Post by Matthias WarkusDer Artikel gibt jedenfalls ein Musterbeispiel davon ab, wie Bahn in
Deutschland unter Journalisten diskutiert wird: Gereizt, gehässig, ohne
auch nur minimalen Rechercheaufwand,
Von nichts kommt nichts.
In den 60er, 70er Jahren gab es bei staatlichen "Unternehmen" ein
Verhalten Kunden gegenüber, das jeder Beschreibung spottet und
selbst für einen Monopolisten unvertretbar ist.
Beispiel Post: Wenn Du eine Nebenstellenanlage an Deinem Telephon-
anschluß betriebst, dann mußtest Du für jede "vollamtsberechtigte"
Nebenstelle 5 Mark, für jede "halbamtsberechtigte" (i.e., man
konnte verbunden werden oder einen eingehenden Ruf beantworten)
immerhin 2 Mark 50 - jeweils pro Monat, wie sich wohl versteht.
Noch in den frühen 80ern wollte die Post von uns für jede Telephon-
steckdose monatlich DM 0,50. Für jede, also auch für Anrufbe-
antworter, Wähleinheit hierfür, Gebührenzähler - apropos:
Schamlos log die Post, "Für den Gebührenimpuls benötigen wir
zusätzliche, teuer Technik, daher müssen wir DM 5,-- pro Monat
erheben". Das Gegenteil war der Fall, man benötigte zusätzliche
Technik, um den Gebührenimpuls herauszufiltern.
Beispiel Bahn:
Die "Bahnsteigkarten" waren ja noch ganz putzig, aber was glaubst
Du, was zum Beispiel erforderlich war, um eine private Lokomotive
von Kassel nach Meinigen zu transportieren ? Da warst Du als Kunde
Bittsteller pur. Gut, das Problem wurde nicht einfacher dadurch,
daß wir zum einen ein paar Extrawünsche hatten und zum anderen
die Fahrt durch die heute bedauerlicherweise nicht mehr vorhandene
DDR ging. Hinterher jedenfalls kam ein *dicker* Leitz-Ordner
zusammen, und zwar nur für die Korrespondenz mit der BD Essen.
Manche unserer Kunden haben einen Gleisanschluß, zwei davon so-
gar streckenzugelassene Lokomotiven. Die haben auch heute noch
einen mordsmäßigen Papierkrieg zu bewerkstelligen, aber angeblich
hat sich das gegenüber früheren Zeiten deutlich verbessert.
Mein alter Herr vertrat die Ansicht, daß ein Unternehmen genau
wie ein Mensch eine gewisse Kultur habe und daß sich diese
Kultur nicht ohne weiteres ändern lasse. "Hutzel war ein Klümkes-
laden. Jetzt ist Hutzel eine große Holding - aber es ist immer
der Klümkesladen geblieben". Diesen Spruch ließ mein Alter auf
mich los, als ich 14 war, und ich dachte mir, "jetzt redet er
aber Mist". Diese Auffassung vertrat ich solange, bis ich dann
selbst Kontakte zu Hutzel, Pissmann und Co. hatte. Schlimm, wie
recht mein Vatter hatte. GRAUSAM, wenn kleinkariertes Klümkes-
ladendenken auch noch mit Geiz und Mißgunst kombiniert wird.
Irgendwo muß Lüko ja zu seinen Überzeugung gelangt sein - wenn
dies beispielsweise in einer deutschen Großdrogerie erfolgt
wäre, würde mich das nicht wundern.
Zurück zur Bahn:
Eine Unternehmenskultur, die aus der Zeit eines alimentierten
Monopolisten stammt, kann man nicht so ohne weiteres ändern.
Insbesondere dann nicht, wenn den Mitarbeitern alle Nachteile
eines marktwirtschaftlich geführten Systems genießen dürfen,
aber keinen einzigen Vorteil. Den Mitarbeitern zu erzählen,
"Ihr seid jetzt 'Unternehmer an Bord'" und sie gleichzeitig
von vorn bis hinten zu verscheißern - das muß scheitern.
