Post by Nicolas UlmannPost by Max Puillea) würde verstehen, worauf er sich bei Entnahme einer Niere einläßt,
und zwar sowohl somatisch-medizinisch wie psychologisch, und hätte
demzufolge auch nur die Möglichkeit einer rechtswirksamen
Einwilligung? Bedenke, dass es sich im Durchschnitt um schlechter
ausgebildete Personen handelt, die womöglich Schwierigkeiten hätten,
"paretodominant" zu buchstabieren
Ich kann nciht wiedersprechen, dass es sehr dumme Menschen gibt.
Ich rede nicht von ausgesprochen dummen Menschen. Ich rede von der
Fähigkeit, vollumfänglich zu begreifen, worauf man sich einläßt.
Post by Nicolas UlmannEs ist
allerdings mindestens so sehr gesellschaftlicher Konsens, dass man
dummen (aber nciht geistig behinderten) Menschen nicht auf Grund ihrer
Dummheit Rechte entzieht. Nicht dass das eine generell schlechte Idee
ist, aber gewöhnlich führt es zu nicht unerheblicher Störung des
sozialen Friedens, die andere Vorteile überwiegt.
Und wie würdest Du in dem Kontext "sozialer Frieden" Deine Position
einsortieren? Ich würde denken, dass eine Unterteilung der Bevölkerung
in Organkäufer, Organverkäufer und Zuschauer dem sozialen Frieden auch
nicht grade sehr erheblich nützt.
Kürzlich war mal wieder diese Doku im Fernsehen, über eigentlich
verfügbare medizinische Verfahren, die Patienten dennoch vorenthalten
werden die sie nicht bezahlen können. Nein, nicht "Sicko", in D. Es ist
jetzt und hier Fakt, dass Menschen elendiglich krepieren, weil ihre
Krankenkasse eine Maßnahme nicht bezahlt, und sie sich das selbst nicht
leisten können.
Vor dem Hintergrund ist eine zusätzliche Verschärfung durch Einführung
einer Kategorie von Leuten, die ihre körperliche Unversehrtheit
verkaufen sollen, keinesfalls akzeptabel.
Post by Nicolas UlmannWärst Du also einverstanden, wenn jemand, der sich der Folgen bewusst
ist, so etwas tut?
Die kurze Antwort darauf lautet ja - allerdings dürfte "der Folgen
bewußt" für fast niemanden außer einem geübten Transplantationsmediziner
und seinem Team gelten. Ist Dir übrigens bekannt, dass Lebendspender
auch bei minimal invasiver Entnahmetechnik durchaus noch ein Jahr nach
Explantation über körperliche Probleme klagen? Dass nur 4% der Spender
einen Monat nach Explantation bereits wieder arbeitsfähig sind?
Nierenspende, wohlbemerkt.
Nein, ich glaube nicht wirklich, dass es Menschen gibt die einerseits
über die Ausbildung und intellektuellen Fähigkeiten verfügen, die
Konsequenzen eines solchen Schritts völlig zu überblicken, und
andererseits bereit sind, für eine eher kleine Summe Geldes ohne weitere
Vorteile für sich oder ihre Angehörigen sich eine Niere entnehmen zu lassen.
Post by Nicolas UlmannPost by Max Puilleb) hätte angesichts des absehbaren massiven sozialen Drucks pro
"Spende", der im Falle einer solchen legalen Möglichkeit entstehen
würde, auch nur den Hauch einer Option sich dagegen zu entscheiden?
Führe bitte "sozialer Druck aus".
Schlichte peer pressure, keeping up with the Jones' auf niedrigem
Niveau. Dazu ein bißchen positive Publicity in den richtigen Medien,
Grinsefoto von Empfänger und Spender mit neuem Auto, und hepp.
Logisch macht man das nicht "von oben nach unten". Man schiebt ein
bißchen, dann machen "die da unten" das schon von ganz alleine.
Post by Nicolas Ulmannsnip <
Wer trotzdem noch Leute zu Organspenden zwingt, um seine Kohle zu
bekommen, kann das jetzt auch.
Unbestritten, aber eher noch ein Argument dagegen.
