Discussion:
Seltsame Adjektivgruppe: einigermaßen, ziemlich, leidlich
(zu alt für eine Antwort)
Ralf Joerres
2017-07-31 16:21:38 UTC
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Bin auf eine Gruppe von Adjektiven gestoßen, die sich semantisch und
syntaktisch seltsam verhält. Zu ihr gehören einigermaßen, ziemlich,
leidlich, möglicherweise noch weitere.

Unproblematisch ist für mich der Gebrauch als Gradpartikeln:
A1: Der Zug kam einigermaßen pünktlich.
A2: So ein Verhalten finde ich ziemlich unverschämt.
A3: Der Vortrag war leidlich interessant.

Diese Graduierungen kann man jedoch auch scheinbar absolut, d.h. ohne
Bezugswort vornehmen:
B1: Nach dem Spaziergang ging es ihm wieder einigermaßen.
B2: Da hat sich jemand einen ziemlichen Klops geleistet.
B3: wir hatten leidliches Wetter (Beispiel aus dem Online-Duden)

Man könnte jetzt durchgehen, welche der verschiedenen Adjektiv-Positionen
diese Wörter einnehmen können. Fall B1 scheint eine Art Prädikativ zum
Dativ-Objekt zu sein, das geht nicht mit 'ziemlich', möglicherweise mit
'leidlich':
C2: *es ging ihm ziemlich
C3: ihm ging es danach wieder leidlich

B2 und B3 sind attributiv, das geht auch mit B1:
D1: Wir hatten einigermaßenes Wetter
Noch ein anderes Beispiel mit 'ziemlich':
D2: Wir hatten ziemliches Glück.

'Einigermaßen' und 'leidlich' können Subjektprädikative sein:
E1: die Arbeit war (so) einigermaßen
E2: *die Arbeit war ziemlich
E3: Die meisten Schauspieler standen an ihrem Platze ; alle hatten
genug zu thun, und alle thaten gern was zu thun war. Ihre
persönlichen Verhältnisse waren leidlich und Jedes schien in
seiner Kunst viel zu versprechen. (Goethe zitiert nach Google
Books)

Objektprädikative:
F1: ich finde das einigermaßen (= hinnehmbar)
F3: Wir haben einen so guten Humor, daß wir uns alle Zustände leidlich,
ja vergnüglich zu machen wissen. (Goethe, zitiert nach GWB)
Die Konstruktion 'sich/jemandem etwas leidlich machen' kommt nach GWB
bei Goethe häufiger vor.

Adverbial zu V:
G1: Der Pianist spielte einigermaßen.
"Übrigens ist Rom eine Welt und es gehört ein mehrjähriger
Aufenthalt dazu um sagen zu können: ich kenne sie nur einiger
Massen." (Goethe, riefe, zitiert nach GWB, kann wohl auch als
Objektprädikativ aufgefasst werden)
G3: Ich wurde leidlich bezahlt.

... und weitere.

Mir kommen diese auf der Grenze zwischen - im traditionellen Sinn -
adverbialem und adjektivischem Gebrauch sich bewegenden 'Adjektive'
auch ohne folgendes Bezugsadjektiv wie verhinderte Gradpartikeln vor,
denen das Adjektiv 'weggenommen' wurde. In vielen Fällen bin ich
verführt, zu ergänzen:
B1': Es geht ihm wieder einigermaßen _gut_.
B3': Wir hatten leidlich _gutes_ (= durchwachsenes) Wetter.
...
D2': Wir hatten ziemlich _großes_ Glück.
...
F3': ... daß wir und alle Zustände leidlich _erträglich_ zu machen
wissen
...
G1': es gehört ein mehrjähriger
Aufenthalt dazu um sagen zu können: ich kenne sie nur einiger
Massen _gut_

Hinzu kommt, dass viele dieser Sätze nicht voll akzeptabel, nicht
standardsprachlich, über einen groben Leisten geschlagen erscheinen:
'einigermaßenes Wetter' klingt ein wenig nach 'apper Knopf'.

Am meisten verwundern mich Sätze wie: 'das ist ein ziemlicher Hammer'.
Eine solche Kombination erscheint nur möglich mit einem Nomen, das
mehr oder weniger stark emotional aufgeladen werden kann. Man
vergleiche 'er wohnt in einem vierstöckigen Haus' mit 'er wohnt in
einer ziemlichen Bruchbude.' Das erscheint mir als eine eigene
Qualität von Adjektiv-Nomen-Beziehung, die ich noch nicht beschrieben
gefunden habe. Vergleichbar wären vielleicht: das ist absoluter
Blödsinn / kompletter Wahnsinn / purer Nonsense, aber auch: das ist
glatter Betrug / bodenloser Leichtsinn / eine himmelschreiende
Ungerechtigkeit / das sind wüste/wilde Spekulationen - Adjektive zur
Steigerung der Intensität in ähnlicher Funktion wie Gradpartikeln.

Gruß Ralf Joerres
Tobias J. Becker
2017-07-31 22:47:02 UTC
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Post by Ralf Joerres
Bin auf eine Gruppe von Adjektiven gestoßen, die sich semantisch und
syntaktisch seltsam verhält. Zu ihr gehören einigermaßen, ziemlich,
leidlich, möglicherweise noch weitere.
[...]

