Discussion:
Verhandeln
(zu alt für eine Antwort)
Heinz Lohmann
2018-07-14 03:34:19 UTC
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Gerade mal wieder auf SPON gelesen, aber ich lese es auch in
Fachaufsätzen über Literatur:

"Da war Christine selbst: In ihrer eigenen Kinderbiografie "Maikäfer
flieg!" *verhandelte* Nöstlinger das Aufwachsen im Nachkriegsösterreich
- während alle Angst vor den Russen hatten, freundete sie sich mit einem
an."

"Wer Nöstlinger als Erwachsener liest, sieht klar, was sie alles an
gesellschaftlicher Realität *verhandelte*: [...]"

Gibt es da keinen besseren Ausdruck? Was ist mit "sich beschäftigen mit"?
Ist es eine Marotte aus dem Feuilleton? Eine Germanistenmarotte?

Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?

Oder bin ich nicht belesen genug?

<http://www.spiegel.de/kultur/literatur/christine-noestlinger-nachruf-das-auf-wen-pfeifen-lernen-a-1218391.html>
--
mfg
Heinz Lohmann
Tamsui, Taiwan

Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch, wenn man keine hat. W.B.
Stephen Hust
2018-07-14 06:42:38 UTC
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Post by Heinz Lohmann
Gerade mal wieder auf SPON gelesen, aber ich lese es auch in
"Da war Christine selbst: In ihrer eigenen Kinderbiografie "Maikäfer
flieg!" *verhandelte* Nöstlinger das Aufwachsen im Nachkriegsösterreich
- während alle Angst vor den Russen hatten, freundete sie sich mit einem
an."
"Wer Nöstlinger als Erwachsener liest, sieht klar, was sie alles an
gesellschaftlicher Realität *verhandelte*: [...]"
Gibt es da keinen besseren Ausdruck? Was ist mit "sich beschäftigen mit"?
Was ist mit "behandeln"?
Post by Heinz Lohmann
<http://www.spiegel.de/kultur/literatur/christine-noestlinger-nachruf-das-auf-wen-pfeifen-lernen-a-1218391.html>
--
Steve

My e-mail address works as is.
Jakob Achterndiek
2018-07-14 08:19:50 UTC
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Post by Heinz Lohmann
"Wer Nöstlinger als Erwachsener liest, sieht klar, was sie alles an
gesellschaftlicher Realität *verhandelte*: [...]"
Gibt es da keinen besseren Ausdruck? Was ist mit "sich beschäftigen mit"?
Ist es eine Marotte aus dem Feuilleton? Eine Germanistenmarotte?
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Oder bin ich nicht belesen genug?
<http://www.spiegel.de/kultur/literatur/christine-noestlinger-nachruf-das-auf-wen-pfeifen-lernen-a-1218391.html>
Geläufig war (ist vielleicht noch?) unter Theaterfreunden der
Ausdruck, daß ein Stoff "veropert" worden sei. Was das heißt,
ist klar: Man hat eine Oper daraus gemacht. Oft hat das Wort
einen kritischen Unterton: Viel Tamtam und große Gefühle.
Analog dazu hat die Nöstlinger eben gesellschaftliche Realität
"verhandelt". Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt. Einen
kritischen Unterton wie bei "veropert" lese ich da nicht, eher
das Gegenteil. Dem entspricht ja auch der Tenor des Nachrufs.
--
j/\a
U***@web.de
2018-07-14 08:39:07 UTC
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Post by Jakob Achterndiek
Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt.
Ich gehe den Weg der Fundstellensuche und neige dazu,
beides zu verneinen.

http://www.suedasien.info/rezensionen/3060.html
https://www.theol.uni-freiburg.de/disciplinae/rk/studium-und-lehre/grundlagentexte/EKD_aufwachsen.pdf
https://www.pedocs.de/volltexte/2011/4745/pdf/ZfPaed_2005_2_Merten_Aufwachsen_in_Armut_Einfuehrung_D_A.pdf

Sachverhalte und Fragestellungen können auch ohne
Beteiligungen weiterer Personen diskutiert werden.
Jakob Achterndiek
2018-07-14 09:12:55 UTC
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Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt.
Ich gehe den Weg der Fundstellensuche und neige dazu,
beides zu verneinen.
Es könnte ganz bestimmt unser Wissen über Anwendung und Bedeutungs-
Varianten des Verbs "verhandeln" sehr bereichern, wenn du uns auch
noch verrätst, WAS du gesucht hast und WAS du verneinst.
:(
--
j/\a
U***@web.de
2018-07-14 09:15:11 UTC
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Post by Jakob Achterndiek
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt.
Ich gehe den Weg der Fundstellensuche und neige dazu,
beides zu verneinen.
Es könnte ganz bestimmt unser Wissen über Anwendung und Bedeutungs-
Varianten des Verbs "verhandeln" sehr bereichern, wenn du uns auch
noch verrätst, WAS du gesucht hast
Es mag Dich jetzt überraschen: 'verhandelte'
Post by Jakob Achterndiek
und WAS du verneinst.
Beschränkung des besprochenen Gebrauchs auf Felix Austria
oder eine bestimmte Autorin.
Jakob Achterndiek
2018-07-14 10:15:05 UTC
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Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt.
Ich gehe den Weg der Fundstellensuche und neige dazu,
beides zu verneinen.
Es könnte ganz bestimmt unser Wissen über Anwendung und Bedeutungs-
Varianten des Verbs "verhandeln" sehr bereichern, wenn du uns auch
noch verrätst, WAS du gesucht hast
Es mag Dich jetzt überraschen: 'verhandelte'
Nun, da können wir ja schon mal sehr dankbar sein, daß du uns
nicht alle circa viereinhalb Millionen Fundstellen aus Google
mitgeteilt, sondern eine kluge Auswahl getroffen hast.
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
und WAS du verneinst.
Beschränkung des besprochenen Gebrauchs auf Felix Austria
oder eine bestimmte Autorin.
Eine zu "veropern" analoge Bedeutung findet sich allerdings
ausschließlich im ersten der von dir ausgewählten Belege, und
selbst da nicht eindeutig: Dort ist von einer Befragung von
Einwanderer-Kindern die Rede, innerhalb derer ein Thema
"verhandelt" wird; NICHT eindeutig von der Umsetzung eines
Themas in die Form einer Handlung, wie das die Nöstlinger tut.