Post by Nicolas UlmannPost by Max PuilleAls Schröder noch Kanzler war hat er mal gesagt, er möchte verhindern
dass man zukünftig den sozialen Status einer Person an seinem
Zahnstatus ablesen kann. OK, da sind wir schon wieder. Und jetzt soll
also die Narbe der Organentnahme dazukommen. Wie möchtest Du die
Stigmatisierung Deiner "Spender" verhindern?
Du meinst also, man würde jeden mit Narbe im Schwimmbad als
Unterschichte sehen. Möchte ich bezweifeln.
Die Narbe ist da nur am Rande gemeint.
Post by Nicolas UlmannPost by Max PuilleOder siehst Du irgendeine Möglichkeit, dieses Stigma zu kompensieren,
überhaupt die Aufteilung der Bevölkerung in werdende Spender,
potentielle Empfänger und die Mitte, die zu reich zum "Spenden" und zu
arm zum Kaufen ist, zu vermeiden?
Dass nicht alle wollen (weil sie "zu reich" sind), sehe ich nciht als
Problem an. "Zu arm" zum Empfangen sähe ich als Problem an, wenn arme
Menschen dadurch weniger Organe bekämen als jetzt. Das ist aber nciht
der Fall, weil die Organe, die dann verkauft würden, heute gar nicht
gespendet würden. (Du kennst ja die Auflagen für eine Lebendspende).
Und durch "wegrückende" Reiche, rutschen Arme höher auf der Liste für
Organe von Toten.
Ja, um die Zahl Organe, die gespendet werden, minus derjenigen, bei
denen das aus irgendeinem Grund nicht klappt, minus derjenigen, die als
Spender wegen späterer Erkrankungen, Unfällen, perioperativen
Komplikationen oder whatever selbst zu Empfängern werden, minus den
abgestoßenen Spenderorganen, die eine Retransplantation erfordern. Geht
irgendwie nicht auf, Deine Rechnung. Und den sozialen Sprengstoff erster
Güteklasse durch die so generierte soziale Zersplitterung hast Du auch
nicht auf dieser Rechnung.
Post by Nicolas UlmannPost by Max PuilleWie würdest Du übrigens den Spender "vergüten" wollen? Hier ist schon
'ne Summe um die 80kEuro genannt worden, hältst Du das für angemessen?
Nun, wie gesagt, es geht eher darum, was der Spender dafür haben will.
Angenommen ein Mediziner, der be völlig klarem Bewusstsein ist, sagt, er
würde gerne das Leben eines Fremden retten, aber wenigstens die 2000
Euro für die Erholungsreise danach bekommen, dann ist das OK.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Mediziner gibt der so etwas
täte.
Post by Nicolas UlmannIch räume aber durchaus ein, dass es natürlich nciht OK ist, wenn ein
18jähriger Arbeitsloser sagt "Hey spende ich fett krass Niere, mach ich
doch mit links, hab ja zwei. Will ich 2000 Euro für, kann ich mir 400mal
Kippen von kaufen".
Tja, blöderweise wäre das aber vermutlich der Normalfall - oder
zumindest häufig.
Post by Nicolas UlmannIch räume sogar ein, dass das evt. nicht den Griff zu kriegen ist und
damit nciht praktikabel anwendbar. Das schließe ich aber
1) nicht kategorisch aus, da es dabei für die Gesellschaft nicht in
erster Linie um ein Geldgeschäftgeschäft zugunsten des Spenders geht,
sondern um die Rettung des Empfängers, und deswegen durchaus sehr viele
Resourcen (inbesondere mehr, als nachher den Besitzer wechseln) in
Vorbereitung gesteckt werden können,
Woher sollen eigentlich all die Ressourcen kommen, die Du da verbrauchen
möchtest? Vom Empfänger? Von der Gesellschaft? Und die hätte dennoch
einen Gewinn?
Worin besteht der? Transplantatempfänger mutieren nicht automatisch zu
Gesunden. Im Gegenteil, die kosten hinterher auch noch richtig Geld. Ich
würde mal raten, dass eine Nierentransplantation mal rein
volkswirtschaftlich betrachtet ein glattes Verlustgeschäft ist, monetär
kann der Gewinn für die Gesellschaft also eher nicht sein.