Das Verhalten erscheint u.a. deshalb seltsam, weil du m.E.
verschiedenartige Wörter in eine Gruppe zusammenfasst und, wie du selbst
sagst, unterschiedliche Sprachebenen durchmischst.

1. ziemllich: Das ist ursprünglich ein Adjektiv in der Bedeutung "das,
was sich ziemt", "das, was angemessen ist".
Die Bedeutung hat sich etwas verschoben zu "groß" oder "viel" (= in
großem Maße) – ähnlich auch das klischee-bayrische "zünftig" -, aber die
syntaktische Verwendungsmöglichkeit ist geblieben. Ganz regulär kann das
Adjektiv auch adverbial verwendet werden als Gradadverb/ -partikel. Es
hat zu der Abgrenzung Adjektiv vs. Adverb vs. Partikel in dieser Gruppe
jüngst einige Diskussion gegeben. Dieses Beispiel zeigt wohl, dass eine
klare Unterscheidung zwischen Adverb und Gradpartikel nicht so einfach
oder sinnvoll ist. In dem Fall halte ich den Unterschied für einen vor
allem semantischen. [1]

2. einigermaßen: Das ist offenbar ein zu einem Adverb bzw. Gradpartikel
erstarrter Genitiv, wie auch die Schreibweise bei Goethe nahelegt.
Ich halte sämtliche von dir angegeführten attributiven und prädikativen
Verwendungsweisen für umgangssprachlich bis falsch. Auch MUSE sieht
darin die Ellipse eines tatsächlichen Adjektives, auf das es sich bezieht.

3. leidlich: Ist als Adjektiv MUSE nicht mehr gebräuchlich, sehr wohl
aber als Gradadverb bzw. –partikel.


[1] Syntaktisch erkennbar ist er zumindest schwer. Ich bin mir unsicher
darüber, ob diese Wörter vorfeldfähig sind: Ist "Ziemlich rauche ich"
nur ungewöhnlich oder tatsächlich falsch? Ist es nur topikalisierend
möglich, z.B. auf die Frage "Wie stark rauchst du"?


Tobias
Ralf Joerres
2017-08-01 10:06:52 UTC
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Post by Tobias J. Becker
Post by Ralf Joerres
Bin auf eine Gruppe von Adjektiven gestoßen, die sich semantisch und
syntaktisch seltsam verhält. Zu ihr gehören einigermaßen, ziemlich,
leidlich, möglicherweise noch weitere.
Das Verhalten erscheint u.a. deshalb seltsam, weil du m.E.
verschiedenartige Wörter in eine Gruppe zusammenfasst und, wie du selbst
sagst, unterschiedliche Sprachebenen durchmischst.
1. ziemllich: Das ist ursprünglich ein Adjektiv in der Bedeutung "das,
was sich ziemt", "das, was angemessen ist".
Die Bedeutung hat sich etwas verschoben zu "groß" oder "viel"
Seh ich erst mal anders, die erste Bedeutung, die mir einfällt, ist
'relativ'/'vergleichsweise'.
Post by Tobias J. Becker
(= in
großem Maße) – ähnlich auch das klischee-bayrische "zünftig" -, aber die
syntaktische Verwendungsmöglichkeit ist geblieben. Ganz regulär kann das
Adjektiv auch adverbial verwendet werden als Gradadverb/ -partikel. Es
hat zu der Abgrenzung Adjektiv vs. Adverb vs. Partikel in dieser Gruppe
jüngst einige Diskussion gegeben. Dieses Beispiel zeigt wohl, dass eine
klare Unterscheidung zwischen Adverb und Gradpartikel nicht so einfach
oder sinnvoll ist.
Warum sollte es nicht sinnvoll sein, zu versuchen, etwas zusammen-
zufassen und 'auf einen Begriff zu bringen', dass man als 'Gestalt'
im gestaltpsychologischen Sinn erkannt hat? Weite Teile der
grammatischen Beschäftigung bestehen aus nichts anderem.
Post by Tobias J. Becker
In dem Fall halte ich den Unterschied für einen vor
allem semantischen. [1]
'Adverb' ist für viele angelernte Grammatiker das, was der Schweine-
eimer in der Küche ist: Da kommt alles rein, was ich nirgendwo anders
unterbringen kann. Inzwischen fieselt man das ganze unsortierte Zeugs
auseinander und macht dabei lohnende Entdeckungen. Was ich damit sagen
will: 'Adverb' ist eine viel zu unbestimmte grammatische Kategorie und
kann alles oder nichts bedeuten. Da ist ein Begriff wie 'Gradadverb'
oder 'Gradpartikel' schon hilfreicher.
Post by Tobias J. Becker
2. einigermaßen: Das ist offenbar ein zu einem Adverb bzw. Gradpartikel
erstarrter Genitiv, wie auch die Schreibweise bei Goethe nahelegt.
Ich halte sämtliche von dir angegeführten attributiven und prädikativen
Verwendungsweisen für umgangssprachlich bis falsch.
Zu 'falsch':
Jo, wat nich passt, wird passend gemacht. Oder auch: Daraus schließt er
messerscharf... Solchen Zirkelschlüssen ist das normale grammatische
Arbeiten inzwischen entwachsen. Wird natürlich etwas komplizierter.
Manche jammern dann: Wozu noch eine Kategorie!?

