Dietmar Kettler wrote:
[Bisher gibt es zu Längsverkehrsunfällen auf Fahrbahnen vs. Radwege
verdammt wenig belastbares Material]
Post by Dietmar KettlerZiel der Untersuchung war die Evaluation der StVO-Novelle von 1997. Denn trotz der verheerenden, immergleichen Ergebnisse der Unfalluntersuchungen seit Jahrzehnten bis zur BASt V009 hatten doch Manche Bedenken, ob die Aufhebung der Allgemeinen RWBPfl nicht doch zu dem von Manchen befürchteten Gemetzel führen würde.
Ein Witz. Wären in den wenigen Straßen mit entschilderten Radwegen mehr
Unfälle passiert als anderswo, wäre das wohl auch ohne aufwändige
Untersuchungen aufgefallen.
Ziel war also nicht nur, die auf Seite 9 unten genannten Sonderwege
_miteinander_ zu vergleichen, sondern diese mit dem gesetzlichen und
tatsächlichen Normalfall. Davon steht dann aber in V184 ziemlich wenig,
wie du richtig bemerkt hast.
"ziemlich wenig" ist bei V184 glatte Übertreibung.
Post by Dietmar KettlerDoch selbst diese vier verschiedenen Sonderwegearten hat man nicht miteinander verglichen. Auf Seite 10 heißt es zwar noch, man habe "potenziell geeignete benutzungspflichtige Radwege, Radfahrstreifen, Schutzstreifen sowie Radwege, deren Benutzungspflicht im Zeitraum nach der StVO-Novelle nach 1997 aufgehoben wurde" gesucht und dann untersucht. Doch auf Seite 11 heißt es dann ohne Erklärung, ohne Hinweis und ohne einen Grund anzugeben, warum man plötzlich das Thema so sehr eingrenzt, man habe (nur) Unfälle "auf den Streckenabschnitten der Untersuchungsstraßen außerhalb von Verkehrsstraßenknoten" "herangezogen".
Die Radwegeunfallforschung unterschied seit den 1980ern immer die Streckenproblematik von der Knotenproblematik (kurz zusammengefasstes Motto: Radwege ersparen den Radfahrern die Längsverkehrskonflikte, bringen ihnen aber zusätzliche Konflikte in den Knoten. Nie geklärt wurde, ob man sich mit den Knotenkonflikten nicht mehr Gefahren einhandelt, als man auf der Strecke vermeiden kann). Gerade das, was das Radfahrern besonders gefährlich macht, wird in V184 also NICHT untersucht. Und auch nicht das Wesentliche, was die von manchen so befehdete Gesetzesnovelle Neues brachte: Das Fahrbahnfahren.
... in Straßen, die Radwege haben. Ansonsten war und ist das absolut nix
Neues.
Post by Dietmar KettlerImmerhin lagen die Verkehrsstärken fast sämtlich über DTV 10.000 (Seite 20), viele sogar über 30.000 (bis 50.000, Seite 20).
Was die Autoren der ERA in keinster Weise anficht und erst recht nicht
die StVBn, aus Empfehlungen Vorschriften zu machen.
Post by Dietmar KettlerAuf Seite 49 findet sich dann bei genauem Lesen die entscheidende Einschränkung: "Die weitaus meisten Untersuchungsabschnitte liegen auf Streckenabschnitten ohne Verkehrsstraßenknoten..." Der klassische und in den Unfallstatistiken so häufige Konflikt mit einem abbiegenden LKW kommt daher in der Studie nicht vor. Der geneigte Leser merkt diese entscheidende Einschränkung aber nicht so schnell, selbst wenn er die Strecken- und Knotenproblematiken kennt und voneinander zu unterscheiden weiß, denn es tauchen durchaus Abbiege- und Einbiege-Unfälle in V184 auf - die an Nebenstraßen, Grundstückszufahrten, Tankstellen oder Parkhäusern. So wird man von diesen Unfällen geradezu im Glauben gewogen, es sei auch die Knotenpunktproblematik enthalten (iSv: in der ganzen Breite). Was drin ist und was nicht, erfuhren einige Leser auch erst durch beharrliches Nachfragen bei Auftraggeber und Auftragnehmer.