Post by Nicolas Ulmann2) sehe ich gewissen Spielraum, weil es neben dem Spender noch einen
anderen deutlichen Gewinner gibt. Selbst wenn der Spender mal nicht mehr
so überzeugt ist, ob das eine gute Idee war, ist die Frage ob der
Empfänger nicht noch mehr profitiert hat.
(Hier ist ein Ansatz, mit "unmenschlich blahblah" zu kommen. Das
ignoriere ich zwar auch, aber ich meine, es passt besser als bisher)
Tja, und von hier bis zur unterschiedlichen Wertzuweisung an (reichen)
Empfänger und (armen) Spender ist der Schritt halt nur noch so winzig
klein, dass man schon diesen vorletzten Schritt keineswegs gehen sollte.
Post by Nicolas Ulmann3) Habe wir jetzt evt. endlich den den erfreulichen Schritt von
deontischen "sowas ist generell pfui und unmenschlichlich und da darf
man gar nicht dran denken" zu Überlegungen der praktischen
Druchführbarkeit gemacht, auf Grund derer ich gerne bereit wäre, mich
der Position anzuschließen, dass man Organhandeln nicht erlauben sollte.
Aber nicht der Position, dass er generell ethisch verwerflich ist.
Naja, Du hast halt das Problem dass Deine Gewinn/Verlustrechnung
schlicht nicht stimmt. Und um diese Rechnung überhaupt anzustellen
müsste man eine Reihe von Vereinfachungen akzeptieren, die nicht
akzeptabel sind - beispielsweise die Annahme, körperliche Unversehrtheit
sei ein mit Geld aufzuwiegendes Gut, oder die Entscheidung zur "Spende"
eine streng rationale, oder auch nur die Bewertung von individuellem und
gesellschaftlichem Gewinn.
Das alles führt nur unter drei Voraussetzungen zu einem in der Summe
positiven Ergebnis: der Gewinn für den Empfänger wird hoch angesetzt,
der Verlust für den Spender ähnlich seinem finanziellen Gewinn gering,
und die Kosten für die Gesellschaft bleiben mindestens teilweise
unberücksichtigt.
Und das ist leider Sozialdarwinismus übelster Art, und ethisch sehr wohl
verwerflich.
Das sowas einem (IIRC Volks?)Wirtschaftler einfällt, wundert mich
allerdings nicht im mindestens, die waren noch selten von ethischen
Bedenken gepeinigt.
Post by Nicolas Ulmannsnip <
Post by Max PuilleUnd am Wichtigsten: wieso sollte man dieses Thema überhaupt anreißen,
solange nicht die Widerspruchslösung Fakt ist?
Weil wir nicht die Legislative sind. Warum sollten wir mit dem
Weiterdenken warten, bis die endlich nachgezogen haben?
Weil das nicht weitergedacht sondern rückwärtsgedacht ist.
Post by Nicolas UlmannPost by Max PuilleKannst ja mal anfangen mit Argumentieren, vielleicht lernst Du ja was.
Oder ich, wer weiß.
Ich denke schon, dass ich mehr Ansätze zur Diskussion geliefert habe,
als "ich bin ..." (was ich bin, habe ich als letzter nur auf Grund
gegenteiliger Unterstellungen gesagt), "du bist dumm" und "das ist pfuibah".
Vielleicht könntest Du mal ein paar Worte zu den Transplantationsfolgen
loswerden. Nierentransplantationen sind ja nun mittlerweile ein tausende
Male jährlich durchgeführter Eingriff. Ich habe heute morgen auch schon
versucht, mein Wissen im Netz ein bisschen zu updaten, aber die
herausbeschworenden fürchterlichen Leiden für den Spender (im Gegensatz
zu denen für den Empfänger ohne Trapla) nicht recht finden.
Naja, ich hab' ja schon was angedeutet. Kannst ja mal PubMed mit "donor
nephrectomy" füttern. In der Summe sind die Langzeitergebnisse durchaus
brauchbar, sprich, die medizinischen Komplikationen für die (Nieren-)
Spender halten sich in Grenzen. Aber zwischen "in Grenzen halten" und
"gesund" ist ziemlich viel Luft.
Post by Nicolas UlmannDas Lungenspenden so schwere Folgen haben, dass sie wahrscheinlich nicht
(=so selten, dass die kritisch zu sehenden Fälle die richtigen bis zu
Unpraktikabilität überwiegen) mit Geld aufzuwiegen sind, kann ich mir
halbwegs denken.