Zu 'umgangssprachlich':
Da stimme ich zu. Allerdings ist 'Umganssprache' auch so ein
undefiniertes, wenn nicht undefinierbares Etwas, das für viele eine
reine Abwehrvokabel ist. Da sehe ich vor meinem geistigen Auge immer
den Gottesmann bei der Teufelsaustreibung das Kreuz emporrecken:
Dir werden wir die Umgangssprache schon noch austreiben! Wird auch
als Glaubensfrage gehändelt, man muss schon dran glauben. Ich tu's
nicht: Zur deutschen Sprache gehört auch die so genannte
Umgangssprache, und zwar als vollwertiges Mitglied.
Post by Tobias J. Becker
Auch MUSE sieht
darin die Ellipse eines tatsächlichen Adjektives, auf das es sich bezieht.
Stimmt einigermaßen, nicht wahr? Möglicherweise gibt es Fälle, bei denen
das weggelassene Adjektiv nicht aufzutreiben ist.
Post by Tobias J. Becker
3. leidlich: Ist als Adjektiv MUSE nicht mehr gebräuchlich, sehr wohl
aber als Gradadverb bzw. –partikel.
Schau mal bei Duden online bei den Beispielen - auf die war ich
auch nicht von allein gekommen:
http://www.duden.de/rechtschreibung/leidlich
Post by Tobias J. Becker
[1] Syntaktisch erkennbar ist er zumindest schwer. Ich bin mir unsicher
darüber, ob diese Wörter vorfeldfähig sind: Ist "Ziemlich rauche ich"
nur ungewöhnlich oder tatsächlich falsch? Ist es nur topikalisierend
möglich, z.B. auf die Frage "Wie stark rauchst du"?
Dieses 'ziemlich rauche ich' kann ich mir beim besten Willen nicht
vorstellen, aber wer weiß, was für Sätze dabei herauskommen, wenn man
sich am Rauch verschluckt hat und weiß, man hat nur noch Luft für
drei vier Wörter und muss dann erst mal husten...

Gruß Ralf Joerres
U***@web.de
2017-08-01 10:14:38 UTC
Permalink
Moin,
Post by Ralf Joerres
Post by Tobias J. Becker
3. leidlich: Ist als Adjektiv MUSE nicht mehr gebräuchlich, sehr wohl
aber als Gradadverb bzw. –partikel.
Schau mal bei Duden online bei den Beispielen - auf die war ich
http://www.duden.de/rechtschreibung/leidlich
Die dort genannten Beispiele sind - ohne Warnhinweis -
bestenfalls veraltend.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2017-08-01 11:57:32 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Moin,
Post by Ralf Joerres
Post by Tobias J. Becker
3. leidlich: Ist als Adjektiv MUSE nicht mehr gebräuchlich, sehr wohl
aber als Gradadverb bzw. –partikel.
Schau mal bei Duden online bei den Beispielen - auf die war ich
http://www.duden.de/rechtschreibung/leidlich
Die dort genannten Beispiele sind - ohne Warnhinweis -
bestenfalls veraltend.
Sowas ist schwer einzuschätzen. Die Zeit-Belege auf DWDS 'sprechen
eine andere Sprache':

https://www.dwds.de/r?corpus=zeit;q=leidlich

auf dieser Seite dann mit Strg+F nach 'leidliche' suchen.

Hab's nicht durchgezählt, die allermeisten Beispiele dort sind
Gradpartikeln (bzw. Gradadverbien) vor Adjektiven, aber adjektivische
Verwendung kommt nicht selten vor, manchmal auch dort als Verwechslung
mit 'leidig' - vor der übrigens auch Goethe nicht geschützt war, das
letzte Beispiel im GWB ist ein solcher Fall.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2017-08-01 12:15:51 UTC
Permalink
[..] manchmal auch dort als Verwechslung mit 'leidig' - vor der
übrigens auch Goethe nicht geschützt war, das letzte Beispiel im GWB
ist ein solcher Fall.
In
| 5) von der bedeutung 3 aus ...
?

Da sehe ich keinen solchen Fehler.
--
j/\a
Ralf Joerres
2017-08-02 00:07:27 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
[..] manchmal auch dort als Verwechslung mit 'leidig' - vor der
übrigens auch Goethe nicht geschützt war, das letzte Beispiel im GWB
ist ein solcher Fall.
In
| 5) von der bedeutung 3 aus ...
?
Da sehe ich keinen solchen Fehler.
Ich meine tatsächlich eine Passage aus Band 5 unter Stichwort 'leidlich'
Punkt 3 in der Online-Ausgabe. Dort heißt es: "(kursiv und rot) wohl
anstelle von ‘leidig’ iSv schlimm" (Ende kursiv und rot) auffallend
widerwärtig und im l-sten Sinne lächerlich 422,502,6 Stud zWeltlit."
Dort kann Goethe nicht das 'leidlich' gemeint haben, das in den Punkten
1 und 2 abgehandelt wird. Der Bearbeiter vermutet, dass hier eigentlich
'leidig' gemeint ist, dann wäre es eine Verwechslung, oder? Dieses 'im
leidlichsten Sinne' könnte indessen auch so etwas bedeuten wie
'zumindest aber' oder 'notfalls auch', dann wiederum wäre hier ein
'leidigstes' fehl am Platz. Ich weiß jedoch nicht, ob ein solches 'im
leidlichsten Sinn' in der damaligen Zeit heißen konnte, dass das
damit Bezeichnete - hier: 'lächerlich' - nur in einem sehr geringen Maß
gegeben bzw. dass es - wieder dieses 'lächerlich' - nur notfalls als
zulässig anzusehen ist.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2017-08-02 08:07:45 UTC
Permalink
Ich meine tatsächlich eine Passage aus Band 5 unter Stichwort'
'leidlich Punkt 3 in der Online-Ausgabe.[..]
Kannst du, bitte, die Fundstelle auffindbar genau angeben?
Und möglichst auch eine, aus der man auch die Fundstelle
bei Goethe erkennen und nachschlagen kann? Ohne beides kann
ich mit deinem Hinweis nichts anfangen. (digibib zeigt mir
in Goethes Werken und Briefen über 700 Vorkommen; die mag
ich jetzt nicht auf gut Glück durchforsten.)

