Post by Lothar SchenkDeswegen sollte man, wie ein guter Feuerwehrmann, das Feuer vollstaendig
und endgueltig loeschen, ohne versteckte Brandherde, die im Verborgenen
weiterschwelen. Und zwar jetzt, solange die Umstaende noch guenstig
sind. Spaeter ist es vielleicht schon zu spaet.
Ich moechte mich auf bestimmte Dinge einlassen und bin bereit die
Konsequenzen zu tragen.
Das sehe ich. Ich bezweifle allerdings, ob du das Ausmass dieser
Konsequenzen ueberhaupt richtig einschaetzen kannst.
Ein Leben ganz ohne Leid, so stelle ich es mir
vor, ist auch ein Leben ganz ohne Freude.
Eine oft geaeusserte Ansicht. Als ob Leiden eine Vorbedingung dafuer
waere, um gluecklich sein zu koennen! Leiden ist keine Vorbedingung fuer
das Gluecklichsein, es ist die Verhinderung des Gluecklichseins. Wird
Leiden der Boden entzogen, bleibt Gluecklichsein uebrig. Ein Leben ohne
Leiden ist ein Leben im Gluecklichsein.
Umgekehrt gilt: alles, was Gluecklichsein verhindert, ist Leiden.
Dies fuehrt bei genauer Betrachtung im Endeffekt zu einer radikal
anderen Einschaetzung dessen, was im ueblichen Sinne als Freud und Leid
bezeichnet wird. Es ist beides kein wahres Gluecklichsein, sondern nur
unterschiedlich intensiv ausgepraegtes Ungluecklichsein, unterschiedlich
intensiv ausgepraegtes Verhindern von wahrem Gluecklichsein.
Der Buddha hat diesen Unterschied der Sichtweisen im Gleichnis von dem
Aussaetzigen verdeutlicht (M 75):
"Gleichwie etwa, Magandiyo, wenn ein Aussaetziger, dessen Glieder mit
Geschwueren bedeckt, faulig geworden, von Wuermern zerfressen, von den
Naegeln wund aufgekratzt sind, Fetzen davon herabreissend an einer Grube
voll gluehender Kohlen den Leib ausdoerren liesse. Und seine Freunde und
Genossen, Verwandte und Vettern bestellten ihm einen heilkundigen Arzt,
und dieser heilkundige Arzt gaebe ihm ein Heilmittel, und er gebrauchte
dieses Heilmittel und wuerde vom Aussatz befreit und waere genesen,
fuehlte sich wohl, unabhaengig, selbstaendig, koennte gehn wohin er
wollte. Und er erblickte einen anderen Aussaetzigen, dessen Glieder mit
Geschwueren bedeckt, faulig geworden, von Wuermern zerfressen, von den
Naegeln wund aufgekratzt sind, wie er Fetzen davon herabreissend, an
einer Grube voll gluehender Kohlen den Leib ausdoerren laesst. Was
meinst du wohl: wuerde da etwa dieser Mann jenen Aussaetzigen beneiden
und die gluehende Kohlengrube und den Gebrauch des Heilmittels vermissen?"
"O nein, o Gotamo!"
"Und warum nicht?"
"Ist man krank, so braucht man ein Heilmittel: ist man nicht krank,
braucht man es nicht."
"Ebenso nun auch hab' ich frueher im Hause gelebt und war mit dem Besitz
und Genuss der fuenf Arten von Sinnesfreuden begabt. Spaeter hab' ich
dann eben des Begehrens Entstehen und Vergehn, Labsal und Elend und
Ueberwindung der Wahrheit gemaess verstanden und die begehrende Lust
verworfen, das begehrende Fieber verleugnet, habe den Durst bezwungen
und die Ebbung des eigenen Gemuetes erlangt. Und ich sah wie die anderen
Wesen, dem Begehren hingegeben, von begehrendem Duersten verzehrt, von
begehrendem Fieber entzuendet, den Sinnesfreuden froenen; und ich konnte
sie nicht beneiden, keine Freude daran finden: und warum nicht? Weil
meine Freude, gar fern von Sinneslust, fern von unheilsamen Dingen, bis
an himmlisches Wohl heranreichte: solcher Freude geniessend mocht' ich
Gemeines entbehren, keine Freude daran finden.
"Gleichwie etwa, wenn ein Aussaetziger, dessen Glieder mit Geschwueren
bedeckt, faulig geworden, von Wuermern zerfressen, von den Naegeln wund
aufgekratzt sind, Fetzen davon herabreissend an einer Grube voll
gluehender Kohlen den Leib ausdoerren liesse. Und seine Freunde und
Genossen, Verwandte und Vettern bestellten ihm einen heilkundigen Arzt,
und dieser heilkundige Arzt gaebe ihm ein Heilmittel, und er gebrauchte
dieses Heilmittel und wuerde vom Aussatz befreit und waere genesen,
fuehlte sich wohl, unabhaengig, selbstaendig, koennte gehn wohin er
wollte. Und zwei kraeftigte Maenner ergriffen ihn unter den Armen und
schleppten ihn zu der gluehenden Kohlengrube hin. Was meinst du wohl:
wuerde da nun dieser Mann auf jede nur moegliche Weise den Leib
zurueckziehn?"
"Gewiss, o Gotamo!"
"Und warum das?"
"Jenes Feuer ist ja gar schmerzlich zu ertragen und furchtbar versengend
und furchtbar versehrend."