Für die Unfallproblematik spielt BASt V189 hierzugroup also zu recht
keine Rolle. Und nicht nur in drf, auch die Kurzfassungen, die schon vor
Veröffentlichung der Studie kursierten, beschränken sich auf die darin
enthaltenen Nutzungsstatistiken der verschiedenen Führungsformen. Sehr
Post by Dietmar KettlerAuch im Titel der Studie, in der Kurzfassung, in der "Ausgangslage" etc wird durchgängig so getan, als seien das Unfallrisiko auf Straßen und die Folgen der StVO-Novelle das Thema. Als ginge es um ganz normale Quelle-Ziel-Verbindungen oder wenigstens um ganze, realitätsnahe, ungekürzte Abschnitte auf diesen untersuchten Hauptstraßen. Welcher Radfahrer schafft es schon, zwar ständig auf Straßen mit Rad-Sonderwegen zu fahren, aber dabei nie über einen Knoten hinweg? Das "Unfallrisiko" (immerhin der erste Begriff im Namen der Studie) ist also nicht ansatzweise abgebildet.
... und wahrscheinlich deswegen auch kaum Thema, wenn die Studie
referenziert wird. Viel öfter dagegen jene 98%, die freiwillig Radwege
nutzen, die ermittelte Geisterradlerquore u.a.m. BASt V009 war weitaus
gründlicher, was Unfallforschung betrifft. Lediglich die Fallzahl ist
etwas mager und die Empfehlungen am Schluss, die so schnell den Weg in
die ERA-Tabellen/Diagramme fanden, sind nicht aus den Ergebnissen der
Studie erklärbar.
Post by Dietmar KettlerSelbst bei den nur untereinander verglichenen Rad-Sonderwegen im Seitenraum zeigen sich Defizite: Nach den Vorträgen, die der projektleitende Mitarbeiter des Auftraggebers vor der Veröffentlichung hielt, gab es eine klare Reihenfolge: 1. RW mit BPfl. (am gefährlichsten), 2. RW ohne BPfl. (schon etwas weniger gefährlich),
Sieh an. Zusammenfassungen und Schluss der Studie lesen sich so, als
gäbe es gar keinen Unterschied zwischen Pflicht/nicht Pflicht.
3. Radfahrstreifen (nochmal weniger gefährlich), 4. Schutzstreifen
(unter diesen vieren am sichersten).
Für die Geisterradelquote wurde die gleiche Reihenfolge festgestellt,
vermutlich ist das kein Zufall.
Weder das Bild 7-11 noch der Text zeigen das [Was bei der
Fahrbahnnutzung rausgekommen wäre, wenn man sie denn
untersucht/dargestellt hätte, kann ich nur spekulieren, aber wenn die
Reihenfolge 1.-4. von Zwang-da-rechts-außen-Fahren über immer mehr
Freiheiten bis zu dem, was Planer schon Mischverkehr nennen statistisch
eindeutig ist, lässt sich leicht ein 5. hinzudenken].
Wenn nur Stecken untersucht wurden, ist fraglich, ob Mischverkehr
wirklich Nr 5 wird. Das Hauptproblem aller Randverkehrsanlagen ist die
vereinfachte Möglichkeit, rechts neben Kfz zu fahren. Zur Gefahr wird
das aber primär an Knoten, kaum auf den Strecken.
Da dem "Boxplot" (so heißen die grafischen Darstellungen) 7-11 auch noch
die Legende fehlt (egal, ob handwerklicher Fehler oder zu Verschleierung
gewollt) ist verschleiert, was dargestellt ist und wie die Werte jeweils
sind. Die Aufhebung der RWBPfl hatte nach den genannten Vorträgen einen
"Maßnahmefaktor" von "0,99" (also einen geringen Gewinn [obwohl nur
wenige Radfahrer die neuen Freiheiten nutzten]). Auch das steht in der
Studie nirgends. Nichtmal, dass die Aufhebung der RWBPfl jedenfalls
nicht mit einem Sicherheitsverlust einher geht, steht (deutlich und für
Richter verständlich) in der Studie. Stattdessen gibt es Behauptungen
über "anforderungsgerechte" Sonderwege (Seite 117f/120), ohne dass dazu
(in dieser Studie) irgendetwas geforscht worden war.
Das sieht beinahe so aus als hätten die Auftraggeber der BASt deutlicher
gemacht als früher, wie ihre Wunschergebnisse aussehen sollen. Mit BASt
V009 haben sie Anno 1993 eine "böse" Überraschung erlebt und aus
"Fehlern" lernt man.
Post by Dietmar KettlerNach diesen Vorträgen mit ihren klaren Ansagen hat dann die Veröffentlichung noch seeeeeeehr lange gedauert, bis dann dieser verschleiernde Text gedruckt vorgelegt wurde, in dem das wesentliche Vorgetragene fehlt.
