nordeutschland mit der
Reformation die Kanzleisprache Hochdeutsch das amtlich verwendete
Niederdeutsch abgelöst und auch im Alltag fast vollständig verdrängt
hat. Ebenso gibt es in Südtirol kaum noch Einwohner, die nur Deutsch
und nicht schon von Kindheit an auch Italienisch fließend zu sprechen
gelernt haben.
Es ist eigentlich einer der schicksalhaften historischen Zufälle, daß
es in Europa noch viele verschiedene Sprachen und nicht nur Latein
gibt, was natürlich darauf zu rückzuführen ist, daß es im Mittelalter,
als sämtliche Schriftstücke (bis auf die Ausnahmen, ja!) auf Latein
verfaßt wurden, noch keine allgemeine Schulpflicht gab, so daß der
überwiegende Teil der Bevölkerung analphabet war und sich seiner
Kommunikationsunfähigkeit nicht bewußt, sonst wären nach wenigen
hundert Jahren die "deutschen" (also die traditionellen volkstümlichen
Sprachen) soweit zurückgedrängt worden wie viele Minderheitensprachen.
In China und in den islamischen Ländern ist übrigens genau das
passiert - Arabisch und die chinesische Schriftsprache haben
Universalität erlangt.
Für Hebräisch gilt die Universalität ähnlich, allerdings hat die
Sprache trotz einer sehr großen Sprecherzahl keine regionale Dominanz,
abgesehen vom neuen Israel. Die "Einsetzung" von Esperanto als
kompletter Plansprache entstammt wohl abstrakten
Gerechtigkeitsvorstellungen, daß durch eine Kunstsprache niemand
aufgrund seiner natürlichen Sprache benachteiligt wird.
Ich glaube aber nicht, daß das haltbar ist, genausowenig der Hinweis
auf die ausnahmslose Regelhaftigkeit. Ich nehme an, daß Esperanto für
die meisten Asiaten nicht einfacher erlernbar ist als Deutsch. Die
Regelhaftigkeit des Esperanto erweist sich bei näherem Hinsehen als
Vergleichmäßigung der lateinischen Formenlehre und führt mithin zu
Satzkonstruktionen, die nur dem Sprecher mit einer indogermanischen
Muttersprache intuitiv einfach erscheinen.
Interessieren würde mich, ob Esperanto eigentlich eine vollwertige
Sprache in dem Sinne ist, daß sie die gesamte Ausdrucksfähigkeit einer
Sprache wie Deutsch bietet.
Wie auch immer: die an sich richtige Idee einer Weltsprache wird de
facto wohl nicht von einer romanistischen Plansprache realisiert
werden können, ebensowenig von ihrer "Mutter", dem Latein, weil es für
beide Sprachen eben keine kohärente Sprechergruppe gibt, so daß die
Sprache muttersprachlich vermittelt werden kann. Wie aber könnte sonst
eine einheitliche Weltsprache entstehen, und wäre das überhaupt
wünschenswert?
Ich würde Letzteres bejahen und halte das eigentlich für eine
natürliche Entwicklung. Wenn der europäische Vereinigungsprozeß nicht
langfristig fehlschlägt, wird sich ganz natürlich für Europa in
wenigen Generationen auch eine einheitliche Regionalsprache
herausbilden, wie es das etwas altertümliche Englisch für die USA
geworden ist. Diese Sprache wird aber wahrscheinlich nicht auf der
Grundlage von Englisch beruhen, dafür ist Englisch in Europa einfach
zu wenig vertreten und hat eine zu ungewohnte Orthographie.
Die größte Sprechergruppe wird dagegen von den Deutschsprechern
gestellt, Deutsch hat zudem noch eine große Verwandschaft zu den
skandinawischen Sprachen und ist für fast alle Europäer recht leicht
zu erlernen (vielleicht nicht für Ungarn, Basken und Finnen, Slawen
haben da offenbar keine sehr großen Schwierigkeiten). Es spricht also
einiges dafür, daß in wenigen hundert Jahren die Amts- und
Umgangssprache im Vereinten Europa überwiegend Deutsch sein wird.