Gruß
j/\a
Stephen Hust
2017-08-02 12:49:06 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Ich meine tatsächlich eine Passage aus Band 5 unter Stichwort'
'leidlich Punkt 3 in der Online-Ausgabe.[..]
Kannst du, bitte, die Fundstelle auffindbar genau angeben?
Und möglichst auch eine, aus der man auch die Fundstelle
bei Goethe erkennen und nachschlagen kann? Ohne beides kann
ich mit deinem Hinweis nichts anfangen. (digibib zeigt mir
in Goethes Werken und Briefen über 700 Vorkommen; die mag
ich jetzt nicht auf gut Glück durchforsten.)
Ich nehme an, das ist die Stelle:

| Die Äußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
| meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
|
(Vorarbeiten und Bruchstücke, XXVIII. Studien zur Weltliteratur,
Goethe's Werke, Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von
Sachsen, 42. Band, Zweite Abtheilung, Weimar, 1907, S. 502, Zeile 6):

<https://archive.org/stream/pt02werkegoeth42goetuoft#page/502/mode/2up>

Goethe-Wörterbuch:

<http://www.woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=GWB&lemid=JL01734>
--
Steve

My e-mail address works as is.
U***@web.de
2017-08-02 13:07:52 UTC
Permalink
Moin,
Post by Stephen Hust
Post by Jakob Achterndiek
(digibib zeigt mir
in Goethes Werken und Briefen über 700 Vorkommen; die mag
ich jetzt nicht auf gut Glück durchforsten.)
| Die Äußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
| meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
|
(Vorarbeiten und Bruchstücke, XXVIII. Studien zur Weltliteratur,
Goethe's Werke, Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von
<https://archive.org/stream/pt02werkegoeth42goetuoft#page/502/mode/2up>
<http://www.woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=GWB&lemid=JL01734>
Ginge "bestenfalls"?

Aber wofür steht "der andern"?

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2017-08-02 22:01:37 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Moin,
Post by Stephen Hust
Post by Jakob Achterndiek
(digibib zeigt mir
in Goethes Werken und Briefen über 700 Vorkommen; die mag
ich jetzt nicht auf gut Glück durchforsten.)
| Die Äußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
| meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
|
(Vorarbeiten und Bruchstücke, XXVIII. Studien zur Weltliteratur,
Goethe's Werke, Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von
<https://archive.org/stream/pt02werkegoeth42goetuoft#page/502/mode/2up>
<http://www.woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=GWB&lemid=JL01734>
Ginge "bestenfalls"?
Aber wofür steht "der andern"?
Für mich nicht ganz klar, könnte 'einer/der anderen Eigentümlichkeit'
oder 'der anderen Nation' bedeuten, ich tendiere zu 'der anderen
Nation'. Ich hatte eine andere Ausgabe gefunden, mit einem anderen
Kontext dieser Äußerung: verschiedene Gedanken unter der Überschrift
'Ferneres über Weltliteratur':
https://books.google.de/books?id=BFMoAAAAYAAJ&pg=PP147&lpg=PP147&dq=Die+%C3%84u%C3%9Ferlichkeiten+dieser+innern+Eigenth%C3%BCmlichkeit+kommen+der+andern&source=bl&ots=Lw9b3Dwg-2&sig=INGdI_pA4C1epa-80s_os2suNW8&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwivhfOuwrnVAhWSKlAKHVCyBI8Q6AEIMDAD

Gruß Ralf Joerres
U***@web.de
2017-08-03 13:01:52 UTC
Permalink
Moin,
Post by Ralf Joerres
Post by U***@web.de
Aber wofür steht "der andern"?
Für mich nicht ganz klar, könnte 'einer/der anderen Eigentümlichkeit'
oder 'der anderen Nation' bedeuten, ich tendiere zu 'der anderen
Nation'. Ich hatte eine andere Ausgabe gefunden, mit einem anderen
Kontext dieser Äußerung: verschiedene Gedanken unter der Überschrift
https://books.google.de/books?id=BFMoAAAAYAAJ&pg=PP147&lpg=PP147&dq=Die+%C3%84u%C3%9Ferlichkeiten+dieser+innern+Eigenth%C3%BCmlichkeit+kommen+der+andern&source=bl&ots=Lw9b3Dwg-2&sig=INGdI_pA4C1epa-80s_os2suNW8&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwivhfOuwrnVAhWSKlAKHVCyBI8Q6AEIMDAD
Merci. Bezieht sich auf (jede)Nation aus dem vorangehenden Satz.