Von Leberspenden weiß ich quasi nichts*, nur, dass das Organ doch so
tolle Regenerationsfähigkeiten haben soll. Dafür hört man aber von
Nieren viel mehr als von Lebern. Keine Ahnung. Klär mich auf.
Bei Leberspenden werden Komplikationsraten in der Größenordnung von 20%
berichtet - Komplikationen wie in "Reoperation" und "Intensivstation".
Kleinere Komplikationen treten in nahezu 40% auf. Immerhin gibt's wohl
selten Todesfälle.
Post by Nicolas Ulmann*Um entsprechender Bemerkung vorauszugreifen: Dazu habe ich nichts
gesagt, außer eben in der Aufzählung, was überhaupt technisch in Frage
kommt, um dem "Ausweiden" entgegenzutreten.
Oh, Du hast beispielsweise noch die Cornea vergessen. Aber Auge
rausnehmen hat ja auch was Unkuschliges. Die Komplikationsraten dabei
wären allerdings gering, und rein medizinische gesehen wäre das sicher
das Unproblematischste.
Post by Nicolas UlmannZu Deinem anderen Posting: Sicher können das Ethiker nicht ohne
Mediziner entscheiden.
Ich habe leider die Erfahrung gemacht, das Fachleute aus anderen
akademischen Bereichen, egal ob das jetzt Statistiker, Physiker,
Chemiker oder meinetwegen auch Ethiker oder Betriebs- und
Volkswirtschaftler sind, oft größte Schwierigkeiten damit haben,
medizinische Sachverhalte einigermaßen zu erfassen. Das liegt sicherlich
mit daran, dass Medizin nunmal als Naturwissenschaft nicht vollständig
beschreibbar ist, sondern immer noch zum großen Teil aus nur teilweise
abgesichertem Erfahrungswissen, Bauchentscheidungen und Handwerk besteht.
Andererseits existiert da einfach eine Denkbremse, wie bei Dir mit der
Cornea. Manche medizinisch durchaus handzahmen Sachen lösen beim
Ungeübten schonmal 'ne vegetative Symptomatik aus - war früher immer
recht einfach nach dem Präpkurs einen ruhigen Platz in der Mensa zu
kriegen, halblaute Berichte über gerade Gesehenes wirken Wunder für den
Sättigungsgrad des BWLers am Nebentisch.
Post by Nicolas UlmannIch behaupte aber, dass umgekehrt Mediziner das
nicht nur auf Grund ihrer Ausbildung (auch wenn die Ethik beinhaltet)
entscheiden können. Dass die keine ethischen Wunderkinder sind, sieht
man in anderen Debatten, in denen der medizinische Aspekt nicht so
gewaltig ist.
Das will ein Mediziner (wenn er was taugt) ja normalerweise auch gar
nicht. Der will sich die Beiträge anderer Fachleute anhören, wie er sich
die Bildinterpretation vom Radiologen anhört, die Laborwertkonstellation
vom Labormediziner erläutern läßt und den Pflegezustand vom
Pflegepersonal. Genauso hört er sich auch das Ergebnis der Berechnungen
des Medizinphysikers an und wenn's not tut auch die Einschätzung eines
Ethikers.
Und dann trifft er eine Entscheidung.
Post by Nicolas UlmannUnd zu guter letzt: Wenn ein gläubiger Christ sagt, man sollte doch
vielleicht Leuten, die eine Niere aus Nächstenliebe spenden wollen, das
tun lassen (nehmen wir mal hypothetisch an, man könnte das als Ausrede
für Organhandel ausschließen). Wäre der dann auch ein Unmensch? Das
Irrtumspotential für den Spender ist ja wohl nicht geringer.
Ich weiß nicht, ob ein solches Ausmaß an Altruismus mit dem Maß an
geistiger Gesundheit, das für eine solche Entscheidung zu fordern wäre,
vereinbar ist.
MfG
Max
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When you are a Bear of Very Little Brain, and you Think of Things,
you sometimes find that a Thing which seemed very Thingish inside
you is quite different when it gets out into the open and has other
people looking at it. (Winnie the Pooh)