Was lernt uns das?
Nicht nur Hühner findet mal ein blindes Korn - oder so ähnlich.
;)
--
j/\a
U***@web.de
2018-07-15 07:27:32 UTC
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Post by Jakob Achterndiek
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt.
Ich gehe den Weg der Fundstellensuche und neige dazu,
beides zu verneinen.
Es könnte ganz bestimmt unser Wissen über Anwendung und Bedeutungs-
Varianten des Verbs "verhandeln" sehr bereichern, wenn du uns auch
noch verrätst, WAS du gesucht hast
Es mag Dich jetzt überraschen: 'verhandelte'
Nun, da können wir ja schon mal sehr dankbar sein, daß du uns
nicht alle circa viereinhalb Millionen Fundstellen aus Google
mitgeteilt, sondern eine kluge Auswahl getroffen hast.
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
und WAS du verneinst.
Beschränkung des besprochenen Gebrauchs auf Felix Austria
oder eine bestimmte Autorin.
Eine zu "veropern" analoge Bedeutung
Die suchte ich gar nicht, sondern eine zu dialogfreiem
Abhandeln, dDiskutieren, Besprechen analoge.
Post by Jakob Achterndiek
findet sich allerdings
ausschließlich im ersten der von dir ausgewählten Belege, und
selbst da nicht eindeutig: Dort ist von einer Befragung von
Einwanderer-Kindern die Rede, innerhalb derer ein Thema
"verhandelt" wird; NICHT eindeutig von der Umsetzung eines
Themas in die Form einer Handlung, wie das die Nöstlinger tut.
Hmm.
Ralf Joerres
2018-07-14 13:14:38 UTC
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Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt.
Ich gehe den Weg der Fundstellensuche und neige dazu,
beides zu verneinen.
http://www.suedasien.info/rezensionen/3060.html
https://www.theol.uni-freiburg.de/disciplinae/rk/studium-und-lehre/grundlagentexte/EKD_aufwachsen.pdf
https://www.pedocs.de/volltexte/2011/4745/pdf/ZfPaed_2005_2_Merten_Aufwachsen_in_Armut_Einfuehrung_D_A.pdf
Sachverhalte und Fragestellungen können auch ohne
Beteiligungen weiterer Personen diskutiert werden.
Gut gefunden! Ich hab erst gar nicht gesucht, weil ich gedacht hatte, das
ist aussichtslos, weil 'verhandeln' meistens so etwas wie 'aushandeln'
bedeutet, so dass die anderen Bedeutungen in der Masse der anderen Funde
untergehen. In den hier genannten Fällen scheint es mir eine Abwandlung
von 'abhandeln' mit einem von 'verarbeiten' übernommenen 'ver-' zu sein.

Gruß Ralf Joerres
Ralf Joerres
2018-07-14 13:38:27 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Heinz Lohmann
"Wer Nöstlinger als Erwachsener liest, sieht klar, was sie alles an
gesellschaftlicher Realität *verhandelte*: [...]"
Gibt es da keinen besseren Ausdruck? Was ist mit "sich beschäftigen mit"?
Ist es eine Marotte aus dem Feuilleton? Eine Germanistenmarotte?
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Oder bin ich nicht belesen genug?
<http://www.spiegel.de/kultur/literatur/christine-noestlinger-nachruf-das-auf-wen-pfeifen-lernen-a-1218391.html>
Geläufig war (ist vielleicht noch?) unter Theaterfreunden der
Ausdruck, daß ein Stoff "veropert" worden sei.
Aufgrund des gängigen 'verfilmen' versteht man das sofort.
Post by Jakob Achterndiek
Was das heißt,
ist klar: Man hat eine Oper daraus gemacht. Oft hat das Wort
einen kritischen Unterton: Viel Tamtam und große Gefühle.
Das bleibt nicht aus, auch die Länge des neu entstandenen Werks mag
eine Rolle spielen, vgl. den Spruch 'quatsch keine Opern'.
Post by Jakob Achterndiek
Analog dazu hat die Nöstlinger eben gesellschaftliche Realität
"verhandelt". Bleibt zu fragen, ob das ein Austriazismus oder
eine eigene Wortschöpfung der Eva Thöne ist. Ich vermute eher
letzteres und finde das Wort jedenfalls klug gewählt. Einen
kritischen Unterton wie bei "veropert" lese ich da nicht, eher
das Gegenteil. Dem entspricht ja auch der Tenor des Nachrufs.
Es könnte auch einem ins glatte stilistische Gegenteil verkehrte
'verwurstet' oder 'verhackstückt' entsprechen. Literatur-Rezensentinnen
greifen selbstverständlich in die oberste stilistische Schublade, und
wenn da nichts ist, werden sie kreativ. Oft gelingt das.

