Am Mon, 28 Jan 2019 12:32:12 +0100
Post by Chr. MaerckerPost by klaus r.Direkt nach Kriegsende habe ich in Ostdeutschland in einer Stadt mit
sowjetischer Garnison gelebt. Wirklich Negatives kann ich über die
russischen Soldaten nicht sagen. Ich habe sie als sehr kinderlieb
aber auch als sehr trinkfreudig in Erinnerung. Trinkfreudig? Nach
all dem von ihnen Erlebten? Kann man ihnen das verdenken?
Mir scheint, die Liebe der Russen zum Wodka ist relativ unabhängig von
ihren Kriegserlebnissen. Wobei ich damit keinesfalls ausschließen
will, dass es etliche Leute gab, die sie mittels Suff "verarbeitet"
haben.
Post by klaus r.Wie sind Eure Erinnerungen, also Selbsterlebtes? Nicht das, was man
sich so erzählt?
Dazu hätte ich was sehr passendes: ca. 1965/66 hat sich ein
Sowjetsoldat unser Mifa-Rad zum Schnapsholen geborgt. Als
sozialistisch wohlerzogene Kinder haben wir einem sowjetischen Freund
diesen Wunsch natürlich nicht verwehrt. Unsere Eltern fanden das
freilich weniger gut und haben eher nicht an die Rückkehr des
Fahrrades geglaubt. Aber es war ca. eine Stunde später wirklich
wieder da. :-)
Ansonsten wurden die "Freunde" nur dann böse, wenn wir an deren
Kaserne durch den Bretterzaun schauen wollten und ein Posten in der
Nähe war. Aber auch das nur bis in die 1970er. Ab 1988 bin ich mitten
durch die gleiche Kaserne ins Magasin einkaufen geradelt. :-)
Zu tun hatten wir mit ihnen einklich immer geschäftlich: entweder
wollten sie Zigaretten oder sie wollten uns ihre VEF-Radios verkaufen.
Und die Offiziere haben gern unsere Klaviere gekauft, besonders gern
die mit Hochglanz-Politura. Das war wichtiger als der Klang. Für uns
als Kinder fielen bisweilen ein paar "Konfety" - oder bunte
Abzeichen. ;-)
Die eigentliche Kaserne lag bei uns sehr ausserhalb. Mit den normalen
Soldaten kamen wir nur in Berührung, wenn sie ins Städtchen kamen oder
am Bahnhof verladen wurden. Manchmal kamen sie auch in kleinen Gruppen
in die Schule, um "die Freundschaft zu festigen". Diese Treffen habe
ich in guter Erinnerung, schon wie Du sagst, es gab immer schöne
Abzeichen.
An Übergriffen der Bevölkerung gegenüber ist kaum etwas bekannt
geworden. Einmal soll ein betrunkener und randalierender Soldat im Ort
gesehen worden sein, der aber schnell von der Militärpolizei ziemlich
unsanft weggebracht wurde. Wie so etwas abging, habe ich einmal mit
eigenen Augen gesehen, etwa 1956 am Bahnhof bei einem Truppentransport:
Ein Soldat wollte soo gerne mit meinem roten Diamant-Fahrrad fahren. Ich
liess ihn. Er blieb in der Nähe und fuhr einige Runden im Kreis. Das
sah wohl ein Offizier. Ganz schnell waren andere Soldaten da, schmissen
den Fahrradfahrer auf die Ladepritsche eines LKWs (nachdem er eine
gehörige Tracht Prügel mit einem Koppel bekommen hatte) und karrten ihn
weg. Das war eines der ersten Male, welche mich an Freundschaft
ernsthaft zweifeln liess. Der Mann hatte nichts weiter getan, als ein
paar Runden auf einem Fahrrad zu fahren. Das erinnerte schon sehr an
Tolstois Erzählungen.
Klaus
--
Natürlich hat jeder eine eigene Meinung. Nur weiss auch jeder,
wo diese eigene Meinung herkommt? (Lisa Fitz)
Bevor ich mich uffreg, isset mir lieber egal (auch Lisa Fitz)