Post by Sergio GattiPost by Ralf JoerresIch will damit nicht en bloc alles abtun, was der Artikel aufmarschieren
lässt, um seine These zu stützen. Wenn jedoch wirklich etwas in der Sache
erreicht werden soll - wobei: was ist eigentlich die Sache? -, dann wäre
weniger Thesenhaftigkeit und mehr Differenziertheit wünschenswert. Es
reicht halt nicht, einfach immer wieder nur zu wiederholen, dass Frauen
sich beim Wort 'Zuschauer' nicht gemeint fühlen. Wie jetzt: Nicht gemeint
fühlen können, nicht gemeint fühlen wollen, tatsächlich nicht gemeint
fühlen, und trifft das dann auf alle Frauen zu? Das sind nicht-überprüf-
bare Behauptungen, deren Realitätsgehalt sich nicht durch solch einfach
gestrickte Satzergänzungs-Experimente ermitteln lässt.
Es gibt schon seit mindestens vierzig Jahren Untersuchungen,
die das von dir unerwünschte Ergebnis belegen.
Wenn du diese Experimente kritisierst, weil sie deiner
Meinung nach zu einfach gestrickt seien, dann sollst du
bitte deine Behauptung beweisen. Noch besser, du könntest
andere Experimente vorschlagen.
Wie gesagt, dass dem nachgegangen wird, welche Bedeutungen generischen
Personenbezeichnungen hinsichtlich der Sexualität oder der Geschlechts-
rolle der bezeichneten Person zugeschrieben werden, ist sinnvoll, schon
allein, um aus diesem statuarischen Behauptungsmodus herauszukommen.
Dies mit Satzverknüpfungen wie
Die Spione verließen den Besprechungsraum. Offensichtlich war
eine der Frauen verärgert
unternehmen zu wollen, betrachte ich als manipulativ - ganz abgesehen
davon, dass es sprachlich nicht korrekt ist, was Lars bereits aufgezeigt
hatte. Der erste Satz setzt aufgrund des definiten Artikels voraus, dass
die Gruppe der Spione im Text bereits definiert ist. Wenn sie definiert
ist, ist sie es mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch hinsichtlich der
Geschlechts(rollen)zusammensetzung. Wenn da unter lauter männlichen Spionen
eine Frau gewesen sein sollte, ist das auffällig genug, um es zu erwähnen.
Dann hätte die Fortsetzung (der 2. Satz) lauten müssen
Offensichtlich war die Frau verärgert
Auch das hört sich merkwürdig an, man würde vielleicht ihren Namen erwähnen.
Wenn man sie dann nur mit dem Nachnamen referenzierte,
Offensichtlich war Müller verärgert
würde sie wiederum in ihrer Geschlechtsidentität nicht sichtbar. Also würde
man vielleicht sagen müssen
Offensichtlich war Frau Müller verärgert.
Auch dieser Satz, verbunden mit dem Vorgängersatz, wäre sehr plump, das
trifft aber bereits auf den ersten Satz zu. Dort wiederum wäre nichts
damit gewonnen, wenn man formuliert hätte
Die Spioninnen und Spione verließen den Besprechungsraum.
'Irgendwas' stimmt an diesem Satz nicht, er ist konstruiert und überhaupt
nur ohne Kontext bildbar, andererseits ohne Kontext nicht vollständig
verständlich. Das heißt für mich: Der Versuchsaufbau ist unsauber, so lässt
sich alles und nichts belegen.
Noch einmal zurück zum Beispiel von Lobin. Dort war von 'eine der Frauen'
die Rede. Es waren also mehrere Frauen in der Gruppe, mindestens zwei.
Es können jedoch nicht 100% Frauen gewesen sein, dann hätte der erste Satz
von 'Spioninnen' sprechen müssen. Mindestens ein Mann muss dabeigewesen
sein. Ob man das dann so ausdrücken würde wie im Beispiel, oder nicht
vielleicht als
Man verließ den Besprechungsraum
oder
Als die Gruppe / Versammlung den Raum verließ
oder
Nach der Besprechung: ?
Oder man hätte sich von vornherein einen cleveren Versuchsaufbau
überlegt, das ist ja nicht verboten. Aber darum ging es vielleicht
gar nicht, vielleicht sollten gar nicht die Vorstellungsbilder von
Rezipienten bei der Interpretation von Gruppenbezeichnungen mit Hilfe
des generischen Maskulinums in der sprachlichen Realität erhoben
werden, sondern die Interpretation dieser Gruppenbezeichnungen in
real nicht-bildbaren Sätzen, um eine zugespitzte Aussage zu gewinnen,
welche die These belegt, dass das generische Maskulinum 'kontextfrei'
= 'immer' in die Vorstellungsbilder der Sprachteilnehmer hineinregiert
und den Frauen wie eine von den Männern aufgewzungene Burka ihre
weibliche Identität nimmt (dieses Bild stammt aus dem Beitrag der SZ).
Insgesamt denke ich: Trotz der durchscheinenden Intention der Ermittler
ist an ihren Thesen was dran. Ich möchte mich jedoch nicht derart
ungelenken Beispielen ausgesetzt sehen, um am Ende auf der Handlungs-
ebene als Befürworter solch grotesker Retortenbabys wie 'Studierenden-
werk' oder der Auflage sogenannter geschlechtererechter Personenbezeich-
nungen für eine Zulassung als Semesterarbeit dazustehen. Ich denke, da
wird zu viel mit der Brechstange gearbeitet. Nichts spricht gegen
geschlechtersensible Sprache, und wer unbedingt super'korrekt' gendern
will, kann das tun, aber er sollte seine Auffassung nicht anderen
aufzwingen. Man kann sich darüber auseinandersetzen, in einigen Bereichen
ändert sich auch der Sprachgebrauch allmählich, die Allgemeinheit wird
dem folgen, doch all das setzt nicht das System außer Kraft, in dem ein
generisches Maskulinum nun einmal existiert, das sich allein durch
oberflächliche Genusanpassungen bei Personenbezeichnungen nicht aus
der Welt schaffen lässt. Da müsste 'man' richtig 'tief gendern' und
Deutsch (und andere Sprachen) ingeniuermäßig umbauen. Dass solche
Eingriffe heikel sind und nicht beabsichtigte Effekte zeitigen, kennen
wir aus der Genetik. Nun denn, davon braucht der wackere Genderingenieur
sich nicht schrecken lassen, immer frisch ans Werk!
Man sollte dann vielleicht wie bei bestimmten Kinderbüchern sich auch die
Texte vergangener Zeiten vornehmen und zumindest bis zur Weimarer Klassik
alles 'neusprechkonform' umdichten, damit der Germanistikstudierende
(Germanistik Studierende?) nicht permanent von einer Parallel-Sprachwelt
in die andere hin- und herswitchen muss...
Sorry, irgendwie juckt es (nicht nur) mich immer wieder, die moralische
Haltung dieser sprachlichen Sittenwächter in Frage zu stellen. Auch das
erwähnt Lobin mit großem Bedauern. Warum ist das eigentlich so, dass
viele Hervorbringungen der Genderfraktion derart massiven Spott heraus-
fordern?
Gruß Ralf Joerres