*Ein* Stoff ist übrigens etwas anderes als mengenmäßig unbestimmte und
mannigfaltige gesellschaftliche Realität. Daher las ich das 'verhandeln'
im Beispiel anders. Das von Dir anscheinend intendierte 'in Handlung
verwandeln' erscheint mir so gesucht, dass ich es als Autor in Anführungs-
zeichen gesetzt hätte.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-07-14 15:46:15 UTC
Permalink
Es könnte auch einem ins glatte stilistische Gegenteil verkehrten
'verwurstet' oder 'verhackstückt' entsprechen.
Ein bestechend kluger Einfall!
Vielleicht krieg ich so einen selbst hin?
Also:
So könnte es auch sein, daß das bei der Nöstlinger auch bedeutet, daß
sie sich aus dem Handel damit Vorteile versprochen hatte, sich dann aber
"verhandelt" hat, so daß ihr mehr Nachteil als Nutzen daraus entstanden
ist. - Wieso? Nu ja: KÖNNTE doch, oder?
Literatur-Rezensentinnen greifen selbstverständlich in die oberste
stilistische Schublade, und wenn da nichts ist, werden sie kreativ.
Oft gelingt das.
Klar, das versteht man von selbst.
Wie gut nur, daß wir keine Literatur rezensieren müssen und daß wir
keine ~innen sind!
--
j/\a
Ralf Joerres
2018-07-14 21:16:36 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Es könnte auch einem ins glatte stilistische Gegenteil verkehrten
'verwurstet' oder 'verhackstückt' entsprechen.
Ein bestechend kluger Einfall!
Vielleicht krieg ich so einen selbst hin?
So könnte es auch sein, daß das bei der Nöstlinger auch bedeutet, daß
sie sich aus dem Handel damit Vorteile versprochen hatte, sich dann aber
"verhandelt" hat, so daß ihr mehr Nachteil als Nutzen daraus entstanden
ist. - Wieso? Nu ja: KÖNNTE doch, oder?
Ehhm, nein, könnte nicht, da da Verb 'verhandeln' in der bewussten Text-
passage nicht reflexiv auftritt. Wenn Du Dich schon auf das Spiel einlässt,
aus bereitstehenden Verbpräfixen und Grundverben neue Verben zu kreieren,
musst Du Dich dennoch an die Regeln halten. So despektierlich meine
Bemerkung auch war, ich liege mit ihr eine ganze Ecke näher am Gemeinten
als Du mit Deinem amputierten Reflexiv-Verb.
Post by Jakob Achterndiek
Literatur-Rezensentinnen greifen selbstverständlich in die oberste
stilistische Schublade, und wenn da nichts ist, werden sie kreativ.
Oft gelingt das.
Klar, das versteht man von selbst.
Wie gut nur, daß wir keine Literatur rezensieren müssen und daß wir
keine ~innen sind!
Obwohl ich das generische Maskulinum bevorzuge, achte ich dennoch darauf,
ob eine angesprochene oder besprochene Person möglicherweise nicht männlich
ist. Hier handelte es sich um eine Rezensentin. Mein Satz bezog sich jedoch
auf Rezensenten im Allgemeinen, also ist hier die feminine Form falsch.
Die deutsche Sprache ist auch ohne das Gender-Gemache schon kompliziert
genug, auch hartgesottene Genderisten (und gerade die) werden oft in die
in ihren Augen falsche Sprachform hineinschlittern, aus Gewohnheit, in
lichten Momenten, in denen sie sich ihrer eigenen Verhunzungen schämen,
oft genug weil es nicht geht, ohne sich vollends zum Narren zu machen;
nur aus einem Grund werden sie es nicht tun, nämlich zum Scherz, denn in
Sachen ihrer Mission verstehen sie keinen Spaß. Das hat man davon, wenn
man ihnen den kleinen Finger gibt: Da möchte man 'Kavalier sein' und dann
geht's doch wieder daneben.

Gruß Ralf Joerres
U***@web.de
2018-07-15 07:29:03 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Post by Jakob Achterndiek
Geläufig war (ist vielleicht noch?) unter Theaterfreunden der
Ausdruck, daß ein Stoff "veropert" worden sei.
Aufgrund des gängigen 'verfilmen' versteht man das sofort.
Auch an Vertonung mag sich der eine oder andere
erinnern.

Gruß, ULF
Ralf Joerres
2018-07-15 15:18:23 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Post by Ralf Joerres
Post by Jakob Achterndiek
Geläufig war (ist vielleicht noch?) unter Theaterfreunden der
Ausdruck, daß ein Stoff "veropert" worden sei.
Aufgrund des gängigen 'verfilmen' versteht man das sofort.
Auch an Vertonung mag sich der eine oder andere
erinnern.
Ich wusste, es gibt da noch mehr, kam aber nicht drauf.

Der Online-Duden nennt unter "ver-" 'verfeaturen'.

Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-07-15 17:43:46 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Ich wusste, es gibt da noch mehr, kam aber nicht drauf.
Der Online-Duden nennt unter "ver-" 'verfeaturen'.
Besonders lustig macht das der Duden mit den Schächtelchen 4 bis 7:
"ver~" kann heißen dies und das und alles mögliche, und endlich dem
leeren Schächtelchen 8: es kann aber auch heißen gar nichts. - So
liebe ich mir die Sprachwissenschaft!

Übrigens: "Verfietscherst du mich, verfietscher ich dich" ist
wohl eine Erfindung von Heinrich Böll. Doktor Murke sagt es.
--
j/\a
Ralf Joerres
2018-07-15 19:14:50 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Ralf Joerres
Ich wusste, es gibt da noch mehr, kam aber nicht drauf.
Der Online-Duden nennt unter "ver-" 'verfeaturen'.
"ver~" kann heißen dies und das und alles mögliche, und endlich dem
leeren Schächtelchen 8: es kann aber auch heißen gar nichts. - So
liebe ich mir die Sprachwissenschaft!
Übrigens: "Verfietscherst du mich, verfietscher ich dich" ist
wohl eine Erfindung von Heinrich Böll. Doktor Murke sagt es.
Oh, bereits da?

