Martin Hoffmann
2006-01-23 16:48:39 UTC
Salut,
die letzten drei Tage hatte es nahezu ununterbrochen geschneit. Zeit
also, die hierzugrupps vielgerühmte Winterfestigkeit der norwegischen
Eisenbahn einem Praxistest zu unterziehen. Da mir diese Idee erst
Sonntagmorgen beim Frühstück einfiel, war es für die meisten Züge
bereits zu spät. Allein die Bergenbahn hat noch einen Zug halb Elf ab
Oslo. Allerdings reicht es damit nicht bis nach Bergen, vielmehr muss
man bereits in Myrdal kehrt machen. Und auch dann ist man erst gegen
zehn wieder zurück.
Angesichts der kürzlichen Nachfrage (wenn auch für eine andere Tour) und
der geäußerten Überlegungen eines Norwegenurlaubs hier ein kleiner
Bericht.
Der Fahrkartenkauf geschieht problemlos am Automaten. Deren Touchscreens
sind das ganze Gegenteil der von der DB verwendeten -- sie sprechen
bereits an, wenn die Fingerspitzen sich auf einen halben Zentimeter
nähern. Billig ist das ganze nicht eben, allerdings bekommt man dafür
auch knapp zwölf Stunden Bahnfahrt (zwar fünf davon im Dunkeln, aber wer
wird schon pingelig sein).
Regionentog 601 wartet bereits am Bahnsteig 4. Er besteht aus einem mit
einer El 18 bespannten Train mit neun Wagen. Mein reservierter Platz
befindet sich im Wagen 408, dem Schlusswagen. Da die Übergänge zwischen
den Wagen offen sind, vermute ich, dass die Züge fest gekoppelt sind. Das
Innere präsentiert sich großzügig. Der Sitzabstand ist enorm und ergibt 74
Plätze pro Wagen bei einem Sitzteiler von 2+2 (auch wennn die Wagen kürzer
sind als deutsche Bpmz). Die Reihensitze weisen zudem alle in die selbe
Richtung. Offenbar macht man sich die Mühe, die Züge am Ende zu drehen.
Pünktliche Abfahrt in den Tunnel unter Oslos Innenstadt. Bis Drammen
besteht die (Neubau-) Strecke hauptsächlich aus solchen. Dort erreicht
die Schneehöhe bereits gute 20 Zentimeter über Schienenoberkante. Weiter
ins Landesinnere hinein nimmt sie jedoch erst einmal wieder etwas ab,
sobal die Linie zu klettern beginnt, steigt sie jedoch wieder. In Ål
schließlich besitzt jede Weiche ihren eigenen Besen und Schaufel. Die
Strecke führt häufig entlang zugefrorener und -geschneiter Seen.
Bis Geilo ist der Zug nur mäßig besetzt. Dort jedoch beginnt der Ansturm
der heimkehrenden Skifahrer. Was will man aber auch von einem Ort
erwarten, bei dem alle Taxen Skikästen auf dem Dach haben. Ich packe
meine Kopfhörer aus. Da ich nur mäßig norwegisch verstehe, kann ich
Kindergebrabbel normalerweiße recht gut ausblenden. Ein auf dem Laptop
laut abgespielter Kindefilm inklusive dauerhafter Kommentare der Zuseher
übersteigt jedoch selbst meine Fähigkeiten des Ignorierens.
Hinter Geilo wird die Landschaft zunehmend hochgebirgiger. Die vom Zug
aufgewirbelten Schneewolken versperren gelegentlich alle Sicht. Wie man
hört, trainieren hier oben Polarexpeditionen. Tatsächlich kann man in
Finse Skifahrer beobachten, die sich mit anghängten Lastenschlitten über
das Plateau quälen. Hauptsächlich sieht man aber solche, die sich durch
Drachen über selbiges ziehen lassen. Die penetrant bunten Drachenschirme
mindern das Gefühl von Mondlandschaft etwas.
Hinter Finse liegt zunächst der 10,3 km lange Finsetunnel. Auch danach
ist die Strecke größtenteils zum Schutz vor Schnee überbaut. Davon gibt
es zwar reichlich aber nicht in Unmengen. Die Form der Landschaft
begünstigt jedoch Winde und mithin Schneeverwehungen. An den Einfahrten zu
den Überbauungen muss die Lok regelmäßig kleine Schneeberge durchbrechen.
Die Station von Hallingskeid liegt komplett im Schneetunnel und ist für
unseren Zug etwas zu kurz. Aus dem letzten Wagen ist der Ausstieg
unmöglich.
Eine viertel Stunde später verlasse ich den mittlerweile deutlich
überfüllten Zug in Myrdal. Bis zur Rückfahrt habe ich eine Stunde Zeit.
Fünf vor Vier fährt die Flåmsbane, wenn auch ohne Passagiere. Nach
weiteren zehn Minuten hat man alles gesehen. Zum herumschlendern ist es
zudem zu kalt und zu windig.
Zwar mag meine Kamera knappes Licht nicht wirklich, aber zwei Bilder
aus Myrdal kann ich dann doch vorzeigen.