So kommt dann eine erstaunliche Diskrepanz zustande: Auf der
einen Seite kommst Du in der "Premium-Klasse des ICE" ungefragt
in den Genuß von Zuckerbläsern und Pralinenpüppchen, aber wehe
Dir, wenn Du an einem Bahnhof ohne Launtsch kurz 'mal scheißen
mußt.
Es ist die Kundenorientierung, die fehlt: Während der Streiks
hatte die Bahn beispielsweise auf jeden Hinweis verzichtet, daß
die Bayerische Oberlandbahn zusätzliche Haltestellen anfuhr.
Nicht einmal an den Haltestellen selbst waren entsprechende
Hinweise angebracht.
Wie SCHEISSEGAL dem Ex-Monopolisten seine Kunden sind, zeigt sich
auch in anderen "Details": Am Abend der "Blitzeiskatastrophe"
stand ich in Berlin Zoo am zugigen Gleis. Erst 20, dann 40, dann
60 Minuten Verspätung, effektiv waren es dann 90. Das ist un-
schön. Tolldreist wird es aber dann, daß die Bahn ihre Kunden
losfahren läßt, obwohl sie weiß, daß in NRW die Hölle los ist
und der Zug in das wohl größte Bahnchaos der Nachkriesgeschichte
fährt. WARUM WIRD DAS NICHT ANGESAGT ? Ich wäre doch selbst-
verständlich in Berlin geblieben.
Was erwartest Du von einem Konzern, dessen Vorstand globales
Monolpoly spielt und darüber sein Kerngeschäft aus den Augen ver-
loren hat ?
Neulich war ich überrascht, daß ein Kunde richtig viel Geld für
Gärtnerarbeiten auf dem Firmengelände ausgab. Meinte der GF auf
Rückfrage zu mir, "Ein sauberes, ansprechendes Aussehen der eigenen
Produktionsstätten - das ist die Investition mit dem denkbar
besten ROI - denn das motiviert Mitarbeiter und Kunden gleich-
zeitig, mit uns zu arbeiten und dabei Freude zu empfinden".
Ganz sicher hat der Mann recht. Und ebenso sicher wird auch
umgekehrt ein Schuh draus: Sieh Dir an, wie die Bahn ihre
Strecken verfallen und herunterkommen läßt. Was heißt hier
überhaupt, "ihre Strecken" ? Das ist Volkseigentum.
Post by Matthias Warkusund unter stetem Postulat der Wertlosigkeit aller Anstrengungen
im eigenen Land.
"Herr Meier hat sich stets bemüht, die in ihn gesetzten Erwar-
tungen zu erfüllen": Anstrengungen sind nur dann wertvoll, wenn
sie auch Erfolg haben. Nicht einmal das: Du mußt den Erfolg
auch als solchen nach außen vermitteln.
Ich bin "Normalbürger" und kenne nichts vom ganzen Schratgedöns.
Aber als ein solcher assoziiert mein 'gesundes Volksempfinden':
Frankreich -> große Eisenbahntradition -> André Chapelon-> schon 1960
Weltrekord von 331 Km/h -> intelligente Bahnstomversorgung ->
TGV, überhallhin exportiert -> Le Mistral.
Der französicher Eisenbahner ist stolz, ein Eisenbahner zu sein.
Deutschland ? Da fällt mir spontan eigentlich nur das hinlänglich
bekannte Heine-Zitat ein.
Schon die großen deutschen Dampflokkonstrukteure wurden ausge-
bremst (und keiner kennt sie heute noch), phantastische Pro-
jekte wie der Transrapid wurden von Hobby- und Berufsbeden-
kenträgern kaputtgemacht, bewährte Technik vergammelt, beim ICE
blamiert man sich mit tausenden von Kinderkrankheiten.
Der deutsche Eisenbahner schämt sich für sein Unternehmen.
SCNF - da ist ein Synonym für ein modernes, dynamisches Verkehrsmittel.
DB - Das ist der defizitäre Sauladen für Penner und Verlierer.
Gruß Hans