Was eine Deiner Lieblingsbeschäftigungen, nämlich das Duden-Bashing
angeht: Du wirst sicherlich nicht anstehen, uns zu verraten, worin
der semantische Beitrag des Präfix 'ver-' in den Verben 'verbleiben,
verbringen, und vermelden' besteht. Die Duden-Leute haben festgestellt,
es gibt keinen, Du scheinst aber in tiefere Bedeutungszusammenhänge
vorgedrungen zu sein. Lass uns daran teilhaben.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-07-15 21:47:29 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Was eine Deiner Lieblingsbeschäftigungen, nämlich das Duden-Bashing
angeht: Du wirst sicherlich nicht anstehen, uns zu verraten, worin
der semantische Beitrag des Präfix 'ver-' in den Verben 'verbleiben,
verbringen, und vermelden' besteht. Die Duden-Leute haben festgestellt,
es gibt keinen, [..]
Den Duden-Leuten ist da nur keiner eingefallen. :)
Ebensowenig wie ihnen eingefallen ist, worin bei den Beispielen 1 bis 7
die *Gemeinsame* Bedeutung der allen gemeinsamen Praefix "ver~" liegt.

Das ist wie:
Rote Lampe kann sein Verkehrsampel, rote Lampe kann auch sein Puff,
rote Lampe kann aber auch sein gar nichts. - Merke: Nicht immer hält
das rote Licht, was es dem Wandersmann verspricht. Warum soll das mit
dem "ver~" anders sein? ;) Meinen offenbar die Duden-Wissenschaftler.
--
j/\a
Ralf Joerres
2018-07-16 06:13:24 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Ralf Joerres
Was eine Deiner Lieblingsbeschäftigungen, nämlich das Duden-Bashing
angeht: Du wirst sicherlich nicht anstehen, uns zu verraten, worin
der semantische Beitrag des Präfix 'ver-' in den Verben 'verbleiben,
verbringen, und vermelden' besteht. Die Duden-Leute haben festgestellt,
es gibt keinen, [..]
Den Duden-Leuten ist da nur keiner eingefallen. :)
Ebensowenig wie ihnen eingefallen ist, worin bei den Beispielen 1 bis 7
die *Gemeinsame* Bedeutung der allen gemeinsamen Praefix "ver~" liegt.
Dann werde doch mal konkret. Welche _Bedeutungs_veränderung erhalten wir, wenn aus einem

große Fundstücke können vorläufig im Besitz des Finders bleiben

ein

große große Fundstücke können vorläufig im Besitz des Finders verbleiben

wird.

Die Dudenmacher haben übrigens nicht gesagt, dass 'verbleiben' und 'bleiben'
unterschiedslos zu benutzen sind. Es geht hier um das Präfix 'ver-' in
seiner produktiven Funktion, so wie in dem von Dir genannten Beispiel
'veropern', das absehbar nicht in Wörterbücher aufgenommen werden wird,
da es eine Gelegenheitsbildung ist, für die in der deutschen Sprache vorerst
kein größerer Bedarf besteht. Den semantischen Sinn dieser Neuschöpfung
finde ich in der Bedeutungserklärung 2 hinlänglich gut erfasst, auch an
diesem Punkt würde ich bezweifeln, dass Du es besser kannst.

Was den gemeinsamen Nenner aller 7 Bedeutungen angeht: Um den geht es da
nicht. Worterklärungen in Wörterbüchern sollen
den Benutzern eine Handhabe bieten, wie sie diese Wörter benutzen können.
Im Fall von 'ver-' sollen Duden-Benutzer u.a. darauf hingewiesen werden,
wie sie Verben mit 'ver-' zu verstehen versuchen können, die sie nie
zuvor gehört haben. Im Unterschied zu Dir finde ich die Erklärungen in
dieser Hinsicht sehr gelungen, was nicht heißt, dass sie nicht noch
erweitert oder präzisiert werden könnten. Wer nach Erklärungen für die
offensichtliche Vielfalt an Bedeutungen des 'ver-' sucht, wird ein etymo-
logisches Wörterbuch befragen und sich dort belehrt sehen, dass in 'ver-'
drei ursprünglich unterschiedene Präfixe zusammengefallen sind. Dieses und
vieles weitere 'verschweigt' der Duden, denn er ist keine anekdotisch
angelegte Sammlung kluger Gedanken über die vorgestellten Wörter, sondern
nutzenorientiert.

Andererseits könnte sich ein Nutzen ergeben, wenn sich eine magische Formel
fände, die in einem Schlag eine sehr große Anzahl der Einsatzmöglichkeiten
von 'ver-' erklärt. Ich selbst versuche das im Unterricht mit dem Dativ
und versuche den TN drei Grundstrukturen unserer Sprache begreiflich zu
machen: Prädikativsätze mit sein, bleiben und werden, Akkusativsätze mit
agentischem Subjekt und 'betroffenem' Akkusativobjekt und Akkusativ+Dativ-
Sätze, in denen der Dativ sehr oft den Empfänger benennt, denjenigen,
dem das mit dem Akkusativ Bezeichnete gegeben (oder vorenthalten) wird,
sei es ein Geburtstagskuchen, ein Ratschlag oder Vertrauen oder Glauben
(jm etw geben, schenken, raten, jm vertrauen, glauben). Da die Herkunfts-
sprachen der TN teilweise ergativ sind und ihnen unser 'Subjekt' und
'Akkusativobjekt' völlig fremd, verstehen sie meine Erklärungen nicht
wirklich. Ich hoffe, dass sie durch ständig wiederholtes Analysieren von
Sätzen ein Ahnung von dem entwickeln, welche Basisstrukturen sehr vielen
unserer Sätze zugrundeliegen.

Wenn Du also für 'ver-' einen solchen Generalschlüssel hast, dann verrate
ihn, vielleicht lässt sich damit arbeiten.

Gruß Ralf Joerres
Jakob Achterndiek
2018-07-16 08:36:17 UTC
Permalink
[..] Welche _Bedeutungs_veränderung erhalten wir, wenn aus einem
große Fundstücke können vorläufig im Besitz des Finders bleiben
ein
große große Fundstücke können vorläufig im Besitz des Finders verbleiben
wird?
Gar keine Bedeutungsveränderung.
Nur daß man bei einem großen Fundstück noch gelassen bleiben kann,
während große große Fundstücken auch schon mal die Sprache ein
bißchen veraufblasen können.

