Post by Rainer Rosenthal John Horton Conway (* 26. Dezember 1937 in Liverpool;
† 11. April 2020 in Princeton, New Jersey, Vereinigte
Staaten) war ein britischer Mathematiker.
Er war mein Lieblingsmathematiker. Er möge in Frieden ruhen.
Mit 82 Jahren ist er nun ein prominentes Opfer von Covid-19 geworden.
Ich hatte gerade vor, mir in seinem mit Richard K. Guy zusammen
verfassten Buch "The Book of Numbers" den Abschnitt über die
transfiniten Zahlen zu Gemüte zu führen. Muss es nur noch wiederfinden
in meinem Schrank.
In den Nachrufen auf John Horton Conway lese ich des öfteren, dass das
Go-Spiel für ihn eine Quelle der Inspiration gewesen sei.
Ich möchte meinen kleinen Nachruf hier mit einem Vortrag von Conway
verbinden, der auf youtube frei verfügbar ist:
"John Conway: Surreal Numbers - How playing games led to more numbers
than anybody ever thought of"
Oft ist zu lesen, dass Conway der Erfinder von "Life" gewesen ist, und
dass der Nachrufende als Jugendlicher viel Zeit damit verbracht habe, es
zu programmieren und zu staunen. Conway hat es erst im hohen Alter
zugelassen, sich dafür loben zu lassen.
Richtig mega-stolz ist er hingegen auf die Entdeckung (nicht Erfindung,
wie er betont) der "surrealen Zahlen" und des sie umgebenden
Spiele-Universums. Beschrieben ist das in seinem Buch "On Numbers and
Games". Ich habe es von A bis Z mit 100 Prozent Begeisterung und 0,0314
Prozent Verständnis gelesen.
Es wurde auch behauptet, dass Go der Ausgangspunkt für seine
Überlegungen zu den "Surrealen Zahlen" gewesen sei. Ich bin Go-Spieler
und habe mich darüber gefreut, hielt die Aussage aber immer für etwas
anekdotisch. Nun habe ich ihn das selbst sagen hören [0]. Die Regeln zum
berühmten Spiel "Life" wurden, weil Computer noch nicht verfügbar waren,
durch sorgfältiges Umlegen von Go-Steinen ausprobiert. Unglaublich für
heutige Begriffe! Es ist Conways Zähigkeit zu verdanken, dass die Regeln
eine solche Form bekamen, dass sie zum einen sehr wenige waren und zum
anderen maximal unvorhersehbare Abläufe produzierten.
Zu den surrealen Zahlen hat Don Knuth eine verständliche und
faszinierende Einführung in seinem Buch "Surreal Numbers" gegeben. Den
Namen für diese neue Zahlen-Art hätte John (ich darf doch Du sagen?)
gerne selbst geprägt, und er wird nicht müde, Knuth dafür zu loben [1][2].
Es waren nicht allein das Gitter des Go-Bretts und die hübschen
Go-Steine, die halfen, Gedanken zu visualisieren, sondern es war das
Go-Spiel selbst, das John zum Nachdenken brachte. Ihn faszinierte, wie
auf dem im Vergleich zu Schach großen Brett mit 19 mal 19 Linien, also
361 besetzbaren Kreuzungspunkten in verschiedenen Regionen A, B, C, ...
gespielt wurde, so dass die gesamte Partie sich als eine Art Summe A + B
+ C + ... gestaltete. Er beschreibt das im Video [3].
Ich darf sagen, dass es mir unendlich Freude gemacht hat, John H. Conway
im Hörsaal plaudern zu hören. Irgendwann driftet er völlig von
Definitionen und Beschreibungen ab und kommt auf seine Riesenfreude zu
sprechen, die er bei der Entdeckung des gewaltigen neuen Zahlenreiches
hatte. Und er äußert Verständnis dafür, wie es für Cantor ein noch viel
stärkeres Erlebnis gewesen sein muss, die transfiniten Zahlen und die
Stufen des Unendlichen entdeckt zu haben (die in den surrealen Zahlen
mit enthalten sind, zu denen nicht nur omega zählt, sondern auch 1/omega
und Wurzel aus omega).
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Ich freue mich, in diesem Nachruf auf John H. Conway auch einen Nachruf
auf Georg Cantor mit einbetten zu können, gesprochen von John selbst
[4]. Und dann das: Conway ist den Tränen nahe (38:55), wenn er darüber
berichtet, wie Cantor von Poincaré und dessen französischen Kollegen
überrascht wurde bei dem von Cantor organisierten internationalen
Mathematiker-Kongress [5].
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
In der Frage-Runde nach dem Vortrag kommt John wieder aufs
Vortrags-Thema zurück, und es freut mich zu hören(*), dass er zwei
Jahre(!) gebraucht hat, um die Definition für die Multiplikation
surrealer Zahlen zu finden. Ja, er hat sie /ge/funden und nicht
/er/funden, denn er wusste schon lange Zeit, was das Produkt vieler
seiner surrealen Zahlen war, aber es fehlte ihm eine
Konstruktionsvorschrift, die zu jeder der ihm logisch scheinenden
Gleichheiten passte. Das beschreibt er faszinierend auf eine Frage aus
dem Auditorium hin: [6].
Zu guter Letzt möchte ich noch darauf hinweisen, wie er die ins Reich
der Spiele eingebetteten surrealen Zahlen nochmals begeistert erstrahlen
lässt [7] und etwas über die Spiele spricht. Über das Spiel "star", über
"up"! und über andere "tiny games" die das Auditorium zum Lachen bringen
[8]. Ich habe das alles schon gelesen in "Winning Ways" und im "Book of
Numbers", aber wenn ich es hier so lebendig erzählt bekomme, dann weiß
ich wieder, warum ich so fasziniert war, und die lebendige Vortragsweise
wird mich vielleicht demnächst erneut zu diesen Büchern führen.
Rainer Rosenthal
***@web.de
[0] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[1] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[2] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[3] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[4] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[5] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[6] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[7] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
[8] http://youtu.be/1eAmxgINXrE
(*) Nach dem Motto: na, wenn der 2 Jahre gebraucht hat, um darauf zu
kommen, dann muss ich das ja auch nicht in einer Viertelstunde kapieren :-)