Loading Image...
Das ist ungefähr alles, was es in Myrdal zu sehen gibt. Links nicht zu
sehen ist das Bahnsteiggleis Richtung Flåm. Das Gebäude rechts ist eine
Werkstatthalle. Der wartende Triebzug dürfte ein nur werktäglich
verkehrender Lokalzug Richtung Bergen sein. Ein paar Schritte weiter
nördlich und mangels Stativ etwas verwackelt:
Loading Image...
Rechts die Strecke nach Finse, links die Flåmsbane nach Flåm. In die
andere Richtung ist der Weg bis zum Tunnel etwas länger, aber nicht
viel.
Pünktlich 16.55 Uhr kommt es jenem der nur frei- und sonntags
verkehrende 604 in Form eines (vierteiligen) BM 73 an. Da dank der
Jahreszeit die Rückfahrt komplett im Dunkeln stattfindet, habe ich die
75 Kronen extra für die "Komfort" genannte 1. Klasse investiert. Dort
gibt es nämlich Steckdosen und so kann ich mir die Zeit mit
Programmieren vertreiben. Außerdem gibt es Kaffee für lau. Der geht als
typisch norwegischer Filterkaffee jedoch als erstklassige Batteriesäure
durch. Der Ausschank in Form einer Thermoskanne, einer weiteren mit
Heißwasser für Tee und der notwendigen Utensilien befindet sich dort, wo
normalerweise der zweite Eingang ist. Diesen haben die NSB jedoch
verschlossen und stattdessen ein Vorratsregal und einige Sessel
angeordnet.
In Gol fangen wir uns bei der Kreuzung mit dem Gegenzug zwölf Minuten
Verspätung ein. Über deren Entwicklung hält uns der Zugchef während der
restlichen zweieinhalb Stunden auf dem laufenden. Kurz hinter Grefsen
verabschiedet er sich, und erinnert seine Reisenden daran, dass das
Gepäckabteil ziemlich voll sei und sie doch bitte daran denken mögen, ihr
Gepäck abzuholen. Bei der Einfahrt in Oslo S meldet er sich schließlich
nochmal, um stolz zu verkünden das wir lediglich zwei Minuten zu spät
ankommen.
Meinereiner macht sich zufrieden auf den Heimweg. Das bisschen Schnee
macht der Eisenbahn hier oben natürlich gar nichts aus. Und in fünf
Stunden Bahnfahrt durch schwärzeste Nacht kann man erstaunlich viel
Quellcode produzieren (und es hat sogar gereicht, ihn zum kompilieren
zu bringen).
Gruß,
Martin
die letzten drei Tage hatte es nahezu ununterbrochen geschneit. Zeit
also, die hierzugrupps vielgerühmte Winterfestigkeit der norwegischen
Eisenbahn einem Praxistest zu unterziehen. Da mir diese Idee erst
Sonntagmorgen beim Frühstück einfiel, war es für die meisten Züge
bereits zu spät. Allein die Bergenbahn hat noch einen Zug halb Elf ab
Oslo. Allerdings reicht es damit nicht bis nach Bergen, vielmehr muss
man bereits in Myrdal kehrt machen. Und auch dann ist man erst gegen
zehn wieder zurück.
Angesichts der kürzlichen Nachfrage (wenn auch für eine andere Tour) und
der geäußerten Überlegungen eines Norwegenurlaubs hier ein kleiner
Bericht.
Der Fahrkartenkauf geschieht problemlos am Automaten. Deren Touchscreens
sind das ganze Gegenteil der von der DB verwendeten -- sie sprechen
bereits an, wenn die Fingerspitzen sich auf einen halben Zentimeter
nähern. Billig ist das ganze nicht eben, allerdings bekommt man dafür
auch knapp zwölf Stunden Bahnfahrt (zwar fünf davon im Dunkeln, aber wer
wird schon pingelig sein).
Regionentog 601 wartet bereits am Bahnsteig 4. Er besteht aus einem mit
einer El 18 bespannten Train mit neun Wagen. Mein reservierter Platz
befindet sich im Wagen 408, dem Schlusswagen. Da die Übergänge zwischen
den Wagen offen sind, vermute ich, dass die Züge fest gekoppelt sind. Das
Innere präsentiert sich großzügig. Der Sitzabstand ist enorm und ergibt 74
Plätze pro Wagen bei einem Sitzteiler von 2+2 (auch wennn die Wagen kürzer
sind als deutsche Bpmz). Die Reihensitze weisen zudem alle in die selbe
Richtung. Offenbar macht man sich die Mühe, die Züge am Ende zu drehen.
Pünktliche Abfahrt in den Tunnel unter Oslos Innenstadt. Bis Drammen
besteht die (Neubau-) Strecke hauptsächlich aus solchen. Dort erreicht
die Schneehöhe bereits gute 20 Zentimeter über Schienenoberkante. Weiter
ins Landesinnere hinein nimmt sie jedoch erst einmal wieder etwas ab,
sobal die Linie zu klettern beginnt, steigt sie jedoch wieder. In Ål
schließlich besitzt jede Weiche ihren eigenen Besen und Schaufel. Die
Strecke führt häufig entlang zugefrorener und -geschneiter Seen.
