Post by Christian WeisgerberAlso nochmal: Kann man Synchronisation mit der Technik des 21.
Jahrhunderts besser machen als mit der des 20.?
Man kann immer alles besser machen. Es ist im Rahmen der
kommerziellen Werkproduktion immer eine Frage von Aufwand
und Ertrag. Wenn ich Mehrkosten ohne Mehrertrag habe, wird
es wahrscheinlich nicht verwendet werden.
Der deutschsprachige Zuschauer ist so gut auf den Disconnect
zwischen Lippenbewegung und gehörtem Wort trainiert, das
vielen das vermutlich nicht als Verbesserung auffallen würde
und es mit großer Wahrscheinlichkeit auch kein Entscheidungs-
kriterium für die Filmauswahl wäre.
Man würde während der Promotion vielleicht darauf hinweisen,
das man jetzt die Lippenbewegung perfekt angepaßt hat, aber
der Normalzuschauer würde diesen Aspekt gar nicht aufgreifen.
Post by Christian WeisgerberSchon bei Filmen wie _Dragonheart_ (1996) und _Shrek_ (2001) wurde
für das amerikanische Zielpublikum beworben, dass man die Mundbewegungen
der animierten Hauptfiguren an den von prominenten Schauspielern
gesprochenen Text angepasst hat. Also erst die Dialogspur aufgezeichnet
und zum Teil danach animiert, damit Ton und Bild zusammenpassen.
Ähm, das war aber im Bereich der Animation auch schon vor
diesen Filmen völlig normal. Also Tonspur aufzeichnen und
das dann als Grundlage für die Zeichnungen zu nehmen. Schon
vor Motion Tracking wurden da auch gern die Sprecher mit
aufgezeichnet, damit die Zeichner die Minik "abschauen"
konnten.
Danach kam dann halt groß das Motion-Tracking und seit
einigen Jahren gibt es auch schon Technologien (keine Ahnung
wie weit die schon im Einsatz sind) die (mittels KI-unter
stützung) aus der Audiospur die "Muskelbewegungen" für die
3D-Muskeln einer Animations-Figur berechnen und so die
Münder nicht mehr per Hand animiert werden müssen.
Post by Christian WeisgerberRein technisch hätte man auch für die deutsche Fassung so vorgehen
können, also z.B. Draco auf die Stimme von Mario Adorf nachanimieren
können. Aber dafür waren sicher die strukturellen Voraussetzungen
nicht gegebenn -- der Film wird für einen Zielmarkt fertiggestellt
und das Endprodukt dann zur lokalen Bearbeitung weitergegeben - und
vermutlich wären Studio und Verleih auch nicht gewillt gewesen, die
Kosten zu tragen.
Jein. Das hängt halt immer vom Produzenten ab. Disney pro-
duziert "schon immer" für alle Märkte mit und lokalisiert
deswegen teilweise richtig drastisch. Neulich flog ein
Beispiel durch Twitter wo in "Alles steht Kopf" in der
japanischen Variante das Gemüse in einer Ess-Szene ausge-
taucht wurde. Was im US-original für den Zuschauer kulturell
Ekel auslösen sollte, wäre in Japan auf fragende Gesichter
gestoßen, weswegen es dort statt IIRC Brokolli, etwas
anderes gab.
Und im Rahmen der oben angesprochenden Mund-Animierung wäre
es für Disney ein Leichtes die entsprechenden Szenen mit der
jeweiligen Fremdsprachen-Tonspur neu zu rendern. (Ist dann
natürlich für das Träger-Medium im Verkauf die Frage, was
dort das Referenz-Bild ist.)
Bei der Lizensierung ins Ausland gibt es aber auch normal,
das der Lizensnehmer eigene eigene Übersetzung erstellen läßt.
(In Zeiten von weltweiten Medienunternehmen ist es heutzutage
aber schwer zu sagen, wie sich die Anteile an totaler Eigen-
verantwortung und doch wieder nur Tochter der Mutter verteilen)
Der freie Lizenznehmer kann dann quasi schon glücklich sein,
wenn der vom Studio Umgebungs/Effekt-Ton und Musikspur getrennt
von den Dialogen bekommt.
Man erinnere sich da z.B. an frühe Schwarz-Weiß-Film die
komplett ohne Original-Athmo sind, da es damals halt genau
eine Ton-Spur (vom Set, etc.) gab und die in der Synch halt
komplett ersetzt wurde. (Natürlich gibt's auch Foley, etc.)
Post by Christian WeisgerberEin weitere, faszinierende Möglichkeit wäre, die Synchrostimme zu
synthetisieren, so dass sie der Stimme des Originaldarstellers
entspricht.
Das ist auch schon lange kein Problem mehr, stößt dann aber
auch an Persönlichkeits- resp. künstlerische Rechte. Möchte
ich als Schauspielerei meine komplette Erscheinung total in
die Hände dritter legen, die dann damit machen was sie
wollen?
Vor der Kamera habe ich ja quasi 100% Einfluß/Verantwortung
wie ich mime und spreche. Ich habe zwar keine Kontrolle über
Kamera und Schnitt, sage aber - ja auch da gibt's Tricks -
erstmal nichts, was ich nicht gesagt habe und auch nicht in
einem anderen Tonfall.
Wo viele dieser technischen Aspekte schlichtweg wegen kostet
zuviel *und* sind dem Publikum egal scheitern, gibt es dann
auch durchaus diese Aspekte zu beachten.
Diese Technik wird irgendwann bestimmt kommen, dazu muss sie
aber so billig und einfach einzusetzen sein, das man es
einfach macht, weil es geht. Aber Lippen-Synchronität ist
ganz, ganz, ganz weit hinten auf der Liste die ein Film
erfüllen muss, damit sich in Leute im Kino oder wo auch
immer anschauen.
Aktuell ist das aber alles noch viel zu teuer (auch im Sinne
von Zeit die es kostet) als das es irgendeinen wie auch
immer messbaren Gewinn an der Kinokasse bringen würde.
Vergleiche das z.B. mit 3D. Da man dort (kurzfristig) mehr
Umsatz machen konnte, wurde alles auf 3D geprügelt, was
nicht bei drei auf den Bäumen war. Der 3D-Hype war ja so
stark, das sogar die damaligen Fernseher fast gar nicht mehr
ohne 3D-Technik verkauft wurden, obwohl niemand die Frage
beantworten konnte, wo denn die ganzen Inhalte herkommen
sollte.
Im Kino haben die Zuschauer auch schnell klar gemacht, das
sie mitnichten zukünftig alles in 3D schauen wollen und
entsprechend ist das auch alles wieder etwas ruhiger
geworden.
Aber wie gesagt, wenn man sich von einer Technik einen
Mehrumsatz verspricht, wird sie sofort agressiv verwendet.
Lippensynchronität auf absehbare Zeit nicht dazu.
CoBi
--
recently seen in a cinema near me:
Pirates of the Caribbean: Salazars Rache .............................. 2610
Mein neues bestes Stück ............................................... 2609
Alien: Covenant ....................................................... 2608