"Was meinst du wohl, Magandiyo: ist etwa jetzt erst das Feuer
schmerzlich zu ertragen und furchtbar versengend und furchtbar
versehrend, oder war es schon frueher schmerzlich zu ertragen und
furchtbar versengend und furchtbar versehrend?"
"Jetzt eben ist das Feuer schmerzlich zu ertragen und furchtbar
versengend und furchtbar versehrend, und auch frueher war das Feuer
schmerzlich zu ertragen und furchtbar versengend und furchtbar
versehrend. Jener Aussaetzige, freilich, dessen Glieder mit Geschwueren
bedeckt, faulig geworden, von Wuermern zerfressen, von den Naegeln wund
aufgekratzt waren: Fetzen davon herabreissend war er sinnesverwirrt
geworden, und indem er das Feuer nur schmerzlich ertrug, waehnte er 'Das
tut wohl'."
"Ebenso nun aber, Magandiyo, waren auch die Sinnesfreuden der
Vergangenheit gar schmerzlich zu ertragen und furchtbar versengend und
furchtbar versehrend, und werden auch die Sinnesfreuden der Zukunft gar
schmerzlich zu ertragen sein und furchtbar versengend und furchtbar
versehrend, und sind auch heute die Sinnesfreuden der Gegenwart gar
schmerzlich zu ertragen und furchtbar versengend und furchtbar
versehrend. Doch diese Wesen, Magandiyo, dem Begehren hingegeben, von
begehrendem Duersten verzehrt, von begehrendem Fieber entzuendet, sind
sinnesverwirrt geworden, und indem sie die Sinnesfreuden nur schmerzlich
ertragen, waehnen sie 'Das tut wohl'.
Dadurch, das ich bestimmte
wertlose, zerstoererische Elemente ausklammer erpsare ich mir schon eine
ganze Menge Leid und Nervkram.
Das halte ich fuer eine wertvolle Erkenntnis. Leiden laesst sich durch
das Aufgeben von Leiden verursachenden Handlungsweisen vermindern.
Unser Verstaendnis dessen, was Leiden verursachende Handlungsweisen
sind, verfeinert sich mit der Zeit. Wenn die groben Handlungsweisen
weggefallen sind, ruecken weniger grobe Handlungsweisen ins Visier, und
so weiter.
Wenn man es richtig macht, hat man am Ende alles aufgegeben, was Leiden
verursachen kann.
Dieser Weg fuehrt sukzessive von niederen Formen des Gluecklichseins zu
immer hoeheren Formen des Gluecklichseins und letzten Endes zu einem
Gluecklichsein, das an keine Bedingung mehr geknuepft ist.
Sehr empfehlenswert.
Mich jedoch auf das Buddha Niveau zu
begegeben ist nicht mein Lebensziel.
Ich bezweifle, ob es dein Lebensziel ist, dir Leiden zu schaffen.
Ich betrachte den Buddhismus bzw.
Zen als Handwerkszeug.
Ja, richtig. Mit dem ausdruecklichen Zweck erfundenes Handwerkszeug, um
Leiden zu beenden. Angesichts der Tatsache, dass im Gegenzug
bedingungsloses Gluecklichsein winkt, waere es schade, es nicht zu dem
vorgesehenen Zweck zu verwenden.
So wie mir die Mathematik hilft Probleme im
rationalen zu analysieren und zu loesen, so benutze ich die ZEN
Philosophie eine gewisse Ruhe und Gelassenheit in meinen Gegengeist zu
bringen.
Dann hast du doch wohl schon gemerkt, dass Ruhe und Gelassenheit weniger
leidbehaftet sind als Unruhe und Aufgeregtheit?
Du brauchst nur immer danach Ausschau zu halten, wo noch Leiden zu
finden ist und dann dieses auch noch abstellen.
Es funktioniert bislang gut. Ob sich spaeter weitere
Entwicklungen ergeben weiss ich noch nicht.
Da bin ich sicher.
Dein letzter Satz im letzten Abschnitt erinnert mich ungut an das
Geschaeft mit der Angst bei anderen Religionen.
Angenommen, in deinem Haus sei ein Feuer ausgebrochen. Nun kaeme ein
Spaziergaenger vorbei, bemerkte den Brand und wuerde dich
herausklingeln, um dir zu sagen, dass dein Haus brennt.
Wuerdest du ihn bezichtigen, dir Angst machen zu wollen?
Er kann mir aber deshalb
keine Angst einfloessen, da ich nicht davon ausgehe als Muecke
wiedergeboren zu werden oder in die Hoelle zu kommen. Die Natur wird
statt meinerselbst andere Dinge hervorbringen mit denen ich in
vielfaeltiger Form vernetzt sein werde. Auch jetzt schon bin ich
Mannigfaltig mit allem verbunden, woran meine Nichtexistenz deren Beginn
freilich nicht definierbar ist als Transformationsprozess nichts aendern
wird.
Das Loesen von Zwangsvorstellungen, von dem was nach dem Tode ist oder
wie die Natur bzw. Gott die Kreaturen Richten wird, bringt einem erst
die grosse Freiheit.
Es gibt auch Zwangsvorstellungen, die bestimmte Dinge ohne ausreichenden
Grund fuer unmoeglich erklaeren.
Was aber immer funktioniert, ist, in seinem eigenen Erleben nach Leiden,
Wehe, Unwohlsein zu forschen. Da, wo es auftaucht, daran ist zu arbeiten.