Vermutlich war das der Zeitraum, während dem es bereits Kurz- und
Zusammenfassungen der Studie gab. Das hatte zur Folge, dass mir auch nur
die Kurzfassung im Gedächtnis haften geblieben ist, also die Zahlen zum
Geisterradeln und zur Radwegnutzung mit oder ohne Schild usw.
Post by Dietmar KettlerSelbst im Kapitel 7.4 heißt es "Mehringdamm" bis "Gudrunstraße" und "Klosterstraße" bis "Schweinauer Hauptstraße" ohne jeden Hinweis, dass nicht etwa diese Straßen untersucht wurden, sondern nur mit dem Seziermesser zwischen den als solchen bekannten Haupt-Konfliktstellen herausgeschnittene Abschnittchen.
Haben die womöglich auch noch Straßen mit minimaler Zahl Einmündungen
rausgepickt, am "besten" Strecken, die schon fast den Charakter von
Landstraßen haben?
Post by Dietmar KettlerUnd obwohl man sich mehr oder minder heimlich auf den bekanntermaßen relativ sicheren Verkehr zwischen den Knoten beschränkt hatte, findet sich dann
auf Seite 113 nach Abschnitten zu 1. deutlicher Verbesserung (-30%) bezgl der Unfalldichte nach Aufhebung von RWBPfl und geringerer Verbesserung (-12%) bezgl derselben bei Beibehaltung der RWBPfl und 2. leicht sinkenden Unfallzahlen nach Aufhebung der RWBPfl und deutlich steigenden Unfallzahlen bei Beibehaltung von RWBPfl: "In jedem Fall kann gefolgert werden, dass mit der Aufhebung einer Benutzungspflicht bei ansonsten gleich bleibenden Randbedingungen keine Verschlechterung der Verkehrssicherheit für Radfahrer einhergeht". Das ist Diplomatendeutsch und verschwurbelt, dass man erhebliche Sicherheitsgewinne bei Aufhebung der RWBPfl gefunden hat. Aber so deutlich wollte/sollte/durfte man das vielleicht nicht sagen. Und umgekehrt ergibt sich natürlich aus dem Satz: Selbst auf hochbelasteten Straßen gibt es keinen Sicherheitsgewinn durch Anordnung von RWPfl.
Schon Parität genügt, um klarzustellen, dass Radwegpflicht *nicht* der
Verkehrssicherheit dient. Das bedeutet sogar bei derart zurückhaltender
Formulierung, sie muss raus aus der StVO oder zumindest auf Landstraßen
beschränkt werden. Bliebe "Verkehrsfluss" als Argument, aber dem dienen
Radwege auch nicht unbedingt, dem Radverkehr bekanntermaßen gar nicht
bzw. nur ca. 2 Std./Tag.
Post by Dietmar KettlerLassen wir das Ganze mal sacken und lassen wir mal die klarstellenden Ergänzungen/Bestätigungen von seiten des Auftraggebers und des Auftragnehmers auf den gedruckten Text wirken, dann lautet das Fazit: "Die Anordnung von RWBPfl hat SELBST AUF HOCHBELASTETEN STRASSEN SELBST AUF DER STRECKE (also ohne Berücksichtigung wesentlicher Gefahrenmomente der Führung im Seitenraum in den Knotenpunkten) keinerlei Sicherheitsgewinn gebracht."
Der Vollständigkeit und der wissenschaftlichen Redlichkeit halber muss man hinzufügen, dass dieses Ergebnis nur für innerorts gilt (außerorts hat man nicht untersucht) und nur für Straßen bis DTV 50.000 (noch höher Kfz-belastete Straßen hat man nicht gefunden und also nicht untersucht).
Als ich gemerkt habe, was in BASt V184 drin steht und was vor dem Leser in der gedruckten Fassung versteckt wurde, habe ich das Ganze noch mal sehr genau gelesen. Nun habe ich einen Lesezettel, worin steht, was drin steht und was nicht. Das ist hilfreich.
Ja, danke, dass Du Dir diese Mühe gemacht hast. Als Unfalluntersuchung
habe ich V184 bisher nicht für voll genommen. Wenn also "nebenbei" (nur)
die Streckenunfälle betrachtet wurden (zum Glück leugnen sie das ja
nicht), ist das besser untersucht als ich dachte, ausgenommen natürlich
im Mischverkehr. Dazu hatte aber BASt V009 auch nichts Schlimmes
entdeckt, WIMRE, eher im Gegentum.
--
CU Chr. Maercker.
RADWEGE sind TOD-SICHER! Schlaue Füchse fahren Fahrbahn.