Gruß, ULF
Jakob Achterndiek
2017-08-02 16:52:06 UTC
Permalink
Post by Stephen Hust
| Die Äußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
| meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
|
(Vorarbeiten und Bruchstücke, XXVIII. Studien zur Weltliteratur,
Goethe's Werke, Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von
<https://archive.org/stream/pt02werkegoeth42goetuoft#page/502/mode/2up>
Chapeau!!

Zurück zu Ralf Joerres:
Dieses Zitat könnte der von dir geäußerten Auffassung widersprechen.
Die Bedeutung vom "leidlichsten Sinne" ist im Textzusammenhang die,
daß einem die genannten Äußerlichkeiten nicht eben widerwärtig,
aber im gerade noch erträglichen Sinne lächerlich vorkommen müssen.
"Etwas leiden" ist hier also gleichbedeutend mit "etwas ertragen";
nicht, wie bei "leidig", unter etwas leiden.
--
j/\a
Manfred Hoß
2017-08-02 19:52:13 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Stephen Hust
| Die Äußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
| meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
|
(Vorarbeiten und Bruchstücke, XXVIII. Studien zur Weltliteratur,
Goethe's Werke, Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von
<https://archive.org/stream/pt02werkegoeth42goetuoft#page/502/mode/2up>
Chapeau!!
Dieses Zitat könnte der von dir geäußerten Auffassung widersprechen.
Die Bedeutung vom "leidlichsten Sinne" ist im Textzusammenhang die,
daß einem die genannten Äußerlichkeiten nicht eben widerwärtig,
aber im gerade noch erträglichen Sinne lächerlich vorkommen müssen.
"Etwas leiden" ist hier also gleichbedeutend mit "etwas ertragen";
nicht, wie bei "leidig", unter etwas leiden.
Folgendes steht in Band 40 der Digitalen Bibliothek, "Grammatisch-
kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart" von Johann Christoph
Adelung, zu "leidig":

Leidig, adj. et adv. welches in einem doppelten Verstande gefunden wird. 1.
Im thätigen Verstande, Unlust erweckend. 1) Für beschwerlich, lästig. Ihr
seyd allzumahl leidige Tröster, Hiob 16, 2; beschwerliche Tröster, Michael.
O, Laura, du bist eine leidige Trösterinn! Weiße. 2) * Leid, d.i. Kummer,
Unglück, Sorgen, Schaden bringend; eine veraltete Bedeutung. Der leide tag,
Heinrich von Franenberg. Wie lange wollen bey dir bleiben die leidigen
Lehren? Jer. 4, 16; die schädlichen. Im gemeinen Leben sagt man noch
zuweilen, das leidige Geld.
2. Im leidendlichen Verstande. 1) Häßlich, abscheulich, nur noch im
gemeinen Leben einiger Gegenden. Ein leidiges Gesicht. Franz. laid, S. das
Nebenwort Leid. Im Hochdeutschen sagt man nur noch der leidige Teufel, der
leidige Geitz u.s.f. wenn es anders hier nicht zu der vorigen Bedeutung
gehöret. 2) * Arglistig, boßhaft; im Niederdeutschen und einigen
Oberdeutschen Gegenden, wo es aber auch zu einem andern Stamme gehören
kann. 3) * Traurig, betrübt, Leid tragend; eine im Hochdeutschen
gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher man so wohl im Ober- als
Niederdeutschen sagt, leidig seyn, betrübt, die Leidigen, die
Leidtragenden. Bey dem Notker ist leideg gleichfalls traurig, und im
Nieders. bedeutet leidigen über etwas traurig seyn. Er sprach, ich bring
euch leidig mer (Mähr,) Theuerd. Gedenkt, wie leidig er darumb war, ebend.
[Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch: Leidig. Adelung: Wörterbuch,
S. 33617f.
(vgl. Adelung-GKW Bd. 2, S. 2010-2011)]

Und hier noch, was Adelung zu "leidlich" schreibt:

Leidlich, -er, -ste, adj. et adv. was sich leiden, d.i. ohne merkliche
Unlust empfinden lässet; erträglich. 1) Eigentlich. Es ist leidlich warm.
Eine leidliche Gestalt. Der Schmerz ist noch leidlich, lässet sich noch
ertragen. Entschlossen, unser Leben durch die fröhlichste aller Erwartungen
uns leidlicher zu machen, Sonnenf. 2) Figürlich, mittelmäßig. Er befindet
sich ganz leidlich. Er hat einen leidlichen Antheil natürlichen Verstandes.
Ein leidlicher Preis. Er ist so leidlich geschickt.
Anm. Im Oberd. leidentlich, erleidentlich. Leidlich hingegen kommt
daselbst noch in der im Hochdeutschen veralteten Bedeutung für häßlich,
abscheulich vor, Widerwillen, Ekel erweckend, Franz. laid, in welchem
Verstande es schon in Boxhorns Glossen leidlih lautet. S. das Nebenwort
Leid 1. und Leidig 2. Bey dem Ottfried ist leidlich elend.