Deine weiteren Erwägungen zu den Ergativsprachen deiner Schüler,
also
| z. B. das Baskische, Chantische, Georgische, Sumerische,
| Tibetische, Tschetschenische, Kurmandschi, Shipibo (in Peru),
| Maya-Sprachen und Kalaallisut (in Grönland).
kann und mag ich nicht verkommentieren.
--
j/\a
Ralf Joerres
2018-07-16 09:25:54 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
[..] Welche _Bedeutungs_veränderung erhalten wir, wenn aus einem
große Fundstücke können vorläufig im Besitz des Finders bleiben
ein
große große Fundstücke können vorläufig im Besitz des Finders verbleiben
wird?
Gar keine Bedeutungsveränderung.
Und eben dies meinte die Bemerkung 7 zu 'ver-' beim Duden, also nicht
'nicht drauf gekommen', sondern 'es gibt keine'.
Post by Jakob Achterndiek
Nur daß man bei einem großen Fundstück noch gelassen bleiben kann,
während große große Fundstücken auch schon mal die Sprache ein
bißchen veraufblasen können.
;) Wat meinste wohl, die dat zustandegekommen war?
Post by Jakob Achterndiek
Deine weiteren Erwägungen zu den Ergativsprachen deiner Schüler,
also
| z. B. das Baskische, Chantische, Georgische, Sumerische,
| Tibetische, Tschetschenische, Kurmandschi, Shipibo (in Peru),
| Maya-Sprachen und Kalaallisut (in Grönland).
kann und mag ich nicht verkommentieren.
Schwerpunkt meiner weiteren Bemerkungen war, dass ich auf der Suche
nach einem Basis-Inhalt für den Dativ bin, und weiter als bis zur
Übersetzung des Namens bin ich das erst mal nicht gekommen, 'Dativ'
scheint mir den gemeinsamen Inhalt vieler Dativergänzungen gut zu
bezeichnen.

Bemerkung am Rande: Mit der Konstruktion 'mich friert' durchbricht das
Deutsche seine typologische Zuordnung als Nominativ- (+ Akkusativ)-
Sprache und erlaubt sehr begrenzt auch Konstruktionen einer Aktivsprache.
[Es gibt in dieser Typologie nur drei Kategorien: Nominativsprachen,
Ergativsprachen und Aktivsprachen. Dabei geht es um die Zuordnung semanti-
scher Rollen (sog. Aktanten, z.B. Agens, Patiens, Benfizient...) zu bestimmten morphologisch markierten syntaktischen Rollen (in europ.
Sprachen außer dem Baskischen (?) üblicherweise durch Kasus und/oder Präpositionen). Eine ziemlich interessante Sache, leider mir weitestgehend
unverständlich, da ich keine Nicht-Nominativsprache kenne. Ähnlich dürfte
es meinen TN mit ergativischer Herkunftssprache gehen, wenn ich von Subjekt,
Objekt und von den Kasus rede.]

Die Kreation 'verkommentieren' fiele nebenbei bemerkt in die Rubrik 2 (zu
einem Kommentar verarbeiten) oder 3 (mit einem Kommentar versehen), à la
limite auch 5 (mit Kommentieren seine Zeit verbringen).

Den gemeinsamen Nenner aller ver- -Verben: soll's den immer noch geben?

Gruß Ralf Joerres
Stefan Ram
2018-07-16 10:02:31 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Bemerkung am Rande: Mit der Konstruktion 'mich friert' durchbricht das
Im Rahmen einer Verbdependenzgrammatik kann man dies
zumindest einfach in einen Rahmen einordnen: Jedes Verb hat
bestimmte Dependenzen/Valenzen, die jeweils durch einen
Kasus oder eine Adposition gekennzeichnet sind. Dabei gibt
es für jedes Verb Muster, in denen bestimmte Dependenzen
besetzt sein müssen, andere fakultativ sind. Jedem solchen
Muster sind dann gewisse Bedeutungen zugeordnet. (Das war
meine /persönliche Interpretation/ einer Verbdependenzgrammatik.)

Bei "frieren" gibt es Muster, in denen die Nominativdependenz
unbesetzt ist - was im Deutschen selten ist, aber nicht aus
der im ersten Absatz geschilderten Systematik fällt.

Engel gibt in "Kleines Valenzlexikon deutscher Verben" an:

|VERB SBP BEISPIELSATZ
|
|frieren
|frieren (es) - P0 Es friert.
|frieren O(5 P0 Er friert (an Händen und Füßen).
|frieren 1 P0 Es friert ihn.
| Ihn friert.

Die Zahlen klassifizieren die Satzbaumuster. Ich finde jetzt
keine Stelle, wo Engel "Ihn friert." näher diskutiert.

(Engel dankte damals einigen Mitgliedern des Fachausschusses
des Deutschen Volkshochschulverbandes (DVV) [heute vom DVV
verwendete Schreibweise: "Deutscher Volkshochschul-Verband"].
Die Volkshochschulen an der Forschung beteiligt! Heute gibt
es anscheinend keine solche Fachausschüsse mehr im DVV.)
U***@web.de
2018-07-16 19:10:54 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
während große große Fundstücken auch schon mal die Sprache ein
bißchen veraufblasen
So produktiv ist unsere Sprache nun auch nicht.
Nichts gegen 'verbescheiden', 'veranschlagen', 'vereinsamen',
'veranlassen', Verabsäumen'.

Was bedeutet eigentlich das geringer präfigierte *'absäumen'?