Wie sich die Sprachentwicklung weltweit gestalten wird, ist weniger
gut vorherzusehen. Unter der einzig sinnvollen Annahme einer
grundsätzlich friedlichen Entwicklung, also der fortschreitenden
Ächtung von Gewalt als politisches Mittel und der Bewältigung der
Bevölkerungs- und Wirtschaftsprobleme sollte man davon ausgehen, daß
die interkontinentalen Beziehungen hauptsächlich ökonomisch motiviert
sind (Handel, Arbeitsmigration). Analog zu der Entwicklung in Europa
sollten sich dann zunächst sprachlich einheitliche kontinentale
Regionen bilden.
Beispielsweise könnte man sich vorstellen, daß Englisch sich auf
Nordamerika und Australien, eventuell noch den indischen Subkontinent,
beschränkt, Chinesisch möglicherweise im gesamten übrigen asiatischen
Raum gesprochen wird und dort mit Russisch konkurriert, wobei ich eher
von einem Aussterben der russischen Sprache aufgrund des weiteren
Vordringens von Deutsch-Europäisch ausgehen würde. Südamerika würde
wohl möglicherweise zunächst bei Spanisch bleiben, sich vielleicht
aber auch dem englischen oder europäischen Sprachraum anschließen.
Für Afrika ist das schlecht zu prognostizieren - intuitiv würde man
vielleicht von Französisch ausgehen, sicher wäre das aber keineswegs,
und auch Arabisch wird sicher weltweit noch einige Zeit eine Rolle
spielen. Nach dieser sprachlichen "Flurbereinigung" hinge die weitere
Entwicklung dann davon ab, ob die Kontinente bzw. Großräume ökonomisch
eher isoliert blieben, also der Außenhandel gegenüber dem Binnenhandel
keine große Rolle spielte, oder ob es zu intensiven interkontinentalen
ökonomischen Beziehungen mit der Ausbildung einer ökonomisch
herausragenden Zentralregion käme - deren Sprache würde dann
allmählich Weltsprache.
Da Europa in diesem Spiel nicht die schlechtesten Karten hat, könnte
es gut sein, daß die weltweite Umgangssprache in tausend Jahren
Deutsch ist (bzw. die Sprache, zu der sich Deutsch dann entwickelt
hat).
Es könnte natürlich auch völlig anders kommen. Z. B. sollte in
spätestens hundert Jahren, wenn nicht deutlich früher, die Technik
einen funktionierenden "Babelfisch" bereitstellen, also Programme, die
beliebige natürliche Sprachen "nach Gehör" simultan in andere
übersetzen können und komfortabel sprechen, d. h. z. B. ein Europäer
trifft eine Japanerin und spricht sie auf Finnisch an, was diese in
ihren Ohrstöpseln (oder wie auch immer das technisch realisiert sein
mag) als Japanisch hört, während bei dem Finnen ihre Antworten mit der
typischen Stimmlage und Aussprache der Dame in bestem Finnisch zu
hören sind. Solche Sprachumsetzer wären z. B. direkt in akustische
Telekommunikationssysteme eingebaut, man ruft irgendwen in der Welt an
und spricht mit ihm in der eigenen Muttersprache, und der
Gesprächspartner hat möglicherweise gar keine Ahnung, in welcher
Sprache man wirklich spricht.
So ein Gerät wäre zum Erlernen von Fremdsprachen auch durchaus
hilfreich, wenn es Text und Übersetzung der fremdsprachigen Rede
direkt simultan als Schrift darstellen würde, könnte andererseits aber
natürlich auch das Bestreben nach dem Erlernen fremder Sprachen
demotivieren.
Gruß aus Bremen
Ralf
--
R60: Substantive werden groß geschrieben. Grammatische Schreibweisen:
adressiert Appell asynchron Atmosphäre Autor bißchen Ellipse Emission
gesamt heraus Immission interessiert korreliert korrigiert Laie
nämlich offiziell parallel reell Satellit Standard Stegreif voraus