Leitliche blike und groesliche ruiwe
Hat mir das herze und den lip nach verlorn,
Heinrich von Morunge;

wo es traurig, leidig bedeutet.
[Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch: Leidlich. Adelung: Wörterbuch,
S. 33620
(vgl. Adelung-GKW Bd. 2, S. 2011)]

Gruß
Manfred.
Ralf Joerres
2017-08-02 22:46:09 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Stephen Hust
| Die Äußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
| meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
|
(Vorarbeiten und Bruchstücke, XXVIII. Studien zur Weltliteratur,
Goethe's Werke, Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von
<https://archive.org/stream/pt02werkegoeth42goetuoft#page/502/mode/2up>
Chapeau!!
Dieses Zitat könnte der von dir geäußerten Auffassung widersprechen.
Die Bedeutung vom "leidlichsten Sinne" ist im Textzusammenhang die,
daß einem die genannten Äußerlichkeiten nicht eben widerwärtig,
aber im gerade noch erträglichen Sinne lächerlich vorkommen müssen.
"Etwas leiden" ist hier also gleichbedeutend mit "etwas ertragen";
nicht, wie bei "leidig", unter etwas leiden.
Ich hatte nur zitiert, was der Bearbeiter des GWBs zu diesem
Textschnipsel vermutete. Mit Deiner Interpretation habe ich das
Problem, dass dort kein 'sondern' steht, sondern ein 'und'.
Ich zitiere noch einmal mit dem Einleitesatz des Kapitels im
Zusammenhang:
"Jede Nation hat Eigenthümlichkeiten, wodurch sie von den andern
unterschieden wird, und diese sind es auch wodurch die Nationen sich
untereinander getrennt, sich angezogen oder abgestoßen fühlen. Die
Aeußerlichkeiten dieser innern Eigenthümlichkeit kommen der andern
meist auffallend widerwärtig und im leidlichsten Sinne lächerlich vor.
Diese sind es auch, warum wir eine Nation immer weniger achten,
als sie es verdient. Die Innerlichkeiten hingegen werden nicht
gekannt noch erkannt; nicht von Fremden, sogar nicht von der Nation
selbst, sondern es wirkt die innere Natur einer ganzen Nation, wie
die des einzelnen Menschen, unbewußt; man verwundert sich zuletzt,
man erstaunt über das, was zum Vorschein kommt." (Goethe's Werke
Bd 49, Stuttgart/Tübingen 1833 (Cotta)

... also für mich nicht: Solche fremdländischen Äußerlichkeiten
springen anderen Nation als widerwärtig ins Auge, sind aber nur
'in einem gerade noch zu ertragenden Sinn' (?) lächerlich,
sondern: Diese (irritierenden) Äußerlichkeiten sind anderen
Nationen deutlich zuwider, vielleicht auch, mit etwas weniger
Abscheu, erscheinen sie ihnen bloß lächerlich.

Ich seh schon, ich versteh den Satz nicht richtig. Wenn Du eine
'Übersetzung' in eine etwas zeitgemäßere Sprache hättest, dann
gäb's vielleicht eine Chance, dass ich das Gemeinte erfasse.
Mit dem 'im gerade noch erträglichen Sinne lächerlich' habe ich
ärgste Schwierigkeiten. Man sagt ja auch heute noch: Das ergibt
einen leidlichen Sinn. Aber 'im leidlichsten Sinn', das kann doch
eigentlich nur eine Art interpretatorische Vergewaltigung sein?

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2017-08-03 11:53:30 UTC
Permalink
Zitat Goethe: "[..] Die Aeußerlichkeiten dieser innern
Eigenthümlichkeit kommen der andern meist auffallend widerwärtig
und im leidlichsten Sinne lächerlich vor. Diese sind es auch,
warum wir eine Nation immer weniger achten, als sie es verdient."
[..]
Ich seh schon, ich versteh den Satz nicht richtig.
Doch, du hast ihn - mit einer kleinen, einschränkenden oder
ergänzenden Anmerkung dazu - ganz richtig verstanden: Nach
unserem Verständnis wirkt Goethes "auffallend widerwärtig"
erheblich abwertender als vermutlich von Goethe selbst gemeint.
Ich sehe es hier auf derselbe Stufe wir "es widerfährt, es
widersteht", also einfach etwas, was der eigenen Richtung
oder Haltung und Gewohnheit "entgegen" ist, ohne daß es, wie
nach heutigem Verständnis, gleich Abscheu erregen müßte.