Vom Saume befreien?
Christina Kunze
2018-07-17 04:10:58 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Post by Jakob Achterndiek
während große große Fundstücken auch schon mal die Sprache ein
bißchen veraufblasen
So produktiv ist unsere Sprache nun auch nicht.
Nichts gegen 'verbescheiden', 'veranschlagen', 'vereinsamen',
'veranlassen', Verabsäumen'.
Was bedeutet eigentlich das geringer präfigierte *'absäumen'?
Vom Saume befreien?
Oder einen Saum drannähen und das Stück damit beenden?
Analog zu "abketteln" beim Stricken.

chr
Jakob Achterndiek
2018-07-17 09:28:11 UTC
Permalink
Post by Christina Kunze
Post by U***@web.de
Was bedeutet eigentlich das geringer präfigierte *'absäumen'?
Vom Saume befreien?
Oder einen Saum drannähen und das Stück damit beenden?
Analog zu "abketteln" beim Stricken.
Eine bessere Erklärung findest du dort:
<https://www.stanglwirt.com/de/service/blog/absaeumen-wie-anno-dazumal.html>
--
j/\a
Florian Ritter
2018-07-17 11:29:01 UTC
Permalink
Post by Jakob Achterndiek
Post by Christina Kunze
Post by U***@web.de
Was bedeutet eigentlich das geringer präfigierte *'absäumen'?
Vom Saume befreien?
Oder einen Saum drannähen und das Stück damit beenden?
"Einen Saum drannähen"? Mädchen, Du vergissest Dich!
Post by Jakob Achterndiek
Post by Christina Kunze
Analog zu "abketteln" beim Stricken.
Abketteln kenne ich nur von textilen Bodenbelägen, da
gibt's eigens Maschinen für, die kosten nicht billig.

Aber jetzt, wo Du's sagst: Ich hatte als Schüler einen
anthrazitfarbenen Walkjanker (von wahnsinniger Qualität,
der Münchner Onkel kaufte nur das Teuerste), die Kanten
waren rot und grün umfaßt, das war wohl gekettelt.
Post by Jakob Achterndiek
<https://www.stanglwirt.com/de/service/blog/absaeumen-wie-anno-dazumal.html>
Aha, daher der Saumpfad. Wenn mir recht ist, heißt der im
Erzgebirge Leite, und die Hütte Baude - FR
Stefan Schmitz
2018-07-17 17:18:34 UTC
Permalink
Post by U***@web.de
Nichts gegen 'verbescheiden', 'veranschlagen', 'vereinsamen',
'veranlassen', Verabsäumen'.
Was bedeutet eigentlich das geringer präfigierte *'absäumen'?
Die Frage ist doch eher, warum das gleichwertige 'versäumen' mit dem zusätzlichen
'ab' aufgeblasen wurde.
Martin Gerdes
2018-07-21 13:50:20 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by U***@web.de
Nichts gegen 'verbescheiden', 'veranschlagen', 'vereinsamen',
'veranlassen', Verabsäumen'.
Was bedeutet eigentlich das geringer präfigierte *'absäumen'?
Die Frage ist doch eher, warum das gleichwertige 'versäumen' mit
dem zusätzlichen 'ab' aufgeblasen wurde.
Klingt amtlicher.

Da war jetzt einfach.

Ralf Joerres
2018-07-14 09:43:19 UTC
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Post by Heinz Lohmann
Gerade mal wieder auf SPON gelesen, aber ich lese es auch in
"Da war Christine selbst: In ihrer eigenen Kinderbiografie "Maikäfer
flieg!" *verhandelte* Nöstlinger das Aufwachsen im Nachkriegsösterreich
- während alle Angst vor den Russen hatten, freundete sie sich mit einem
an."
"Wer Nöstlinger als Erwachsener liest, sieht klar, was sie alles an
gesellschaftlicher Realität *verhandelte*: [...]"
Gibt es da keinen besseren Ausdruck? Was ist mit "sich beschäftigen mit"?
Ist es eine Marotte aus dem Feuilleton? Eine Germanistenmarotte?
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Oder bin ich nicht belesen genug?
In 'besserer' Literatur wird von Verben oft auf eigenwillige Weise Gebrauch
gemacht - aber nicht nur dort, auch etwa in Jargons, und beileibe nicht nur
von Verben. Ich sehe das als Stilwillen. Wie im angesprochenen Fall ist
mir 'verhandeln' im Sinne von 'verarbeiten', 'durcharbeiten', vielleicht
auch 'miteinander in Beziehung setzen' schon untergekommen. Der Bezug zu
'vor Gericht verhandeln' ist deutlich, ein 'Gegeneinander-Abwägen' und
'zu einem Urteil Kommen' dadurch konnotiert. Auf Nöstlinger könnte das
passen. Es heißt aber auch: Sie hat vielen widersprüchlichen Realitäten
in ihrer Literatur Raum gegeben, der Leser sitzt gewissermaßen auf der
Zuschauerbank und ist an der 'Verhandlung' innerlich beteiligt.

Hier und da erzeugen Sprach- und Denkfiguren der feuilletonistischen
und akademischen Sphäre Resonanz und werden vielfach wiederholt: Narrativ,
verstörend, postfaktisch, in Dialog treten (= in Beziehung stehen) ...
Mit 'verhandeln' mag es ähnlich sein; häufigerer Gebrauch ungewohnter
Sprechweisen kann Abwehr erzeugen. Ein 'sich beschäftigen mit' als Alternative fände ich persönlich zu blass.

[Der Online-Duden führt diese 'Rektion' von 'verhandeln + Akk.-Obj. in
den Beispielen auf.]

Gruß Ralf Joerres
Stefan Ram
2018-07-14 14:37:23 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
In 'besserer' Literatur wird von Verben oft auf eigenwillige Weise Gebrauch
gemacht
Das beschäftigte mich auch schon zur Schulzeit, und ich
fragte meine Deutschlehrerin, was das für eine eigenwillige
Sprache der Literatur sei. Als Beispiel führte ich
vielleicht etwas an wie: "Die ewige Schale, die bei ihm auf
dem Tisch stand.". Meine Deutschlehrerin bestand darauf, daß
dies normales Deutsch sei.

