Post by Jakob AchterndiekPost by Helmut RichterIch habe nie verstanden, warum ein Futur, von dem aus in die
Vergangenheit gesehen wird ("Bis dahin wird er das schon erledigt
haben"), einen Namen wie "Futur II" verdient, als wäre es ein eigenes
Tempus, der umgekehrte Fall ("Damals wusste er noch nicht, dass er
bald seinen Bruder wiedersehen würde") dagegen keinen Namen wie etwa
"Präteritum II" hat, da es scheints kein eigenes Tempus ist. Für mich
ist das völlig analog.
Hängt das nicht einfach damit zusammen, daß diese grammatischen
Termini von gelehrten Mönchen vom Lateinischen auf das Deutsche
übertragen worden sind?
Wenn der Anspruch war "was wir anhand der lateinischen Grammatik
gelernt haben, liefert uns die Nomenklatur, in der wir über die
deutsche sprechen können", dann ist es sehr verdienstvoll, dass sie
ihr Wissen auch für das Deutsche einsetzten. Wenn der Anspruch aber
war "was wir anhand der lateinischen Grammatik gelernt haben, muss
genauso für die deutsche gelten, sonst ist die deutsche Sprache
falsch", dann hilft uns die Übertragung nicht weiter. Ein Beispiel für
einen Fehlgriff dieser Art ist der Begriff "Imperfekt" für dasjenige
der deutschen Tempora, das wie kaum ein anderes im Deutschen für
abgeschlossene Handlungen steht.
Post by Jakob AchterndiekWas heute viele übersehen: Deren selbstgestellte Aufgabe war
anspruchsvoll. Sie wollten die Strukturen des Latein, einer ihnen
bekannten und geläufigen klassischen Literatursprache, in vergleich-
baren oder auch nur ähnlichen Strukturen der ihnen weniger bekannten
und illiteraten Volkssprache wiederfinden. Die lateinischen Formen
von Futur I und Futur II sind strukturell eng benachbart; im Deutschen
braucht man ungelenke Kombinationen mit verschiedenen Hilfsverben, um
gleichbedeutende Inhalte angemessen wiederzugeben.
Na und? Verschiedene Sprachen sind verschieden, und sie sind nicht
besser oder schlechter, wenn sie der lateinischen ähnlicher oder
unähnlicher sind.
Post by Jakob AchterndiekPost by Helmut Richter"sollte" statt "würde" halte ich für eine stilistische Variante ohne
Bedeutungsunterschied; ...
Das "solltest" du bitte nicht tun! Der Bedeutungsunterschied zwischen
einem Postulat und einer Option ist doch unübersehbar!
Es ist weder ein Postulat noch eine Option, sondern beidemale ein
Hilfsverb für dieses Tempus einer in der Vergangenheit noch nicht,
mittlerweile aber eingetretenenen Handlung, und sonst nichts. Mit den
Verben "sollen" (eine Verpflichtung haben), "werden" (seinen Zustand
verändern) hat es nichts zu tun, auch wenn es ganz offenbar aus diesen
hervorgegangen ist.
Post by Jakob AchterndiekPost by Helmut Richter... vielleicht klingt "sollte" ein wenig
schicksalhafter nach "so musste es dann kommen", [..]
Die Aussage, "das klingt ..", kann man als ein Indiz dafür ansehen,
daß jemand mit mehr Gefühl als Verstand spricht: Klimg-klang ist nun
mal mehr eine Sache des Sensus als der Ratio. Wer darauf einmal
aufmerksam gemacht wird, der wird das ungern zugeben - und das ist
recht so! Bei der nächsten Gelegenheit wird er sich hoffentlich selbst
lieber an die Vernunft als an das Gefühl des Gesprächspartner wenden
und deshalb seine Wörter und Sätze nach Bedeutung, nicht nach Kling-
klang wählen.
Eine solche Bemerkung hätte ich eher von jemandem erwartet, der
maschinelle Übersetzungen anfertigt und sich dann wundert, dass die
von der Maschinerie gewählten Wörter nicht passen.
Hier widerspreche ich also energisch. Wörter haben nicht voneinander
strikt abgegrenzte Bedeutungen, sondern überlappen sich in ihrer
Bedeutung. Welches von den passenden man wählt, weckt beim Hörer oder
Leser Vorstellungen.
Post by Jakob AchterndiekImmer vorausgesetzt, daß es sich um einen Diskurs,
nicht um ein Liebesgeturtel handelt.
Beim Liebesgeturtel mag die Auswahl passender Wörter für einen
Sachverhalt größer sein als bei einem Diskurs, aber trotzdem gibt es
auch in letzterem viele Gelegenheiten, ein Wort durch ein in der
Bedeutung sehr ähnliches, aber nicht völlig austauschbares zu
ersetzen, ohne dass eindeutig eines davon richtig und das andere
falsch ist. Ausnahmen davon sind die im Gegenstand des Diskurses
definierten Fachwörter, nicht aber die Wörter der deutschen Sprache,
die diese Fachwörter zu Sätzen verbinden.
Außerdem sind die meisten Äußerungen weder den Kategorien
Liebesgeturtel noch Diskurs zuzuordnen, sondern zum Beispiel: Bericht,
Handlungsanweisung, Interpretation eines Sachverhaltes usw.
--
Helmut Richter