Um mir Goethes Urteil nachvollziehbar zu machen, stelle ich
mir gerade vor, daß in hiesiger belebter Maximilianstraße
beim täglichen Mittagsläuten alle anwesenden Muselmänner auf
die Knie fallen und ihre Ärsche gen Westen erheben: Das wäre
mir auch irgendwie zuwider, mindestens lächerlich; so wie es
unser aller Goethe sagte: "Diese [Äußerlichkeiten] sind es
auch, warum wir eine Nation immer weniger achten, als sie es
verdient. Die Innerlichkeiten hingegen [..]"
--
j/\a
Ralf Joerres
2017-08-03 21:40:47 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Zitat Goethe: "[..] Die Aeußerlichkeiten dieser innern
Eigenthümlichkeit kommen der andern meist auffallend widerwärtig
und im leidlichsten Sinne lächerlich vor. Diese sind es auch,
warum wir eine Nation immer weniger achten, als sie es verdient."
[..]
Ich seh schon, ich versteh den Satz nicht richtig.
Doch, du hast ihn - mit einer kleinen, einschränkenden oder
ergänzenden Anmerkung dazu - ganz richtig verstanden: Nach
unserem Verständnis wirkt Goethes "auffallend widerwärtig"
erheblich abwertender als vermutlich von Goethe selbst gemeint.
Ich sehe es hier auf derselbe Stufe wir "es widerfährt, es
widersteht", also einfach etwas, was der eigenen Richtung
oder Haltung und Gewohnheit "entgegen" ist, ohne daß es, wie
nach heutigem Verständnis, gleich Abscheu erregen müßte.
Um mir Goethes Urteil nachvollziehbar zu machen, stelle ich
mir gerade vor, daß in hiesiger belebter Maximilianstraße
beim täglichen Mittagsläuten alle anwesenden Muselmänner auf
die Knie fallen und ihre Ärsche gen Westen erheben: Das wäre
mir auch irgendwie zuwider, mindestens lächerlich; so wie es
unser aller Goethe sagte: "Diese [Äußerlichkeiten] sind es
auch, warum wir eine Nation immer weniger achten, als sie es
verdient. Die Innerlichkeiten hingegen [..]"
Na da haste ja ein wirklich plastisches Beispiel gefunden, da hamwers
wieder: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte! Man muss es halt nur
(er)finden.

Eehm: Jakob gleich hinterm Deich in der Maximilianstraße, der ist
auch nicht schlecht.

Es dankt und grüßt Ralf Joerres

Diedrich Ehlerding
2017-08-01 15:23:41 UTC
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Post by Ralf Joerres
Diese Graduierungen kann man jedoch auch scheinbar absolut, d.h. ohne
B1: Nach dem Spaziergang ging es ihm wieder einigermaßen.
B2: Da hat sich jemand einen ziemlichen Klops geleistet.
B3: wir hatten leidliches Wetter (Beispiel aus dem Online-Duden)
Man könnte jetzt durchgehen, welche der verschiedenen
Adjektiv-Positionen diese Wörter einnehmen können. Fall B1 scheint eine
Art Prädikativ zum Dativ-Objekt zu sein, das geht nicht mit 'ziemlich',
C2: *es ging ihm ziemlich
C3: ihm ging es danach wieder leidlich
Ich sehe weder das "einigermaßen" als Prädikat zu "ihm", sondern als
Verkürzung einer Adverbialgruppe "einigermaßen gut", und die bezieht sich
auf "es ging", nicht auf "ihm". Ebenso verstehe ich "leidlich" in C3.
--
pgp-Key (RSA) 1024/09B8C0BD
fingerprint = 2C 49 FF B2 C4 66 2D 93 6F A1 FF 10 16 59 96 F3
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Ralf Joerres
2017-08-02 07:41:11 UTC
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Post by Diedrich Ehlerding
Post by Ralf Joerres
Diese Graduierungen kann man jedoch auch scheinbar absolut, d.h. ohne
B1: Nach dem Spaziergang ging es ihm wieder einigermaßen.
B2: Da hat sich jemand einen ziemlichen Klops geleistet.
B3: wir hatten leidliches Wetter (Beispiel aus dem Online-Duden)
Man könnte jetzt durchgehen, welche der verschiedenen
Adjektiv-Positionen diese Wörter einnehmen können. Fall B1 scheint eine
Art Prädikativ zum Dativ-Objekt zu sein, das geht nicht mit 'ziemlich',
C2: *es ging ihm ziemlich
C3: ihm ging es danach wieder leidlich
Ich sehe weder das "einigermaßen" als Prädikat zu "ihm", sondern als
Verkürzung einer Adverbialgruppe "einigermaßen gut", und die bezieht sich
auf "es ging", nicht auf "ihm". Ebenso verstehe ich "leidlich" in C3.
Eine solche Art von Analyse sehe ich als Versuch, den Satz so
zurechtzubiegen, dass er mit den Werkzeugen tradierterer grammatischer
Bearbeitung überhaupt angefasst werden kann. Mein 'Dativobjekt' war
schon ein Zugeständnis in dieser Richtung, man könnte bei dieser Art
von Sätzen (mir wird schlecht) auch von einem 'Dativsubjekt' sprechen.
Es spielt semantisch die Rolle der Person, auf welche die Zustandsangabe
'einigermaßen' zutrifft. Das 'es' wäre Pseudosubjekt bzw. syntaktischer
Platzhalter für die Subjektposition. Das 'gut' ist nicht getilgt,
sondern im 'einigermaßen' mit enthalten, welches hier 'vergleichsweise
gut' bedeutet. Das 'ging' wäre dann eine Quasi-Kopula für Wohlbefind-
lichkeitsangaben (es geht jemandem dreckig, 'nicht besonders', aus-
gezeichnet, nicht gut und nicht schlecht, blendend...). Das
'einigermaßen' in der Bedeutung 'vergleichsweise gut' bezieht sich
eindeutig auf die Person: ihm ist jetzt wieder gut.