Heute würde ich sagen, daß wir in Literatur natürlich einmal
Gebräuche lesen, die zur Zeit und am Orte des Verfassers
üblich waren (Temporalismen und Regionalismen, sowie auch
ein gewisser Soziolekt), daneben mag es auch - wie bei jedem
Menschen - idiolektische Verwendungen geben. Dann kennen
Autoren aber vermutlich aber auch mehr verschiedene
Bedeutungen und Einsatzmöglichkeiten von Wörtern, von denen
sie dann auch Gebrauch machen. Von Celan ist beispielsweise
überliefert, daß er Wörterbücher richtiggehend las.
Schließlich kommt noch die Verwendung von Tropen (wie
Metaphern) dazu.

Eine "ewige Schale" ist vermutlich nicht in dem Sinne
"ewig", daß sie schon immer existierte und unendlich lange
existieren wird. Der Sprecher will vielleicht nur
ausdrücken, daß sie immmer auf dem Tisch stand, wenn er den
Tisch gesehen hat oder Was-weiß-ich!

Ein literarischer Autor muß auch bereit sein, mehr das
Risiko zum Miß- oder Nichtverstandenwerden einzugehen.
Sein Deutsch umfaßt ein größeres Spektrum von
Verwendungsmöglichkeiten der Sprache als es in
Alltagsgesprächen oder Agenturmeldungen üblich ist.
Stefan Ram
2018-07-14 13:26:36 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Duden gibt an: »verhandeln« ... »1.a) etw. eingehend
erörtern, besprechen«.

(Eine bekannte Zeitschrift (und Konferenz?) heißt ja
»Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft«.
Dazu gibt es auch die Domäne »dpg-verhandlungen.de«.)
Stefan Ram
2018-07-14 13:49:50 UTC
Permalink
Post by Stefan Ram
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Duden gibt an: »verhandeln« ... »1.a) etw. eingehend
erörtern, besprechen«.
»er verhandelte die Sache mit seinem Vertragspartner;
(auch ohne Präp.-Obj.) es wurden immer die gleichen
Fragen verhandelt«

ein Werk der Dudenredaktion

»in den Spinnstuben wurde nichts eifriger verhandelt als
die Frage, ob der alte Matthias gesehen worden sei oder nicht.«

"Vor dem Sturm" - Theodor Fontane

»Zwischen den Kugeln beider Teile habe ich die
Unterwerfung verhandelt«

"Studien" - Adalbert Stifter

»so hätte wenigstens das Wichtigste heute in der Stadt
verhandelt und das Nebensächlichere für morgen oder
später aufgespart werden können«

"Amerika" - Franz Kafka
Jan Bruns
2018-07-14 18:34:39 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
So kennt man's, klar.

Wird in besagtem Text möglicherweise mit etwas aufgerechnet, irgendwo auf
einer beliebigen Deutungsebene?

Gruss

Jan Bruns
Stefan Schmitz
2018-07-14 20:35:20 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Das taucht sogar hier auf:
https://www.dwds.de/wb/verhandeln

| ⟨etw. mit jmdm. verhandeln⟩ etw. mit jmdm. eingehend erörtern

Derjenige, mit dem das Thema verhandelt wird, ist in deinem Beispiel der Leser.
Ralf Joerres
2018-07-14 23:01:58 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
https://www.dwds.de/wb/verhandeln
| ⟨etw. mit jmdm. verhandeln⟩ etw. mit jmdm. eingehend erörtern
Derjenige, mit dem das Thema verhandelt wird, ist in deinem Beispiel der Leser.
Nein, im Text steht kein 'mit', und die Bedeutung ist eine andere. Ulf K.
hat um 10.39 Uhr mehrere Fundstellen geliefert, keine von denen hat ein
'mit', und auf keine passt eine der von DWDS aufgeführten 'Bedeutungen' mit
ihren jeweiligen Rektionen. Standardstruktur von 'verhandeln' ist 'über etw.
verhandeln', 'etwas verhandeln' ist eine stilistische Abweichung (wir haben
das stundenlang verhandelt). Die Sache, die Nöstlinger 'verhandelte', war
u.a. ihre Kindheit und vieles von der gesellschaftlichen Realität um sie
herum. Da sich darüber nicht im herkömmlichen Sinne verhandeln lässt, muss
etwas anderes gemeint sein. Jakobs Erklärung - Überführung ihrer Themen in
literarische Handlung - ist eine denkbare Herleitung, erscheint mir jedoch
ein wenig gezwungen. Für mich liegt auf der Hand, dass es sich um irgendeine
Form von Durcharbeitung handeln muss, wobei das Material 'ver'wendet wurde,
das ihr das Leben geliefert hat.

Es lassen sich weitere Fundstellen finden, etwa wenn man nach "Stoff
verhandelt" googelt. Auch "Themen verhandelt" liefert einige brauch-
bare Treffer, wenn man die beiseite lässt, die das normale 'verhandeln'
meinen. Wenn man mit der Sucheingabe intelligent experimentiert, wird
man viele weitere Beispiele finden. Es handelt sich demnach nicht um
eine absolute Rarität.