Bis Geilo ist der Zug nur mäßig besetzt. Dort jedoch beginnt der Ansturm
der heimkehrenden Skifahrer. Was will man aber auch von einem Ort
erwarten, bei dem alle Taxen Skikästen auf dem Dach haben. Ich packe
meine Kopfhörer aus. Da ich nur mäßig norwegisch verstehe, kann ich
Kindergebrabbel normalerweiße recht gut ausblenden. Ein auf dem Laptop
laut abgespielter Kindefilm inklusive dauerhafter Kommentare der Zuseher
übersteigt jedoch selbst meine Fähigkeiten des Ignorierens.
Hinter Geilo wird die Landschaft zunehmend hochgebirgiger. Die vom Zug
aufgewirbelten Schneewolken versperren gelegentlich alle Sicht. Wie man
hört, trainieren hier oben Polarexpeditionen. Tatsächlich kann man in
Finse Skifahrer beobachten, die sich mit anghängten Lastenschlitten über
das Plateau quälen. Hauptsächlich sieht man aber solche, die sich durch
Drachen über selbiges ziehen lassen. Die penetrant bunten Drachenschirme
mindern das Gefühl von Mondlandschaft etwas.
Hinter Finse liegt zunächst der 10,3 km lange Finsetunnel. Auch danach
ist die Strecke größtenteils zum Schutz vor Schnee überbaut. Davon gibt
es zwar reichlich aber nicht in Unmengen. Die Form der Landschaft
begünstigt jedoch Winde und mithin Schneeverwehungen. An den Einfahrten zu
den Überbauungen muss die Lok regelmäßig kleine Schneeberge durchbrechen.
Die Station von Hallingskeid liegt komplett im Schneetunnel und ist für
unseren Zug etwas zu kurz. Aus dem letzten Wagen ist der Ausstieg
unmöglich.
Eine viertel Stunde später verlasse ich den mittlerweile deutlich
überfüllten Zug in Myrdal. Bis zur Rückfahrt habe ich eine Stunde Zeit.
Fünf vor Vier fährt die Flåmsbane, wenn auch ohne Passagiere. Nach
weiteren zehn Minuten hat man alles gesehen. Zum herumschlendern ist es
zudem zu kalt und zu windig.
Zwar mag meine Kamera knappes Licht nicht wirklich, aber zwei Bilder
aus Myrdal kann ich dann doch vorzeigen.
Loading Image...
Das ist ungefähr alles, was es in Myrdal zu sehen gibt. Links nicht zu
sehen ist das Bahnsteiggleis Richtung Flåm. Das Gebäude rechts ist eine
Werkstatthalle. Der wartende Triebzug dürfte ein nur werktäglich
verkehrender Lokalzug Richtung Bergen sein. Ein paar Schritte weiter
nördlich und mangels Stativ etwas verwackelt:
Loading Image...
Rechts die Strecke nach Finse, links die Flåmsbane nach Flåm. In die
andere Richtung ist der Weg bis zum Tunnel etwas länger, aber nicht
viel.
Pünktlich 16.55 Uhr kommt es jenem der nur frei- und sonntags
verkehrende 604 in Form eines (vierteiligen) BM 73 an. Da dank der
Jahreszeit die Rückfahrt komplett im Dunkeln stattfindet, habe ich die
75 Kronen extra für die "Komfort" genannte 1. Klasse investiert. Dort
gibt es nämlich Steckdosen und so kann ich mir die Zeit mit
Programmieren vertreiben. Außerdem gibt es Kaffee für lau. Der geht als
typisch norwegischer Filterkaffee jedoch als erstklassige Batteriesäure
durch. Der Ausschank in Form einer Thermoskanne, einer weiteren mit
Heißwasser für Tee und der notwendigen Utensilien befindet sich dort, wo
normalerweise der zweite Eingang ist. Diesen haben die NSB jedoch
verschlossen und stattdessen ein Vorratsregal und einige Sessel
angeordnet.
In Gol fangen wir uns bei der Kreuzung mit dem Gegenzug zwölf Minuten
Verspätung ein. Über deren Entwicklung hält uns der Zugchef während der
restlichen zweieinhalb Stunden auf dem laufenden. Kurz hinter Grefsen
verabschiedet er sich, und erinnert seine Reisenden daran, dass das
Gepäckabteil ziemlich voll sei und sie doch bitte daran denken mögen, ihr
Gepäck abzuholen. Bei der Einfahrt in Oslo S meldet er sich schließlich
nochmal, um stolz zu verkünden das wir lediglich zwei Minuten zu spät
ankommen.
Meinereiner macht sich zufrieden auf den Heimweg. Das bisschen Schnee
macht der Eisenbahn hier oben natürlich gar nichts aus. Und in fünf
Stunden Bahnfahrt durch schwärzeste Nacht kann man erstaunlich viel
Quellcode produzieren (und es hat sogar gereicht, ihn zum kompilieren
zu bringen).
Gruß,
Martin