Das soll jetzt keine Analyse sein, sondern eine Einladung zum
Perspektivwechsel. Man kann weiter fragen, warum die Person, um die
es geht, welche den Satzgegenstand bildet, hier im Gewand des Dativs
auftritt. Dazu hätte ich die Vermutung, dass die Person dadurch
als von etwas betroffen dargestellt wird, auf das sie nur bedingt
Einfluss nehmen kann. Die Person leidet sozusagen am Schicksal
ihres Körpers, ihres Wahrnehmungs- und Gefühls'apparats', mit:
(mir dreht sich alles, wir wird schlecht, mir fällt ein Stein vom
Herzen, mir tut alles weh). Wir haben im Deutschen die Möglichkeit,
mit Hilfe solcher Dative ein Geschehnis, das mit einer Person verbunden
ist, als zugleich einschneidend und persönlich hochrelevant, aber auch
in Distanz zu dieser Person und ihrer Verantwortung enthoben darzustellen:
ihr ist was Schlimmes passiert, mir war ihre teure Vase hingefallen,
ihm ist die Frau weggelaufen, der Vater gestorben, das Haus abgebrannt.
In allen diesen Fällen kann die Person für das, was passiert ist, verantwortlich sein, es wird jedoch so wiedergegeben, als wenn die
Ereignisse 'von außen' über sie hereingebrochen sind. Dieses 'ihm geht
es wieder einigermaßen' empfinde ich als ähnlich.

Der ganze Satz ist zudem nur verständlich als Teil eines Prozesses,
was durch 'wieder' und auch durch 'einigermaßen' impliziert ist:
Offensichtlich ging es der Person vorher richtig schlecht, das weiß
der Sprecher, und dem Hörer wird dieses Wissen unterstellt. Es ist
ein Durchgangsstadium, daher passt dieses 'gehen' gut: Es geht ihm
von Tag zu Tag/immer besser, im Moment schon wieder einigermaßen.

Gruß Ralf Joerres
U***@web.de
2017-08-02 09:05:09 UTC
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Moin,
Post by Ralf Joerres
Post by Diedrich Ehlerding
Post by Ralf Joerres
B1: Nach dem Spaziergang ging es ihm wieder einigermaßen.
B2: Da hat sich jemand einen ziemlichen Klops geleistet.
B3: wir hatten leidliches Wetter (Beispiel aus dem Online-Duden)
Man könnte jetzt durchgehen, welche der verschiedenen
Adjektiv-Positionen diese Wörter einnehmen können. Fall B1 scheint eine
Art Prädikativ zum Dativ-Objekt zu sein, das geht nicht mit 'ziemlich',
C2: *es ging ihm ziemlich
C3: ihm ging es danach wieder leidlich
Ich sehe weder das "einigermaßen" als Prädikat zu "ihm", sondern als
Verkürzung einer Adverbialgruppe "einigermaßen gut", und die bezieht sich
auf "es ging", nicht auf "ihm". Ebenso verstehe ich "leidlich" in C3.
Eine solche Art von Analyse sehe ich als Versuch, den Satz so
zurechtzubiegen, dass er mit den Werkzeugen tradierterer grammatischer
Bearbeitung überhaupt angefasst werden kann. Mein 'Dativobjekt' war
schon ein Zugeständnis in dieser Richtung, man könnte bei dieser Art
von Sätzen (mir wird schlecht) auch von einem 'Dativsubjekt' sprechen.
Es spielt semantisch die Rolle der Person, auf welche die Zustandsangabe
'einigermaßen' zutrifft. Das 'es' wäre Pseudosubjekt bzw. syntaktischer
Platzhalter für die Subjektposition.
Das geht auch ohne:

"Ihm war nicht wohl."

Gruß, ULF
Diedrich Ehlerding
2017-08-02 15:43:05 UTC
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Post by Ralf Joerres
Eine solche Art von Analyse sehe ich als Versuch, den Satz so
zurechtzubiegen, dass er mit den Werkzeugen tradierterer grammatischer
Bearbeitung überhaupt angefasst werden kann.
Ich finde meinerseits deine Analyse übermäßig kompliziert und verwirrend.
Offenbar sind wir insoweit leider verschiedener Ansicht und weren es
vermutlich auch bleiben.i

Diedrich
--
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Ralf Joerres
2017-08-02 22:59:09 UTC
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Post by Diedrich Ehlerding
Post by Ralf Joerres
Eine solche Art von Analyse sehe ich als Versuch, den Satz so
zurechtzubiegen, dass er mit den Werkzeugen tradierterer grammatischer
Bearbeitung überhaupt angefasst werden kann.
Ich finde meinerseits deine Analyse übermäßig kompliziert und verwirrend.
Offenbar sind wir insoweit leider verschiedener Ansicht und weren es
vermutlich auch bleiben.i
Nochmal: Das ist keine Analyse, sondern ein anderer Blickwinkel. ES sind
Assoziationen, wenn man so will, 'grammatische Gefühle' bzw. Intuitionen,
die sich bei mir im Lauf der Jahre eingestellt haben. Schade, wenn Du so
gar nichts davon mal antesten kannst.

Gruß Ralf Joerres
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