Gruß Ralf Joerres
Stefan Schmitz
2018-07-15 15:57:40 UTC
Permalink
Post by Ralf Joerres
Post by Stefan Schmitz
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
https://www.dwds.de/wb/verhandeln
| ⟨etw. mit jmdm. verhandeln⟩ etw. mit jmdm. eingehend erörtern
Derjenige, mit dem das Thema verhandelt wird, ist in deinem Beispiel der Leser.
Nein, im Text steht kein 'mit', und die Bedeutung ist eine andere.
Weil da kein 'mit' steht, habe ich den Teil ergänzt.
Und was ist an dieser Bedeutung anders als im Text des OP?
Ralf Joerres
2018-07-15 19:03:12 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Ralf Joerres
Post by Stefan Schmitz
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
https://www.dwds.de/wb/verhandeln
| ⟨etw. mit jmdm. verhandeln⟩ etw. mit jmdm. eingehend erörtern
Derjenige, mit dem das Thema verhandelt wird, ist in deinem Beispiel der Leser.
Nein, im Text steht kein 'mit', und die Bedeutung ist eine andere.
Weil da kein 'mit' steht, habe ich den Teil ergänzt.
Und was ist an dieser Bedeutung anders als im Text des OP?
In den herbeizitierten Texten steht nicht, dass Nöstlinger mit wem auch
immer verhandelt hätte, das würde auch sofort den Sinn in Richtung 'in
einer dialogischen Situation intensiv durchsprechen' verändern. Es steht
da, dass sie irgendwelches Material verhandelt hat. Ich fasse das so auf,
dass sie es für sich und mit sich selbst 'verhandelt' hat. Das tut sie,
schon richtig, vor den Augen des Lesers, aber der kann nicht mitverhandeln.
Der Eintrag von DWDS hat nicht dieses gehobene 'etwas verhandeln' ohne
weitere Ergänzung zum Ziel, wie auch das Beispiel zeigt: 'ich habe
diese Angelegenheit mit ihm verhandelt.' Hier ist 'mit ihm' nicht weglass-
bar, sonst wäre der Sinn in etwa 'ich war der Verhandlungsführer'.

Nun ist bei einem seltenen und womöglich spontan neu gebildeten Wort
niemand gezwungen, unter den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten eine
bestimmte zu akzeptieren. Es gibt allenfalls Plausibilitäten. Beispiele:

"Die Filmemacherin will mit diesem Film den einschlägigen Bildern und
Narrativen von Migration eine neue Perspektive entgegensetzen. Ihr Stoff
verhandelt grundsätzliche Fragen dokumentarischen Arbeitens: Nähe, Distanz,
Voyeurismus..."
( https://www.do-xs.de/doku-klasse/tag/pantea-lachin/ )

"'Carry On' markiert somit das Ende einer Ära und fungiert zugleich als
Auftakt zum nächsten Kapitel ihrer Karriere, in dem Béatrice Martin mit
noch mehr Tiefgang persönliche Erfahrungen und Erlebnisse verhandelt."
( https://www.universal-music.de/coeur-de-pirate/biografie )

"'Der Sittich als Symbol' [= Name einer Erzählung] verhandelt Erfahrungen
als Ehemann und deckt eine pan-feministische Verschwörung auf."
( http://www.jepewoerz.de/kurzgeschichten.html )

"Verhalten, fast mit einer gewissen Scheu verhandelt die Autorin den
leitmotivischen Titel des Romans: die offensichtlich misslungene Mutter-
Sohn-Beziehung, wofür (....) der exzessive Selbstverwirklichungsdrang der
'freien Frauen' (...) verantwortlich gemacht wird."
( http://www.fr.de/kultur/literatur/barbara-von-becker-eine-andere-frau-a-1199272 )

und so weiter und so weiter, beliebig fortsetzbar.

Man könnte so zu dem Schluss kommen: Dieses feuilletonistische und rezen-
sionistische 'verhandeln' soll auf gewählte Weise ausdrücken, dass
bestimmte Themen, Stoffe, Erfahrungen, Motive, Inhalte zu einem Werk
verarbeitet werden. Das neu gebildete Verb kann man als eine Kombination
von 'handeln' in 'behandeln' und 'handeln von' und der Vorsilbe 'ver-'
im Sinne von 'verändern zu, verarbeiten zu', wobei man das Ziel als
literarisch gestaltete Handlung - 'ver-handeln' also quasi wörtlich -
auffassen kann, oder das 'Verhandeln' ein 'Handeln von' / Gegenstand ist'
von Inhalten versteht, die vom Schöpfer in ein Werk überführt werden.

Dass das Verb auch als ein intensives Selbstgespräch unter Anteilnahme
des Lesers verstanden werden kann: möglich. Das ist für mich weniger
eingängig, aber da hat jeder seine eigenen Pfade und Zugänge. Auffällig
ist für mich, dass genau dieses Verb im Kulturteil von Publikationen so
beliebt ist. Das erkläre ich mir so, dass ein 'behandeln' oder ein
'verarbeiten' den jeweiligen Rezensenten zu banal erscheint - es soll
sich halt auch nach was anhören.

Gruß Ralf Joerres
U***@web.de
2018-07-15 14:55:10 UTC
Permalink
Post by Stefan Schmitz
Post by Heinz Lohmann
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
https://www.dwds.de/wb/verhandeln
| ⟨etw. mit jmdm. verhandeln⟩ etw. mit jmdm. eingehend erörtern
Vgl. die mündliche Verhandlung oder Hauptverhandlung bei Gericht.

Gruß, ULF
Manfred Hoß
2018-07-14 20:50:48 UTC
Permalink
Post by Heinz Lohmann
Gerade mal wieder auf SPON gelesen, aber ich lese es auch in
"Da war Christine selbst: In ihrer eigenen Kinderbiografie "Maikäfer
flieg!" *verhandelte* Nöstlinger das Aufwachsen im Nachkriegsösterreich
- während alle Angst vor den Russen hatten, freundete sie sich mit einem
an."
"Wer Nöstlinger als Erwachsener liest, sieht klar, was sie alles an
gesellschaftlicher Realität *verhandelte*: [...]"
Gibt es da keinen besseren Ausdruck? Was ist mit "sich beschäftigen mit"?
Ist es eine Marotte aus dem Feuilleton? Eine Germanistenmarotte?
Geläufig ist mir "verhandeln mit/über". Aber "etwas verhandeln"?
Oder bin ich nicht belesen genug?
<http://www.spiegel.de/kultur/literatur/christine-noestlinger-nachruf-das-auf-wen-pfeifen-lernen-a-1218391.html>
Ich vermute, dass sich der Schreiber schlicht vertan hat und es eigentlich
"behandeln" heißen sollte.

Gruß
Manfred.
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